DSC04692 3 bereinigtSerie: FRANKFURT UND DER NS, Frankfurt räumt endlich durch Ausstellungen im Historischen Museum mit der üblen Nazimitmache auf, Teil 6
 
Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mehr nicht, denn jede harmlosere Bezeichnung würde ihn nur noch adeln, da er dem Inferno des Dante entspringt! Mit dem NS hob sich der Spießer – der überall sich breit machen kann, wie 1973 auch in Chile, wobei die CDU Pinochet Beifall klatschte - auf die Ebene des Welt-Zerdepperers, nur um die Verzweiflung an der Welt und den Mitmenschen auszuagieren.


Mord und Totschlag sind im Nationalsozialismus reiner Selbstzweck, der ihn bitte bloß aus der völkischen Talsohle herauskatapultieren möge. Der Nationalsozialist ist der Querdenker in Perversion. Seit dem Nachkriegsdeutschland ist er nie ganz von der Bildfläche verschwunden. Er geistert um und sucht Mitläufer.

Das Historische Museum Frankfurt hat eine Ausstellung kuratiert und einen dazu gehörigen Katalog herausgebracht, der unter dem Motto ‚Eine Stadt macht mit‘ beworben wird. Daraus erhellt sich, dass er auf ein dunkles Massenbedürfnis zurückdatiert, das die verunsicherte und frustrierte Menge schon mal ins Verderben trieb. Denn sie steht der Aufklärung und Vernunft fern wie nur etwas, weil das ein Zuviel an zusätzlicher Anstrengung und Selbstüberwindung bereiten würde.


Begleitbuch zuerst, dann Ausstellung

Die Ausstellung und das Begleitbuch dürfen zum Anlass für einige Einwände genommen werden. Im großen Ganzen gesehen gereicht die Ausstellung zum Verdienst hinsichtlich der durch sie bereiteten wissenschaftlichen Erkundung und Erforschung im Hinblick auf die damalige Frankfurter Situation. Einwände betreffen eher geringere Schwächen oder Defizite. Der Katalog enthält eine gewisse Anzahl von Verweisen auf Fotos, die nicht in den Druck gekommen sind. Sie sollten, auch für die forschende Jugend, zumindest online erreichbar sein, über welche Frankfurter Einrichtung, die hierzu zur Verfügung steht, auch immer. Einfaches und schnelles Anwählen anhand des Kriteriums (z.B. eines Fotos aus dem Institut für Stadtgeschichte) sollte unschwer möglich sein.

Die Ausstellung im Historischen Museum komplettiert und illustriert manches, was den Katalog, als Begleitbuch, geradezu sprengen würde. Beides, Katalog wie Ausstellung, ergänzen sich gegenseitig. Der Katalog ist flüssig lesbar, die Ausstellung allerdings krankt an einer allzu dämmrigen Realisierung für das Auge. Dafür mag es Gründe geben. Der Katalog indessen könnte eine etwas reichere Ausführung vertragen, um auch dem unterbliebenen und gleichwohl reizvollen Fotomaterial Rechnung zu tragen. Eine komplettierte Online-Version wäre nicht übel, aber das Netz kann sich als ein flüchtiges Ding erweisen. Eine Netzversion kann – und muss - immer wieder neu aufgezogen werden, weil der Erkenntnisprozess um ein bleibendes Zentrum spielt. Gerade im Netz braucht es immer wieder Überarbeitung, was ein Vorteil ist. Eine Site muss kristallklar strukturiert und aufgebaut sein, zumal für die forschende Jugend. Eben gerade dieser wegen. Die Art und Weise der Vermittlung gelangt nie an ein Ende.


Alle machten mit

Nicht so ganz alle zwar, aber doch viel zu viele. Das zeigt bereits das große Foto auf Seite 6. Auf dem Römerberg geht es voll gedrängt zu, ausgerechnet zu dem von den Nazis verschwiemelt aufbereiteten Tag der ´nationalen Arbeit‘ (1. Mai), zu dem die arbeitende Bevölkerung gegen ihre eigenen elementaren Interessen mobilisiert wurde. Der verhängnisvolle Irrtum des kleinen Mannes war, dass es wahrhaft um ihn und sein Wohl und Wehe gehe. Huttragen war zu jener Zeit stark verbreitet. Das hatte einen Nachklang in den Fünfzigern. Seltsam, wie es den Menschen im förmlichen Zivil angehen kann, wenn er sich seiner selber sicher sein und noch höher hinauswill. Generell lässt sich finden: Wehe dem, der sich zu sicher sein will, seiner selbst und der eigenen Zeit.

