Theaterdoppelanlage in Frankfurt am MainExemplarisch dargestellt an der Theater/Opernfrage

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Kontroverse um einen Neubau von Frankfurter Schauspielhaus und Oper erhält neuen Auftrieb durch die Kritik des Hessischen Landesrechnungshofs.

Wir erinnern uns: Am vierten November dieses Jahres präsentierte die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig großformatige Hochglanzfotos der vorläufigen Architektenentwürfe für die Nachfolger der bisherigen Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz. Das neue Schauspielhaus soll am bisherigen Standort gebaut werden, die Oper an der Neuen Mainzer Straße auf dem heutigen Terrain der Stadtsparkasse. Dabei regte die Dezernentin die Schaffung einer Kulturmeile zwischen beiden an und plädierte dafür, die neuen Gebäude für zusätzliche Nutzungen, etwa für Buchhandlungen oder Cafés, zu öffnen.

Bei Thalia oder Hugendubel/Weltbild wird diese Einladung sicherlich angekommen und richtig verstanden worden sein. Bei den dezentral gelegenen kleineren Buchhandlungen dieser Stadt hingegen, die schon lange ums Überleben kämpfen, dürfte die Botschaft eher Unverständnis hervorrufen. Buchkaufhäuser in bester Citylage sowie der Lieferdienst Amazon haben stark in die Infrastruktur dieses Segments eingegriffen. Und ich kann mir auch vorstellen, dass die freie Theaterszene, die vorrangig in den Stadtteilen verankert ist, das für sie bestimmte Totengeläut vernommen hat.

Begeistert werden jene sein, die Schauspiel und Oper für Repräsentationsorte halten, in deren Foyers und auf deren Gängen eine selbsternannte elitäre Kaste öffentlich glänzen kann. Kultur wird von ihr als Wesensausdruck einer Lifestyle-Gesellschaft verstanden, deren hervorstechende Kennzeichen Eindimensionalität, Erwerbsstreben und Konsum sind. Eigentlich sollte es die vordringliche Sache des Theaters sein, den Menschen den Spiegel vorzuhalten und ihnen ihre Fehlentwicklungen aufzuzeigen. Diese Aufgabe ließe sich auch in einer vollständig sanierten Theaterdoppelanlage hervorragend erfüllen. Doch eine Sanierung war allem Anschein nach von Anfang an unerwünscht. Dafür sorgte der parlamentarische Arm der Immobilienspekulanten, der sich vor allem bei CDU, Grünen und FDP manifestiert. Die überwiegend nichtkulturaffinen Abgeordneten von SPD und Linken durchschauten das Konstrukt nicht.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Stadtverordnetenversammlung sich jemals so ausgeschwiegen hat wie über das Milliardenprojekt Theaterneubau. Dabei hatten die von der Stabsstelle in Auftrag gegebenen Gutachten von Anfang an kritische Rückfragen ausgelöst. Etwa nach Details der Baubestandsaufnahme und den sich daraus ergebenden Sanierungsmaßnahmen. Schließlich ist der Staat zur Nachhaltigkeit verpflichtet und darf eine Sanierung nicht von vornherein verwerfen. Vor allem bei einem Gebäude, das 1963 als wegweisend und über die Architektur der 1960er Jahre weit hinausreichend eröffnet wurde. Und das nach dem Brand der Oper am 12. November 1987 in einem wesentlichen Abschnitt völlig erneuert werden musste. Die Kosten beliefen sich auf umgerechnet 85 Millionen Euro. Das Musiktheater erhielt damals eine der größten und modernsten Drehbühnen Europas. Nach der Fertigstellung wurde auch das Schauspielhaus 1992 modernisiert.

Doch jetzt scheint der Hessische Landesrechnungshof den unrealistischen Träumereien an Frankfurter Bürgerkaminen ein Ende zu bereiten. Die Stadt habe bereits in Zeiten sprudelnder Einnahmen (Gewerbesteuer, Dividenden aus Beteiligungen) hohe Defizite angehäuft und auf Rücklagen zurückgegriffen. Angesichts durch Corona bedingter sinkender Einnahmen und der zu erwartenden Aufwendungen zur Bewältigung der Pandemie-Folgen stünden auf Jahre hin nur begrenzte Budgets zur Verfügung. Diese Tatsache müsse beispielsweise beim geplanten Neubau der Städtischen Bühnen berücksichtigt werden.

Es ist demnach an der Zeit, die technische Funktionalität und Sicherheit der Theaterdoppelanlage zu erhalten und neben der Sanierung der Fundamente in Klimatechnik, Strom- und Wasserleitungen und Energetik zu investieren. Ein weiteres Hinausschieben längst überfälliger Erhaltungsmaßnahmen ist nicht zu verantworten.
Beim Bochumer Schauspielhaus (von 1953) und beim Wiener Burgtheater (von 1955), die ebenfalls auf den Ruinen im Krieg zerbombter Vorgängerbauten erstellt wurden, ist die engmaschige Wartung seit fast sieben Jahrzehnten Teil der Theaterkultur. Ganz abgesehen davon, dass dort das Bühnenprogramm im Zentrum steht. Kunst muss gekonnt sein, das Wollen reicht nicht aus. Frankfurts Anspruch, Ort einer multikulturellen Gesellschaft zu sein, wird durch die propagierte Scheinlösung für Schauspiel und Oper ständig entlarvt. Und zwar als Mischung aus Nichtkultur und Möchtegernkultur.

Foto:
Theaterdoppelanlage in Frankfurt am Main
© MRG