Bildschirmfoto 2022 09 24 um 22.35.01Das Deutschlandradio meldet sich 

Hans Dieter Heimendahl
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Wenn ich morgens das Radio anmache und die Nachrichten auf dem Bildschirm checke, ist es schnell vorbei mit dem verträumten Halbschlaf und ich mache mir Sorgen. Immer wird das, mit dem ich – vor allem, wenn es um die Ukraine geht – ins Bett gestiegen bin, von der Wirklichkeit überholt. Und diese Wirklichkeit trug in dieser Woche wieder den Namen Putin.

Er hat, als Antwort auf die militärischen Erfolge der Ukraine, eine Teilmobilmachung beschlossen und Reservisten in großer Zahl zu den Waffen gerufen. Eine Eskalation, die Bundeskanzler Olaf Scholz einen „Akt der Verzweiflung“ nennt. Dem widerspricht der Russlandexperte Stefan Meister: Dies sei eine kalkulierte Richtungsentscheidung, ein Zeichen an den Westen und ein Mittel, um den innenpolitischen Druck in Schach zu halten. Man kann nur hoffen, dass diese Teilmobilmachung sich militärisch kaum auswirkt, wie Stefan Meister erwartet.
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Wo aber Gefahr ist, glaubte der Dichter Hölderlin, wächst das Rettende auch. Bundeskanzler Scholz hat den Krieg Russlands als „blanken Imperialismus“ bezeichnet und in seiner Rede vor der Generalversammlung in New York in der Friedensordnung der Vereinten Nationen das Rettende erblickt. Den Stil, mit dem er in dieser Grundsatzrede versucht hat, den Führungsanspruch Deutschlands als einen Willen zum Dialog mit den Ländern des sogenannten Globalen Südens zu beschreiben, habe ich in unserer Mittagssendung „Studio 9“ als den Stil eines „Bandleaders“ beschrieben. Scholz will mit Musikern aus allen Teilen der Welt einen großen gemeinsamen Song von Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit anstimmen – der nur klingt, wenn alle mitspielen. Vielleicht ja sogar „You’ll Never Walk Alone“, das ja nicht nur Fußballstadien vereint, sondern das Lied ist, mit dem der Bundeskanzler innenpolitisch punkten will, wenn es um die Entlastungspakete in der Energiekrise geht.
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Statt gemeinsam den großen Song zu spielen, diskutieren wir in Deutschland noch, mit welchem Beat wir rangehen wollen. Unsere westlichen Nachbarn haben beschlossen, in Paris Eiffelturm und Louvre nachts eine Stunde kürzer zu beleuchten. Das bringt zwar nur wenige Prozent Einsparung, hat aber große symbolische Bedeutung. Wir erörtern, ob wir die Läden abends schon um 20 Uhr schließen sollen. So hat es eine Supermarktkette vorgeschlagen. Das hat nur geringe symbolische Bedeutung, scheint mir. Aber vielleicht doch nicht? „Das ist die Mottenkiste des 20. Jahrhunderts!“, meint bei uns im Programm Christoph Richter und beschwört die gewonnene (Öffnungs-)Freiheit, die man nicht gefährden dürfe. „Warum denn nicht“, entgegnet Silke Hasselmann, „zivilisiertes Leben ist trotzdem möglich!“

Furchtbar viel Energie wird ab nächster Woche in Kassel gespart. Da gehen bei der Documenta 15 an diesem Wochenende nach 100 Tagen die Lichter aus – endlich, mag mancher ergänzen. Sowohl die Kunstwelt, als auch die deutsche Öffentlichkeit blicken mit gemischten Gefühlen auf DAS Kunstereignis des Jahres zurück, das sich vom Antisemitismusverdacht nicht befreien konnte. „Es bleibt uns nichts anderes übrig, als diese Debatte weiterzuführen“, resümiert Meron Mendel in unserem Programm. Dabei wollte die Documenta doch „nur“ – wie so viele Ausstellungen in diesem Jahr – die Welt retten. Ob und wie das gelungen ist, davon erzählt unser Kulturpodcast „Lakonisch Elegant“.
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Ach, manchmal wünsche ich mir die Weltrettungseuphorie zurück, mit der bei uns die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future diesen weltweiten Demonstrationsfreitag eingeläutet hat. „Wir gehen nicht auf die Straße trotz der vielen Sorgen der Menschen, sondern wegen der vielen Sorgen!“ Wir sollten einfach mitgehen. Und zusammen singen.

Foto:
© imago images / Fotostand / Lammerschmidt

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