Foto Pavillon Deutschland

Architekturbiennale Venedig 2023

Corinne Elsesser

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ausstellungen über Architektur sind wie diese selbst immer nur Momentaufnahmen eines über Jahre andauernden Planungs- und Optimierungsprozesses. Dies spiegelt das Motto "Laboratory of the Future", unter dem die nigerianische Architektin Lesley Lokko, die in diesem Jahr die 18. Architekturbiennale in Venedig kuratierte, ein ganzes Netzwerk junger aufstrebender Architekten, Künstler und Designer versammelte, die für jene Vorläufigkeit und für Veränderungen stehen.


In der Ausstellung im Arsenale, der einstigen Seilerei der venezianischen Schiffswerft, die neben den Länderpavillons in den Giardini Hauptstandort der Biennale ist, sollen Architekten aus dem "globalen Süden", speziell aus Afrika, eine Stimme erhalten und neben all den Stararchitekten, die gemeinhin alle zwei Jahre in Venedig vertreten sind, zu Wort kommen. Einige der wenigen realisierten Bauten des 1935 in Idumuje-Ugboko, Nigeria, geborenen, in Europa so gut wie unbekannten Architekten Demas Nwoko sind zum Beispiel zu sehen, der zudem für sein Lebenswerk geehrt wurde.

Insgesamt, auch in den Länderbeiträgen in den Giardini, schwingt ein gewisser politischer und sozial engagierter Unterton mit, statements, die sich um zurzeit in Mode befindliche Themen wie Klima, Nachhaltigkeit, Rassismus oder Vielfalt drehen. Vieles ist eher der Kunst zuzuordnen, der in den letzten Jahren ohnehin gern eine politische Konnotation unterstellt wird. Kaum kann sich der Besucher mit allen Projekten eingehend beschäftigen und muss eine Auswahl treffen, wie auch im Folgenden nur einige wenige Architekturbeiträge vorgestellt werden, die auf dem Weg von China bis Japan auffielen. 

 

ZAO/standardarchitecture aus Peking zogen ein großes Architekturmodell für ein Sozialwohnprojekt bis unter die Decke eines der hohen Räume des Arsenale und platzierten darunter fein gearbeitete kleine Beton- und Holzmodelle ihrer realisierten oder noch im Bau befindlichen Gebäude. Bürogründer Zhang Ke macht auf eine Dorfschule in Longji aufmerksam, in der nur 20 Schüler unterrichtet werden, die dort neben Unterrichtsräumen Aufenthaltsmöglichkeiten und eine Küche vorfinden, in der sie kochen lernen. So fördere die Schule nicht nur das soziale Miteinander, sondern auch die Integration von Kindern unterschiedlicher Herkunft. 

 

Im Außenbereich des Arsenale steht ein großer, aus schwarzen Holzlatten zusammengestecker Pavillon von Sir David Adjaye, der aus Accra stammt und inzwischen Büros in London und New York unterhält. Der Bau wirkt von außen düster und abgeschottet und überrascht in seinem Inneren mit einer eindrucksvollen Lichtregie.

 

Auf dem Gelände der Giardini lassen viele der Länderpavillons ihre jeweilige indigene Bevölkerung zu Wort kommen. Die 1962 von Sverre Fehn in zurückhaltendem Naturstein gestaltete Pavillon der Nordischen Länder wurde seit der Kunstbiennale 2022 in "Sami-Pavillon" umbenannt. Hier stellt nun der Künstler Joar Nango sein über 15 Jahre zusammengetragenes Archiv zur Architektur der Samen vor, das mit Büchern, Naturmaterialien, grob gewebten Stoffen und Holzbalken den weiten hellen Raum des Pavillons fast verschwinden lässt.

Unter dem Leitmotiv "Terra" visualisieren die Architekten Gabriela de Matos und Paulo Tavares im brasilianischen Pavillon den Begriff Erde in all seinen Konnotationen, vom Auslegen des gesamten Bodens mit Muttererde aus dem Amazonasgebiet bis hin zur Erde als Existenz- und Nahrungsgrundlage. Mit einem Fokus auf Kolonialgeschichte und der afrobrasilianischen Bevölkerung stellt der Pavillon einen Afrikabezug her. Er wurde gleich zu Beginn der noch bis 23. November dauernden Architekturbiennale mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet. 

