robert schittko copyright 7 1SCHAUSPIEL FRANKFURT zur Spielzeit 2023/24, Teil 1

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mateja Koležnik eröffnet die Spielzeit auf der großen Bühne mit Molières »Der Geizige«. Diese Komödie karikiert den Typ des reich gewordenen, aber geizig gebliebenen Bürgers, der seine lebensfrohen, konsumfreudigen Kinder mit seinem Geiz erstickt. Mateja Koležniks filmisch anmutende, hyperrealistische Bildsprache, die den Zuschauer:innen bereits aus »Yvonne, die Burgunderprinzessin« und »Hedda Gabler« bekannt ist, sucht in der aberwitzigen Komödie die menschliche Verfehlung.

Der menschlichen Verfehlung und Fehlbarkeit begegnet man auch in einer neuen Arbeit von Claudia Bauer. Nach dem Publikumsliebling »Der diskrete Charme der Bourgeoisie« gelangt mit »Der Würgeengel« ein weiterer surrealistischer Film des Oscar-Preisträgers Luis Buñuel in einer Überschreibung von PeterLicht und SE Struck auf die große Bühne. Das Autorenduo untersucht mit bissigem Humor und einem heutigen Blick eine wiedererkennbare gesellschaftliche Klasse, die trotz oder aufgrund ihrer Privilegiertheit, ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten handlungsunfähig ist. Nach »Mephisto« und »Der diskrete Charme der Bourgeoisie« ist dies Claudia Bauers dritte Inszenierung am Schauspiel Frankfurt.

Die Mitwisser der zutiefst menschlichen Unfähigkeit, eine friedlichere Welt zu gestalten, begegnet man in einer Figur, welche die Zwischenräume der Zeit zu durchschreiten vermag. Johanna Wehner, bekannt für ihre aufwendig komponierten, musikalisch verdichteten Textfassungen sowie die Erschaffung atmosphärischer Weltentwürfe, inszeniert nach »Geschlossene Gesellschaft« und »Hiob« nun »Dracula« am Schauspiel Frankfurt: als musikalische Produktion, mit besonderem Interesse für die Sedimente der Verdrängung in der menschlichen Psyche.

»Orlando – Eine Biografie« in der Regie von Jessica Glause bedient sich einer Figur, die die Zeit durchstreift, aber ganz andere Zwischenräume öffnet bzw. Grenzen auflöst. Mit Witz demontiert Virginia Woolf scheinbar Unverrückbares: Stand, Status, Geschlecht, Macht. Jessica Glause geht zusammen mit ihrem Team der Frage nach Identität und Dasein auf den Grund und legt offen, wie sich Epoche für Epoche Beziehungen zwischen Natur, Gesellschaft, Literatur und Geschlechterzuschreibungen verändern.

Nach »Die Ratten« von Gerhart Hauptmann und »Michael Kohlhaas« von Heinrich von Kleist widmet sich die Regisseurin Felicitas Brucker mit »Don Carlos« nun Friedrich Schiller. In ihrer Inszenierung rückt die strukturelle Gewalt innerhalb gesellschaftlicher, politischer und familiärer Konstellationen in den Mittelpunkt.

Mit dem Familienstück »Momo«, mit dem sich die Regisseurin Christina Rast erstmals in Frankfurt präsentieren wird, kommt eine fantastische Geschichte über das Geschichtenerzählen, über Freundschaft und Mut für alle ab 8 Jahren auf die Bühne. Momo bringt den Menschen gemeinsam mit der Schildkröte Kassiopeia und dem Hüter der Zeit, Meister Hora, die von den grauen Herren gestohlene Zeit zurück. Aber nicht nur das Geheimnis der Zeit kennt Momo, sie hat noch ein weiteres Talent, das Zwischenräume öffnet, in dem sich Menschen neu begegnen können: sie kann zuhören.

»Die Brüder Karamasow« waren Dostojewskis letzter monumentaler Roman und wirft die menschlichen Grundfragen nach Schuld und Verantwortung, Sinn und Moral, Leid und Mitleid, Liebe und Vergeltung auf. Laura Linnenbaum war Stipendiatin des REGIEstudio am Schauspiel Frankfurt und brachte in der Spielzeit 2014/15 »MS Pocahontas« von Gerhild Steinbuch und »Vom Fischer und seiner Frau« von Simon Paul Schneider zur Uraufführung. Mit »Die Brüder Karamasow« kehrt sie nun zurück ans Schauspiel Frankfurt und wird sich diesem Stoff auf der großen Bühne widmen, in dem alle Rollen weiblich besetzt sein werden.

Zwei Regisseurinnen werden in der kommenden Spielzeit sowohl auf der großen Bühne als auch in den Kammerspielen arbeiten. Damit baut das Schauspiel Frankfurt eine personelle Brücke zwischen den Räumen und zeigt, wie sich beide Spielstätten gegenseitig ergänzen. In den Kammerspielen liegt der Fokus dabei weiterhin auf der Gegenwartsdramatik.