Innerhalb von 5 Jahren erreichte die NSDAP fast die Hälfte der Wähler*innen stimmen, aber sie trat schon 1924 erstmals zu den Kommunalwahlen in Erscheinung. Der Siegeszug der Nazis ist eine Warnung an alle Heutigen, sehr begierig auf große Umschwünge und damit außer und über sich zu sein, wenn die das Gelbe vom Ei versprechen. Was schnell geht, wird selten gut. Niemand kann sich in Medienzeiten sicher sein. Erst recht nicht, wenn ein kommendes Heil verkündet wird. Das Heil war auch so eine zeitlich beschränkte Verbiegung und Überhöhung in Nazizeiten


Frankfurt und der NS

Die Eingangsausführungen des Begleitbuchs, die einen Überblick bedingen, kennzeichnen die Ausgangsituation und zeichnen die daraufhin grundlegend veränderte Realität im Nationalsozialismus - an der sog. Heimatfront – nach und behandeln die Nachgeschichte anhand der nachmalig aufgenommenen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Jede Katalogseite liefert hierzu vielerlei Belege und Geschichten der Grausamkeit und Verirrung. Zum Beispiel findet sich unter dem Rubrum Rathaus, das nur eines von 19 ist, ein junger weiblicher Besucherkopf neben einem Vertreter der rechten Parteiszene des Jahres 1989 im Stadtparlament auf der Bank beisitzend. Das sagt etwas über das Nachleben des Nationalsozialismus unter Nachkriegskindern und die Anfälligkeit eines einschlägigen Bürgertums, das erneut für Revanche und Jetzt-erst-recht und Wieder-so plädierte. Dieses vielsagende Foto findet sich nur in der Ausstellung. Es war schockierend hier jemand ehemals Bekanntes wiederzusehen.

Diese menschlich abgrundtief verlumpten bürgerlichen Nazisympathisanten waren es auch, die mitspielten als die gefeierte und hochangesehene Altistin Magda Spiegel, die seit 1917 dem Ensemble der Frankfurter Oper angehörte und der ab 1935 das Wohnen in Frankfurt unmöglich gemacht worden war, 1942 nach Theresienstadt und 1944 nach Auschwitz verbracht wurde, wo sie direkt nach der Ankunft durch die Hand der organisierten nazistischen Mordmonster den Tod fand.

Alle weiteren Blöcke sind das gut gemachte Eine, die Zwischenüberschriften aber sagen über das Eigentliche und Wesentliche aus. Sie vermitteln Orientierung. So handelt das Begleitbuch immer wieder vom öffentlichen Raum, beherrscht vom Meer der Fahnen mit dem Hakenkreuz. Dieses Überbordende ist uns mit der Konsum- und Spaßgesellschaft geblieben, wenn auch unter rein ökonomischen Vorzeichen. Es war damals eine Bühne der Straße mit zahllosen Menschenzügen und marschierenden Kolonnen des Auftritts im militärischen Wichs.

Das Jahrhundertverbrechen aber war der Ausschluss der jüdischen Mitbürger*innen aus dem wirtschaftlichen und sozialen Leben. Die Massen beeindruckende Autobahn - von der vorhergehenden Regierung in die Wege geleitet -, die Parteien in Frankfurt, deren schnelle verhältnismäßige Entwicklung und geänderte Verteilung im Parlament, die spätere Schlussstrichmentalität der FDP von 1949 (die die Aufarbeitung und Entnazifizierung holterdipolter als Vorwurf der Entrechtung und Entmündigung unter die Leute brachte) - das alles und noch mehr ist mit geschichtlich umwälzenden Mechanismen verknüpft, die eine Art Modernisierung unter nazistischen und möglicherweise neonazistischen Vorzeichen begleiten. Weil alles Bisherige als vermeintlich völlig zu Recht und ohne Rücksicht infrage gestellt erschien.


Antisemitische Stadtpolitik

Diese betrifft den Hauptanteil umfangreicher Ausführungen und Beschreibungen. Sie handeln essentiell vom simplen, brutalen wie zugleich profitablen Raub an jüdischen Mitbürger*innen, die mit Stiftungen und bürger*innen-schaftlichem Engagement Frankfurt am Main fortschreitend zum dem gemacht haben, was es heute noch ist und darstellt. Hierüber sollte es mal eine Ausstellung geben. Das war damals nämlich umgehend alles vergessen. Es fand die offene, scheinhaft-verlogen legal verhüllte raubmäßige Übereignung statt. Die Stiftungen – wie auch vieles andere der nicht nur der jüdischen Wohlfahrt Dienende mehr - wurden arisiert und die Güter und einzelnen Eigentümer zu Spottpreisen der Raffgier des kleinen Mannes und der bürgerlichen Herren und Damen von Welt übermacht. Nachher sagten sie, sie seien mit ihren jüdischen Freundinnen und Freunden doch freundschaftlich verkehrt und hatten vor nicht langer Zeit noch herausgefunden, dass eine gewisse Freundin tatsächlich doch den Holocaust – wenn auch unverhofft - überlebt habe. Der kleine sog. arische Einzelhandel, der Metzger und Bäcker, waren durchaus erfreut, sich der jüdischen Konkurrenz entledigt zu werden und ggf. von deren Vertreibung oder Vernichtung weidlich profitieren zu können.

