Die Pest"Die Pest" im Fuldaer Theater

Hanswerner Kruse

Fulda (Weltexpresso) - Im fast ausverkauften Schlosstheater präsentierte Schauspieler Božidar Kocevski eine Solodarbietung des Romans „Die Pest“ von Albert Camus. Diese Inszenierung des Deutschen Theaters in Berlin Ende 2019 (Regie András Dömötör), war tatsächlich prophetisch, denn damals ahnte niemand die drohende Corona-Pandemie.

Während das Fuldaer Publikum ins Theater strömt, hockt ein Mann mit dem Rücken zum Saal auf halbdunkler Bühne. Darauf erkennt man vage aufeinander gestapelte Stühle. Das Licht erlischt, der Spieler hält im Dunklen seinen Prolog über „Plagen, die plötzlich hereinbrechen.“

Im Hellen beginnt er dann mit der düsteren Erzählung aus der algerischen Stadt Oran, in der in den 1940er-Jahren eine Rattenplage herrschte. Zunächst krepierten leise fiepend nur wenige Nager, lagen verfaulend hier und da herum. Kaum jemand nahm das Phänomen ernst, doch als die Zahl der toten Ratten extrem anschwoll, wurde die Bevölkerung unruhig. Eines Tages hörte das Tiersterben schlagartig auf, die Menschen dachten, nun sei alles vorbei. Aber bald verendeten sie selbst mit Fieber und eiternden Wunden, qualvoll wie die Ratten.

Die Pest DT Berlin c Arno Declair 1 KLEIN 1234
Das Wort Pest will der Erzähler nicht länger vermeiden und verstreut schwarze Federn auf der Bühne: Panik kam auf, die Leute flohen trotz des Verbots aus der Stadt. Schuldige wurden gesucht. Die Pfarrer verkündeten der schwarze Tod sei Gottes Strafe. Ein Serum war nicht zur Hand. Die Behörden verhängten den Belagerungszustand. „Wir waren zu Verbannten geworden.“ Vom Bühnenhimmel regnet Asche herunter: Angesichts überfüllter Spitäler und Massengräbern wollte Doktor Rieux helfen und heilen, obwohl er wusste, dass sein Kampf vergeblich war: „Der Bazillus bleibt unbesiegbar.“
Irgendwann war das Grauen dann einfach vorbei: Ein Mann auf der Rampe entfernt Asche und Federn mit dem Staubsauger, aber der Schauspieler verkündet, „Pestbazillen sterben nie!“

70 Minuten lang spricht der großartige Akteur den mächtig gekürzten Text des Romans, ihm gelingt es, dessen Atmosphäre auf der Bühne zu erschaffen. Im Gegensatz zum Buch weiß man sofort, der neutrale Berichterstatter ist Doktor Rieux. 


Während der Erzählung verteilt er Stühle und schlüpft in wechselnde Rollen. Er gibt den Rieux und streitet mit dem Journalisten, der heimlich fliehen will, später bleibt und des Doktors Freund wird. Mit dem Jesuitenpater legt er sich an: „Ich werde bis zu meinem Tod keine Schöpfung akzeptieren, die Kinder tötet.“

Weil Kocevski alle wichtigen Figuren darstellt, erscheinen durch seine Rollenwechsel die Dialoge weniger konfrontativ als im Buch. In den Auseinandersetzungen wirken die unterschiedlichen Charaktere nicht so dramatisch, wie man sie beim Lesen erlebt: Ja, wir sind im postdramatischen Theater. Doch das Alleinsein des Schauspielers auf der Bühne symbolisiert für uns Zuschauende einfühlsam die Einsamkeit des Protagonisten Rieux - in seiner leisen Revolte gegen die Katastrophe.

Camus wies darauf hin, dass sein Roman nicht (nur) von der Pest handle, sondern eine Allegorie auf pestartige Zustände wie Faschismus, Stalinismus oder andere Desaster sei. Ihn beschäftigte, wie handeln Menschen angesichts von Einschüchterung, Terror und Tod? Werden sie Mitläufer oder verzweifeln sie an der Wirklichkeit? Der Autor verweigerte sich dem religiösen Trost und forderte die Revolte gegen eine sinnlose und absurde Welt. Um ihr durch Handeln Sinn zu geben, verlangte er von seinen Mitmenschen Solidarität, Liebe und Freundschaft. Denn er glaubte an das Gute im Menschen trotz ihrer Schwächen.

Camus in seinen Tagebüchern:
Ich will mit der Pest das Ersticken ausdrücken, an dem wir alle gelitten haben, und die Atmosphäre der Bedrohung und des Verbanntseins, in der wir gelebt haben. Ich will zugleich diese Deutung auf das Dasein überhaupt ausdehnen. Die Pest wird das Bild jener Menschen wiedergeben, denen in diesem Krieg das Nachdenken zufiel, das Schweigen – und auch das seelische Leiden.

Foto:
© Arno Declair / Deutsches Theater