Christina Tscharyiski eröffnet die neue Spielzeit in den Kammerspielen mit einer Uraufführung. Das Leben und Werk der jüdischen Autorin Mascha Kaléko sind Ausgangspunkt für ein neues Stück von Anja Hilling, die für das Schauspiel bereits »Liberté oh no no no« geschrieben hat. »Mascha K.« erzählt von einem Leben, in dem das einzige Verweilen in der Bewegung liegt, von Versuchen, Familien zu gründen, in der Kunst, in der Konvention, in der Liebe.

Mit der absurden Komödie »Der Raub der Sabinerinnen« inszeniert Christina Tscharyiski im Schauspielhaus den Schwank der Gebrüder Schönthan von 1884, der humorvoll den Kunst- und Kulturbetrieb aufs Korn nimmt und hinterfragt, warum und wie wir Theater gerne denken und zeigen wollen.

Auch Lilja Rupprecht wird in der Spielzeit 2023/24 mit zwei Inszenierungen am Schauspiel Frankfurt vertreten sein. Nach »Malina« nach Ingeborg Bachmann sowie Sartres »Die schmutzigen Hände« wird sie sich im Schauspielhaus Rainer Werner Fassbinders »Die Ehe der Maria Braun« widmen.

Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat mit »Sonne/Luft« einen vielstimmigen, heiteren wie gnadenlosen Text über den Klimakollaps geschrieben, ohne dies explizit werden zu lassen. Lilja Rupprecht wird in den Kammerspielen dieser Vielstimmigkeit auf die Spur gehen und untersuchen, wieviel echte Natur uns überhaupt umgibt bzw. wie sehr wir es uns in der Kulissenhaftigkeit unseres Daseins eingerichtet haben.

Die Kammerspiele sind auch ein Ort für neue, junge Regiehandschriften. Mit der deutschsprachigen Erstaufführung von »Killology« des am Royal Court Theater uraufgeführten Theaterstücks von Gary Owen setzt das Schauspiel Frankfurt die Nachwuchsförderung am eigenen Haus fort. Helena Jackson ist seit 2021 Regieassistentin am Schauspiel Frankfurt und wird sich nach »Victory Condition« in der Box mit diesem Stück in den Kammerspielen erstmals vorstellen.

»Die verlorene Ehre der Katharina Blum« von Heinrich Böll wurde kurz nach deren Erscheinung 1974 verfilmt. Böll selbst beschrieb die Erzählung später als Pamphlet, das auf die konfliktverstärkende Rolle des Boulevardjournalismus in der öffentlichen Beachtung der RAF Bezug nehme. Er selbst hatte sich zuvor als Opfer einer Medienkampagne gesehen und stellt Katharina Blums Fall als das Vorgehen der Presse beispielhaft zur Schau. Die junge Regisseurin Sapir Heller inszeniert diese Erzählung als temporeiche Verfolgungsjagd, die auf die Nähe des inzwischen allgegenwärtigen Sensationsjournalismus zum heutigen Populismus verweist. Es ist Sapir Hellers erste Arbeit am Schauspiel Frankfurt.

»Phädra, in Flammen« ist eine Parabel über Repression und Sehnsucht nach Freiheit, eine Überschreibung des antiken Mythos in der poetischen, spielerischen Sprache der preisgekrönten Gegenwartsdramatikerin Nino Haratischwili. Sie verwebt Motive des antiken Mythos mit gegenwärtigen Fragestellungen von Sexualität, Emanzipation, Privilegien und Machtpolitik. Das Stück zeugt vom System im Umbruch, in dem progressives Denken und regressive Kräfte miteinander um Deutungshoheit ringen. Mit Max Lindemann stellt sich ebenfalls ein junger Regisseur erstmals in Frankfurt vor.

Auf sehr vergnügliche Art und Weise widmet sich ein Auftragswerk des Schauspiel Frankfurt ausschließlich dem männlichen Geschlecht. Der Autor und Regisseur Bonn Park ist bekannt für seine absurd komischen, von Zartheit und spielerischem Witz und Leichtigkeit getragenen Arbeiten. 2014/15 war er Mitglied des AUTORENstudio am Schauspiel Frankfurt. Nun kehrt er auch als Regisseur seines Werks »Hier ist er, Okocha, Jay-Jay Okocha, immer noch« ans Schauspiel Frankfurt zurück.

Die Box am Schauspiel Frankfurt ist ein Ort für Experimente, ungewöhnliche Begegnungen und neue Erfahrungen. Auch in der neuen Spielzeit werden hier Regiedebüts gefeiert, neue Formate erprobt und andere Wege eingeschlagen. Mit Projekten von Manja Kuhl, Janina Velhorn u.a.

Foto:
©Robert Schnittke

Info: 
www.schauspielfrankfurt.de