Die Arisierung speziell der großen jüdisch geführten Kaufhäuser aber ist eine viel umfangreichere Beraubung noch im allergrößten Stil gewesen. Die eindrucksvolle Fotografie des diesbezüglichen Kaufhauses Wronker auf der Zeil ist im Band vertreten. Aber es ist nur ein kleiner Teil der Spitze eines Eisbergs. Viele dieser Namen sind Legende. Ihnen allen ist ein Beitrag gewidmet.  Auch unzählige, teils schon reizvoll im Stil der Neuen Sachlichkeit gestaltete kleinere Geschäfte wurden Opfer des Raubs und der Enteignung und daraufhin der Vernichtung ihrer Betreiber. Ein Foto spricht besonders zu uns.

Das Ladengeschäft ist in moderner Sachlichkeit gehalten. Darin ist es zugleich auch noch ein Stück unserer Gegenwart. Hiervon erzählt der Schriftzug, der von einem schändlichen Unheil kündet: GUMMI, STAMM & BASSERMANN, FRÜHER GUMMI WEIL. Das unsägliche, oft gezeigte Foto von vermutlich Oktober 1938, dem Jahr der Reichspogromnacht, mit den wüsten, auf die Frontscheibe in weißen Lettern und dem Stern der Juden hingeflatschten Beschimpfungen gegen eine ur-bedeutsame Menschenart, deren Gründung gerade wieder mit dem Film ‚Die Bibel‘, von Cecil B. de Mill, gezeigt wurde, ist ebenso vertreten wie der Inhaber des Bekleidungsgeschäfts Hermann & Frotzheim im darauffolgenden Foto.

Nicht nur rein rechtlich gesehen war der organisierte, dilettantisch bürokratisch überfirnisste Raub an den Frankfurter Juden eine Niedertracht von allerhöchster Perversität. Letztlich ging es bloß um Raub, Mord und Totschlag. Das ist von der heutigen neuen Rechten und dem NSU 1+2 auch wieder zu erwarten. Und zwar in noch höher Potenz. Auch eben wieder darum, höchstpersönliche Minderwertigkeitskomplexe auszuleben und zu überspielen. Das und ähnliches ist zu bedenken, wenn heutigentags wieder Nazihorden gemeinsam mit ‚harmlosen Bürgern‘ auf Straßen aufmarschieren. Sie sind im Grunde gescheiterte Persönlichkeiten.

Weitere Themenbereiche im fast 300seitigen Wort- und Bildband sind, nur um einige wenige noch anzusprechen: der Umbau der Polizei, die Polizeibataillone, die Gestapo, Haftstätten (wie etwa die Gestapo-Zentrale in der Lindenstraße). Es gibt eine durch Berührung nutzbare Topographie des Terrors mit den Stätten der Erniedrigung und Qual. Der Themenbereich zieht sich von der Situation auf Straßen, über Redaktionen, Bühne, Universität und Gericht bis zu den profitierenden Unternehmen; dem Bahnhof als Umschlagplatz von Verschleppung, den Stätten der städtischen Internierung wie des tiefgelegenen Lagers unter der Großmarkthalle (‚Matratzenlager‘), bei laufendem Betrieb derselben, den Denkmälern vorher und danach.

Das Außenlager KZ Katzbach in den Adlerwerken, mitten in Frankfurt gelegen und die berüchtigte pseudowissenschaftliche Rasseforschung einer Eva Justin und eines Robert Ritter am Universitäts-Institut für Erbbiologie und Rasseforschung sind thematisch ausgeführt. Ein Rest des Gebäudes steht noch am Mainufer. Der spätere Lagerarzt von Auschwitz, Josef Mengele, gehörte an diesem Institut als Praktikant und ‚wissenschaftlicher Assistent‘ zum Stamm-Personal.

Es sind oftmals die beiläufigen Dinge und Verhältnisse, die so aussagekräftig sind, weil sie Ankerpunkte für das Gedächtnis sind. An solchen Details hat das Begleitbuch keinen Mangel. Das Buch insonderheit ist eine Fundstätte für die abgrundtiefe Niedrigkeit, zu der sich eine Gesellschaft in jeglicher Beziehung herablassen kann.

Der Katalog ist für knapp 30 Euro zu erstehen und ist mehr als nur eine Wegmarke zur Sache; vielleicht sogar ein Meilenstein für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus - in Frankfurt am Main

Foto:
© Heinz Markert

Info:
Eine Stadt macht mit, Frankfurt und der NS, Historisches Museum Frankfurt, vom 9. Dezember bis 11. September 2022
Eintritt
Dauerausstellungen (HMF und Junges Museum): 8 Euro/ermäßigt 4 Euro
Wechselausstellungen (HMF): 10 Euro/ermäßigt 5 Euro
Alle Ausstellungen: 12 Euro/ermäßigt 6 Euro
Schneekugel: 3 Euro/ermäßigt 1,50 Euro
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren: Eintritt frei!

Begleitschrift, Katalog: Eine Stadt macht mit, Frankfurt und der NS, Schriften des Historischen Museums Frankfurt, herausgegeben von Jan Gerchow, im Michael Imhof Verlag.