faust 8175aLange Nacht des Figurentheaters

Die lange Nacht des Figurentheaters, Höhepunkt der Puppenfestspiele. Feuerschalen auf dem nächtlichen Kumpen. Eine Menschenschlange von der Katharinenkirche bis zum Theatrium. Anstehen für kostenlose Bratwürste in der Pause zwischen Faust-Stück und Winnetou-Klamauk. 

Größer könnte die kulturelle Spannweite nicht sein: Hier „Faust“, der heilige Gralshüter des deutschen Kulturgutes. Dort der immer schon verachtete Kitsch der Blutsbrüder Winnetou und Old Shatterhand.


Aber es kommt anders als gedacht. Das „Hohenloher Figurentheater“ inszeniert mit großen Stabpuppen eine frühe volkstümliche Version des Fauststoffes und das „marotte Figurentheater“ dekonstruiert in einer wilden Vorstellung Karl Mays „Schatz im Silbersee“.

Mit prächtigen, fein ausgearbeiteten Puppen, erzählt das „Hohenloher Figurentheater“ zunächst in einem guten Spannungsbogen seinen „Faust“. Dabei sprechen die Spielenden ihre Texte selbst, produzieren die Geräusche und steuern das Licht:

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Mephisto wird auf die Erde geschickt, um einen Pakt mit dem berühmten Doktor Faustus abzuschließen. Der Suchende nach profundem Wissen und enthemmtem Sex ist schnell bereit, seine Seele dem Teufel zu verschreiben. Parallel kommt zu ihm Hans Wurst als einfältiger aber gewitzter Diener. Er folgt dem, durch den Pakt wieder jugendlich gewordenen Gelehrten, auf dessen erster Lustfahrt nach Italien. Fier trifft er den Herzog von Parma und seine hinreißende Frau (Bild links).


Hanswurst macht sich bald davon, Mephisto reist mit Faust um die Welt. Der Gelehrte erlebt zahlreiche frivole Abenteuer, aber die Erfüllung seines rastlosen Sehnens bleibt aus. Nach der vereinbarten Zeit, reißt ihn unerbittlich eine Hand in den feurigen Schlund der Hölle. Diese Version beruht auf der Bearbeitung des Themas durch den Engländer Marlowe Ende des 16. Jahrhunderts.

Das Hohenloher Ensemble besteht seit 150 Jahren, die Aufführung in der Katharinenkirche ist klassisch und gediegen, die zwei Spielenden präsentieren diverse Stabfiguren mit klaren Charakteren. Die solide Handarbeit des Duos wird verknüpft mit modernen Einsprengseln, wie grellbunten kleinen Geistern. Nach dem Stück erklären sie noch die Handhabung ihrer schönen Figuren. Begeistert verlässt das altersgemischte Publikum die Kirche und weiß nun bestimmt, dass die Tradition des klassischen Puppenspiels - in dieser Form - erhaltenswert ist.

Nach der Pause ist im Rathauskeller ein Büro des Migrationsamtes aufgebaut. Karl-May-Bücher türmen sich auf dem Schreibtisch. Ein gerahmtes Foto zeigt Winnetou und Old Shatterhand. „Wir schaffen das!“ verkündet von der Wand ein Angela-Merkel-Poster. Bevor es losgeht erklärt der Amtmann dem Publikum: „Wir werden gleich Rothäute zeigen und Indianer sagen, wer das nicht will, sollte jetzt gehen.“ Beifall. Niemand geht.

Eine Zeitlang liest der Beamte im „Winnetou“ und lässt sich durch Anrufe nicht stören. Doch ein türkischer Mann verschafft sich fast gewaltsam Zutritt, er will deutscher Staatsbürger werden. Nach der obligatorischen Befragung durch den Staatsdiener soll er noch was zu Karl May sagen. „Ja, das ‚Kapital‘ kenne ich...“

winnetou 8263Die große Prüfung für ihn Deutscher zu werden, ist jedoch sein Mitspiel im „Der Schatze im Silbersee“ von Karl May. In der Amtsstube ist das Schattentheater aufgebaut, mal schlüpfen die beiden Darsteller in die Schattenrollen der Indianer und Weißen, mal streiten sie vor der Bühne. Streng hält sich die Vorstellung an die Handlung des Films: Auf der Leinwand werden Rothäute getötet, Weiße am Marterpfahl gequält. Weitere Szenen der Verfilmung, die seinerzeit besonders kritisiert wurden, werden genüsslich wiederholt: Ein Panther beißt einem Menschen den Kopf ab. Einem Bösen wird das Ohr abgeschnitten. Am Ende des gelungenen Theaters feiern der Amtmann und der frisch gebackene Deutsch-Türke Blutsbrüderschaft (Bild rechts).

Das Stück des Karlsruher Duos ist wunderbar frech, politisch unkorrekt und trieft vor Kitsch, der immer wieder gebrochen wird. Alte und aktuelle Kritik an Winnetou-Filmen wird genüsslich aufgegriffen, Stereotype verstärkt und maßlos übertrieben. Der einst Skalpierte trägt neue Haare als Mütze. Dazwischen viele Slapsticks und Wortwitz: „Ein Indianer kennt keinen Scherz!

Die beiden Spieler überholen Karl Mays Kritiker rechts und links so heftig, dass durch ihre Radikalität sowohl das Genörgel als auch das Kritisierte intelligent zersetzt werden. Sie zelebrieren eine Art Dekonstruktion, die der Kunstpädagoge Hartwig bereits in den 1970er-Jahre als (mit Verlaub) „Verarschen als Erkenntnisprinzip“ mit Jugendlichen praktizierte. Das Publikum ist begeistert, feiert lange die Darsteller und keiner nimmt die Darbietung wohl als kolonialistisch, rassistisch oder abwertend wahr.

Fotos:
Hanswerner Kruse