 

Foto Pavillon SchweizDSC02265 1Soziale Fragen und gesellschaftliche Teilhabe werden zum einen mittels überzeugender architektonischer Eingriffe thematisiert wie am Schweizerischen oder am Österreichischen Pavillon oder mit ironischem Beiklang wie im Niederländischen Pavillon, in dem Jan Jongert (Superuse) ein Wasserleitungssystem vorstellt, in dem statt Wasser Geld in jeden Haushalt fliesst und man eben zwecks breiterer Verteilung der Geldströme nur den "Geldhahn" aufdrehen müsste.

 

Am 1952 von Bruno Giacometti erbauten Schweizer Pavillon entschied man sich, eine Außenwand zum angrenzenden Pavillon von Venezuela (erbaut von Carlo Scarpa 1954) abzutragen und sich dem Nachbarn gegenüber zu öffnen. Eine Geste, so Philip Ursprung, der zusammen mit der Künstlerin Karin Sander (beide ETH Zürich) die Ausstellung kuratierte, die der Schweiz heutzutage auch politisch gut tun würde. 

 

Unter dem Titel "Beteiligung / Participation" führt das Wiener Architekturkollektiv AKT zusammen mit dem Architekten Hermann Czech im Österreichischen Pavillon vor Augen, wie eine avisierte Öffnung auch in ihr Gegenteil umschlagen kann. Zuerst plante man, eine Tür in die Mauer des streng bewachten Giardinigeländes zu schlagen, um den Bewohnern des angrenzenden Quartiers Sant’Elena die Möglichkeit eines freien Eintritts zur Biennale zu bieten. Als diese Geste sozialer Teilhabe seitens der Behörden untersagt wurde, kam man mit dem Vorschlag einer provisorischen Brücke über die Aussenmauer. Und als dies ebenfalls untersagt wurde, liess man das herangeschaffte Baumaterial einfach liegen, Stand heute, und so sieht der 1984 von Hans Hollein erbaute Pavillon wie eine Baustelle aus, die die Bauarbeiter fluchtartig verlassen haben. 

 

Die deutschen Architekten Summacumfemmer und Juliane Greb funktionierten in Zusammenarbeit mit Arch+ unter dem Motto "Open for Maintenance – Wegen Umbau geöffnet" den imposanten 1938 von Ernst Haiger umgebauten Pavillon zu einem Materiallager um. Das im Inneren sorgfältig aufgeschichtete gebrauchte Baumaterial von der Kunstbiennale soll im Rahmen einer "Sorgearbeit" für Bauvorhaben in Venedig zur Wiederverwendung angeboten werden.

 

Im japanischen Pavillon steht wieder die Architektur im Mittelpunkt. Kurator Onishi Maki konzentriert sich auf den Entwurf des Pavillons von Takamasa Yoshizaka aus dem Jahr 1956 und zeigt im Inneren originale Zeichnungen und Pläne, während der filigrane Bau aussen mit einem fast immateriell wirkenden Sonnendach aus recycelten Materialien geschützt wird. Nicht ein Eingriff in die Struktur des Gebäudes, vielmehr eine sensible Hinzufügung mit den Mitteln unserer Zeit. 

 

Insgesamt 64 Länderbeteiligungen zeigen architektonische wie auch künstlerische Positionen, die es lohnt zu entdecken, nicht nur im Arsenale und in den Giardini, sondern an zahlreichen weiteren Ausstellungsorten in der Stadt.

 

Fotos: 
1. Deutscher Pavillon, Aussenansicht, © ARCH+/Summacumfemmer/Juliane Greb
2. Mauerdurchbruch im Schweizer Pavillon mit Blick auf den Nachbarn Venezuela, © Martin Lauffer



Info:
18. Biennale Architettura di Venezia 2023
bis 26. November
Katalog: Biennale Architettura 2023, The Laboratory Of The Future, 2 Bd., 450 S./220 S., englisch/italienisch, 80 Euro.
Kurzführer: Biennale Architettura 2023, The Laboratory Of The Future, 240 S., englisch/italienisch, 18 Euro.