210708 Dance On Marmo by Jubal Battisti 505 KopieDas „Dance On“ Ensemble im Schlosstheater

Hanswerner Kruse

Fulda (Weltexpresso) - Auf der leeren schwarzen Bühne agieren drei weiß gekleidete Menschen mit alltäglichen aber schwierigen Bewegungen. Obwohl es nur um pure Schwingungen geht, zerfällt das Trio immer wieder in neue Konstellationen und weckt Fantasien. Etwa zwei gegen einen. Ansonsten Stille, man hört nur Getrappel. Tapp. Tapp. TappTappTapp.  



Ein Paar vollführt im zweiten Teil gleichzeitig drehende, hüpfende, tänzerische Aktionen ohne miteinander in Kontakt zu kommen. Ein kalter, unnahbarer Pas de deux. Im dritten Stück vier Umhergehende, Hopsende, sich Umringelnde in diversen Situationen.

Es muss eine Revolution gewesen sein, als diese postmodernen „Silent Works“ der Choreografin Lucinda Childs in den 1970er-Jahren auf die Bühne kamen. Es war die Zeit, als das klassische Ballett erneut radikal infrage gestellt und der Modern Dance wiederbelebt wurde. „Tanz kann alles sein“, forderte zur gleichen Zeit Pina Bausch, die Pionierin des deutschen Tanztheaters - und das zeigen auch diese drei kleinen Werke. 

Die Berliner „Dance On“ Compagnie hatte die, heute etwas verstaubt wirkenden Stücke neu einstudiert, um nach der Pause darauf eine aktuelle Antwort zu geben. Die Erwartungen waren hoch, doch die tänzerische Reaktion auf die historische Herausforderung eher bescheiden. 

210708 Dance On Marmo by Jubal Battisti 699 KopieEs rappelt und knirscht und kracht. Fünf Personen bewegen sich zu Arbeitsgeräuschen diagonal über die leere Bühne. Eine schüttelt ihre weiß gepulverten Arme. Puder wirbelt auf. Schließlich stauben alle. Später winken einige mit den Händen, geben mit den Armen Zeichen. Wird ein Flugzeug eingewiesen? Werden Lastwagen dirigiert? Ständig changieren die Aktionen zwischen Tanz und Pantomime, kunstvollen und alltäglichen Bewegungen. Schließlich entwickelt die Gruppe sogar gemeinsame spannende Rhythmen, aus der sich hin und wieder Einzelwesen lösen.
Manchmal versuchen zwei sich zu umarmen, zu begegnen, aber es gelingt ihnen nur schwer. Hier erleben wir endlich zeitgenössischen Tanz, aber doch in etwas reduzierter Form. Die pantomimischen Anreicherungen wirken läppisch. 

Aus dem Presseheft ist zu erfahren, dass „Marmo“ in einem Steinbruch spielt - daher das Pulver an den Händen? Das Publikum soll den tänzerisch-pantomimischen Weg vom Abbau des Marmors bis zur Verarbeitung in der Bildhauerwerkstatt miterleben. Zugleich sind die Tänze Metaphern, auch die Tanzenden werden zum Material: „Dabei unterliegen sie denselben Regeln und Gegebenheiten und werden so selbst zur formbaren Materie, zur Skulptur“ (Presseheft).

„Dance On“ heißt auf deutsch weitertanzen, denn alle Mitglieder der Compagnie sind über vierzig. Früher mussten Tanzende spätestens ab Mitte dreißig aufhören zu arbeiten, sie passten dann nicht mehr in die dynamische, schöne Welt des Balletts. Das änderte sich, als Choreograf Jiri Kyliàn das „Nederlands Dans Theater III“ gründete und verhieß: „Tanzen bis zum Sterben!“ Seitdem wird das Publikum durch viele Compagnien von älteren Tänzerinnen und Tänzern fasziniert, deren Reife und Lebenserfahrungen ihren Körpern eingeschrieben ist. Sie mögen vielleicht langsamer sein, aber wesentlich stärker und individueller im Ausdruck als junge Tanzende. Dieser Aspekt war jedoch bei „Dance On“ kaum zu spüren. Dennoch begeisterten die Darbietungen an diesem Abend große Teile des Auditoriums.

Die Tanzenden:
Javier Arozena, Anna Herrmann, Emma Lewis, Omagbitse Omagbemi, Lia Witjes Poole, Ty Boomershine (auch künstlerischer Leiter)

Fotos
© „Dance ON“ Johanna Schumacher