Hanswerner Kruse
Schlüchtern (Weltexpresso) - Die Aneinanderreihung von Schriftzeichen / man nennt sie Wörter, die etwas bezeichnen / sie flatterten, flogen, piekten oder bohrten / sich fürchterlich geschwind durch unsere Ohren...
Oder um es nun im Zeitungsdeutsch auszudrücken:
Die poetischen Wortkaskaden, die am KulturWerk-Abend auf das Publikum herabprasselten, ließen sich kaum mitschreiben. Diesem Poetry-Slam-Sturzbach ging ein Workshop von Lars Ruppel mit 16 Schülern und Schülerinnen im Hutten-Gymnasium voraus. Bereits am Nachmittag motivierte er die Jugendlichen den inneren Deutschlehrer zu ignorieren und frei von gewohnten Sprachzwängen, einfach drauflos zu dichten. Um „neue Welten zu erschaffen“ bot er ihnen außergewöhnliche Spiele mit Wörtern an.
Der Poet ermunterte sie, etwa tief im Wortschatzkästchen, unbekannte Synonyme zu suchen: Was kann man denn für Hund oder zum Fliegen sagen (siehe oben die von ihm inspirierte Einleitung des Verfassers dieser Zeilen). Oder das Sprachspiel, schnell sagt nacheinander jeder ein Wort zu einer Geschichte, in einem vorher festgelegten Genre. Heraus kamen absurde, surreale, deutschfehlerhafte und wenig logische Erzählungen. Aber genau mit diesem Spiel schuf er auch abends im Publikum eine entspannte und kreative Atmosphäre. Darin trauten sich sieben Jugendliche mit ihren Texten auf die Bühne und slammten ausdrucksstark über ihr Leben.
Daraus wollen wir hier klitzekleine Auszüge zitieren. Kathi spielte mit Zahlen und dem Älterwerden: „Mit dreißig dann der erste Schock / Wo ist die Zeit geblieben?“ Pia erkannte, „tausch doch dein Gewissen ein / schuldig will hier keiner sein!“ Kilian fragte, „wer bin ich / ich bin ein lebender Mensch / bin ein liebender Mensch.“ Tim träumte, „ich bin gar nicht hier / zumindest wünsch ich es mir.“ Frida war richtig sauer, „nicht allein durch die nächtlichen Straßen gehen zu können / doch ich liebe das Leben.“ Michelle „sieht in die Zukunft und wird nicht schlau draus“, glaubt aber optimistisch, „dass ich alles schaffen kann.“
Philipp dachte darüber nach, „was soll ich werden? Was ist das Richtige für mich.“ Eine hervorragende Abi-Rede freute sich Moderator Ruppel, der die Themen der jungen Leute jedes Mal aufnahm und kommentierte. Blitzschnell trug er zwischen ihren Auftritten Assoziationen dazu bei, erzählte witzige oder makabre Erinnerungen an die eigene Jugend („Meine Mutter weinte als ich Dichter werden wollte“) und deklamierte seine Gedichte.
Damit alles nicht nur tiefsinnig und nachdenklich wurde, trugen als Zugabe vier Jugendliche ihre Aufgabe „Böses über ein Substantiv“ vor. Philipp spottete über unattraktive Wölbungen von Turbinen, Pia ließ ihre Wut auf Duschhauben heraus, Kilian entpuppte sich als Pfannenhasser und Kathi reimte „Oh Du verdammter Ball / bist so rund und prall...“
Der humorvolle Comedian, genialer Wortakrobat und respektvolle Lehrmeister Ruppel wurde vom Publikum gefeiert und hatte ganz offensichtlich selber viel Spaß an diesem unterhaltsamen Abend.
Foto:
Lars Ruppel © Hanswerner Kruse
Poetry Slam...
...ist eigentlich ein auf der Bühne vor Publikum ausgetragener Wettbewerb, bei dem die Slammer selbst verfasste Texte vortragen. Dabei ist die originelle Vortragsweise genauso wichtig wie der Inhalt. Ruppel verzichtete natürlich auf die Rivalität der Beteiligten.