Figurentheater in Osthessen - der Chefredakteurin von Weltexpresso gewidmet
Hanswerner Kruse
Steinau/Schlitz (Weltexpresso) - Als Figurentheater für Erwachsene präsentiert das Theatrium in Steinau tatsächlich den legendären Film „Manche mögen’s heiß“. Eigentlich ist es unmöglich, solche Kultfilme, dazu noch mit einer Ikone wie Marylin Monroe, auf die Bühne zu bringen. Allerdings verbinden die Akteure klassische Theaterszenen mit Puppenspiel und verlegen die Handlung in ein altes aufgegebenes Lichtspielhaus.
Darin sind nur noch Ratten übriggeblieben, die alle Filme auswendig kennen, die jemals hier liefen. Natürlich sind diese Kino-Ratten keine ekligen Wesen, sondern freundliche Kuscheltiere, vor denen man sich nicht zu fürchten braucht. Im Stück wollen sie bei einem Treffen mit befreundeten Nagern den Kultfilm mit der Monroe ansehen. Doch der Streifen reißt - nun spielen sie selbst Szene für Szene in der Originalversion, aber mit grotesken Überraschungen.
Gerade die liebevolle Verfremdung der Ratten zu Filmlegenden, ermöglicht die Distanz der Zuschauenden zum kultigen Original.
Darüber hinaus verstecken sich die Darsteller im Figurentheater nicht wie einst im Marionetten- oder Kasperlespiel. Sie sind stets sichtbar, bauen selbst die Bühne um und werden zu Mitspielenden (Bild rechts). Während sie ihre Geschöpfe beleben, müssen sie ohnehin deren Bewegungen und Gefühle ausdrücken - das verdoppelt den dramatischen Ausdruck. Manchmal kommunizieren sie auch untereinander oder mit ihren Wesen. Durch Licht, Musik und Gesang werden manche Stücke abgerundet. Das Theatrium arbeitet auch mit wunderschön gefertigten Puppen wie in „Amadeus“ (Bild unten) oder bedrohlichen Gestalten wie in „Adam und die Äpfel“.
Aber das Figurentheater erweitert die Möglichkeiten der zeitgenössischen Bühnenkunst erheblich. In „Manche mögen’s heißt“ wird der Kontrabass zum Ruderboot, in dem sich die Monroe und ihr Lover treffen. Denn alle Dinge, nicht nur Puppen wie die Ratten, können belebt werden und sich vor den Augen der Zuschauenden magisch verwandeln. Deshalb wird diese Form des Schauspiels auch Objekttheater genannt.
In einem älteren Stück des Theatriums, „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“, verhört ein kaputter Gummistiefel den entwichenen alten Gauner. Ein Brötchen mit Gesichtswurst wird zur Puppe. Fische aus Schaumstoff verwandeln sich in groteske politische Wesen des 20. Jahrhunderts: Stalin, Franco oder Mao, denen der „Hundertjährige“ einst begegnete (Bild rechts). Auf einfache Weise sind so originelle Rückblenden, Erinnerungen und andere Zeitsprünge möglich, die im normalen Schauspiel ohne digitalen Aufwand gar nicht umsetzbar wären.
Im digitalen Zeitalter haftet diesem Objekttheater etwas Antiquarisches an. Aber das ist weder Behelf noch Selbstzweck, denn in den Darbietungen wird zugleich die Verzauberung transparent und eine sinnliche Aura gegen mediale Perfektion geschaffen. Das Illusionstheater stellt sich dadurch zwar ständig in Frage, doch die Handlung wird immerzu magisch transformiert: Das Staunen ist wesentlicher Bestandteil des Figurentheaters!
Seit sechs Jahren hat das Theatrium von Detlef Heinichen und seiner Frau, der deutschlandweit arbeitenden Kostümbildnerin Ella Späte, in Steinau Fuß gefasst. Sonntags gibt es häufig Kindervorstellungen. Ansonsten werden auch lokale Entertainer wie die Märchenerzählerinnen der Grimm-Stadt oder überregionale Musik- und Theatergruppen präsentiert.
Das Theatrium ist nicht das einzige Figurentheater für Erwachsene in Osthessen. Aber das „Theater con Cuore“ in Schlitz von Virginia und Stefan P. Matz , ist reines Tourneetheater. Die beiden spielen leider selten in Fulda wie neulich im Kulturkeller, wo sie das Musical „Hear my Song“ aufführten: Der traurige Marc betritt die Bühne, erblickt die skurrilen Kulissen eines Puppentheaters und wird von der Spielerin Vianne angelockt.
In Rückblenden erzählt Marc ihr von seinen Versuchen, mit einem Hund, einer großen Puppe, als Gesangsstar erfolgreich zu werden. Die Hundepuppe sang und quasselte und bellte - aber vergeblich, der Erfolg blieb aus. Die Geschichte rührt Vianne, die beiden werden ein Paar und ziehen als Schausteller umher. Sie lassen ihre fantastisch schönen Figuren auf Stäben, als Klappmaulpuppen oder an Marionettenfäden agieren, auch eine Barbie spielt mit. Jedoch verwandeln sich die beiden ständig in mitspielende Figuren: Einmal wird Vianne zur lebendigen erotischen Blume und lockt Marc, die brummende Hummel an (Foto oben). So wie in diesem Aufklärungsspektakel verdoppeln sich die zwei Akteure häufig durch Puppen mit ihrem Abbild.
Aber die Idylle bekommt Rissen, es entstehen Rivalität und Eifersucht: Marc knutscht mit einer lebensgroßen Vampirblondine. Vianne verwandelt sich lasziv in Gabriela Gato und bedient die Fäden der ihr ähnelnden Marionette (Foto links). Am Ende finden jedoch beide erneut zueinander. Ihre Revue mit Gesang und Musik vereint Drama und Poesie, denn der Theatername ist Programm:
Con Cuore heißt mit Herz, doch angespielter Kitsch wird im Stück ständig ironisch gebrochen.
Besonders für seine Kinderstücke bekam das Duo bisher zahlreiche Preise.
29. Puppenspieltage in Steinau
Vom 16. bis 24. September finden in Steinau die 29. Puppenspieltage statt. Im Theatrium und Rathauskeller zeigen zahlreiche deutsche Gastbühnen eine große Bandbreite des zeitgenössischen Figurentheaters für Erwachsene oder Kinder. Infos, Programm & Tickets www.steinau.eu
Weitere Informationen über Figurentheater in Osthessen:
Theatrium
Theater con Cuore
Fotos:
© Hanswerner Kruse
außer "Marylin" (2. Bild von oben) © Steffen Eckel und "Der Hundertjährige" (5. Bild von oben) © Koni Merz