Serie: Der zweite Schreibwettbewerb "Die Freiheit, die ich meine - Gewissensfreiheit", Teil 4
Christopher Schulz Kruckow
Leipzig (Weltexpresso) - Oft hatte ich das Gefühl, dass das, was wir taten, falsch war, doch mindestens genauso oft fühlte es sich wunderbar an. Das jetzt zu sagen, hätte nichts gebracht. Wozu auch? Es war dumm, so etwas zu sagen, denn es hatte keinerlei Aussage, weder dafür noch dagegen.
Eine ganze Weile saßen wir uns schweigend gegenüber. Die Lampe über dem Küchentisch, schien mir in letzter Zeit greller als sonst, und das obwohl sie stufenlos verstellbar war. Sie kaute an ihren Fingernägeln. Ich spielte mit einem Kuli, dessen Miene klickend ein- und ausfuhr. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Verrückt, wie unbedeutend einem die Zeit vorkommt, bis man sie aufgebraucht hat.
„Und, was machen wir jetzt?“ Ihre blonden Haare fielen auf die Schulter, als sie den Kopf hob und mir fragend in die Augen blickte. Sie hatte aschgraue Augen, genau wie ich.
„Johan, ich habe dich etwas gefragt.“
„Ich denke nach.“
„Das sagst du seit Wochen.“
Ich hatte Kopfschmerzen und fühlte mich seltsam. Seitdem sie ihre Haare kurz geschnitten hatte, wirkte sie erwachsener und seitdem drängte sie auch auf eine Entscheidung. Ich fühlte mich kein Stück erwachsener und wollte auch nicht entscheiden.
„Ich weiß nur, dass es so nicht weitergeht, ich habe dieses ständige Versteckspiel satt.“
Ich musste schlucken, als sie das sagte. Die Uhr an der Wand tickte nicht.
Ich konnte sie trotzdem hören.
„Ich auch, trotzdem willst du nicht, dass wir es einfach behalten.“
Sie schwieg. Jetzt lag Wut in ihren Augen.
„Es einfach behalten, wie sollen wir es denn bitte einfach behalten, wenn du nicht einmal weißt, was du willst?“
Wieder begann ich meine Stirn zu kneten, es ist unvorstellbar wie nervig sie sein konnte, wenn sie etwas wollte, dann spielte sie sich immer so auf als wäre sie älter, reifer und wüsste generell, was man im Leben zu tun und zu lassen hatte.
„Johan?”
Schon wieder dieser vorwurfsvolle Ton, schon wieder dieselbe Diskussion. Dabei hatte doch alles so gut, so einfach begonnen. Damals stellten wir uns nicht diese Fragen, damals stellte sie mir nicht diese Fragen. Ein regnerischer Abend, sie die unbedingt noch joggen wollte und dann durchgefroren vor unserer Wohnungstür stand, weil sie den Schlüssel vergessen hatte. Damals hatte sie noch lange Haare, daran erinnerte ich mich genau, wundervolle lange Haare, die vom Regen durchnässt an ihrem Sport-BH klebten. Ich hatte ihr geöffnet, sie hatte sich geduscht. Als ich hörte, dass sie unter der Dusche weinte, kam ich zu ihr und tröstete sie.
Wir gingen in mein Bett und irgendwann hörte sie auf, zu weinen.
Die Stadt war neu und wir brauchten uns einfach gegenseitig. Ist das denn so seltsam?
„Johan…“
Es reichte mir, jetzt hatte ich die Schnauze voll.
„Du erwartest von mir eine Lösung und weißt doch selbst nicht, was du willst, aber so läuft das nicht. Wenn wir die Entscheidung nicht zusammen treffen, werden wir unglücklich.“
Einen Moment lang wirkte sie verdattert, so einen Tonfall war sie von mir nicht gewöhnt. Tränen stiegen in ihre Augen. Ich war unfähig etwas zu sagen. Unser Wohnzimmer war klein und schäbig. Einfach alles hier zeugte davon, dass wir gar keine richtige Entscheidung treffen konnten. All die leeren Weinflaschen, in die sie Lichterketten gefüllt hatte, die Fotos unserer Freunde, die mich an zahlreiche Partys erinnerten und auch die unzähligen Notizzettel, Ordner und Lernblätter. Wir konnten es einfach nicht und selbst wenn, wie sollten wir es erklären? Trotzdem. All das waren wir und wir mochten dieses Leben.
„Ein Nein bedeutet das Aus. Ich wüsste einfach nicht, wie ich weitermachen sollte.“
Sie stellte das trocken fest, doch ihre Mimik sagte mir etwas anderes. Wer so mit den Tränen rang, war nicht kalt, egal was er auch sagte. Meine Hand tastete nach ihrer. Ihre Haut war weich und warm. Die kleinen Härchen auf ihrem Handrücken fühlten sich seidig an. Diese Haut ließ sich einfach mit nichts vergleichen, was ich kannte. Sie zog ihre Finger ein und ihre Hand zurück. Das warme Kribbeln verschwand genauso schnell, wie es gekommen war. „Ja, das wäre das Ende.“
Ihre Beherrschung brach in sich zusammen und sie schluchzte hemmungslos.
Ich stand auf und nahm sie in den Arm.
„Egal was wir machen, wir machen es falsch.“
Sie hauchte diese Worte in mein Ohr, ich streichelte ihren Kopf.
Ich drehte sie zu mir und sah ihr fest in die Augen.
„Nein, dass ich dich geliebt habe, war nie falsch. Und, … und ich tue es noch immer.“
Ich weinte nicht, auch wenn sie es tat. Ich hatte all meine Tränen bereits in den ersten Tagen nach dem Testergebnis aufgebraucht. Seitdem weinte ich nur noch in meinen Träumen oder in der Zeit, bevor sie Uni-Schluss hatte. Es sollte keiner meine Unsicherheit merken, vor allem nicht sie. Sie brauchte mich. Langsam fasste sie sich wieder. Umgehend wurde sie hart und fordernd.
Das war sie immer, nachdem sie geweint hatte.
„Wir müssen uns entscheiden, viel Zeit bleibt uns nicht.“
„Ich weiß.“
„Johan, es liegt auch an dir. Ich werde mich nicht entscheiden, bevor ich nicht gehört habe, was du dazu denkst.“
Mein Blick wanderte an ihrem sportlichen Körper entlang. Sie sah gut aus. Das hatte sie schon immer. Dass ihr Bauch sich leicht wölbte, störte mich nicht. Das Gegenteil war der Fall. Immer wenn wir schlafen gingen, umfasste ich ihn mit meinem Arm und streichelte dieses kleine warme Zentrum ihres Körpers und meiner Welt.
Als sie mich ansah, war sie störrisch und entschieden. Mein Warten hatte keinen Sinn mehr. Ich musste es einfach fragen.
„Also gut, was spricht dagegen?“ „Das Geld, die Wohnung, unsere Uni und das…“
„Das, was die anderen denken würden“, vervollständigte ich ihren Satz.
Was die anderen denken würden, so ein Blödsinn. Wir konnten einfach nicht ohne einander leben und wir liebten uns. Was hatte der Rest, die Anderen zu interessieren?
Doch auch diesen Gedanken sprach ich nicht aus, denn wie so oft wusste ich, dass es zwar richtig war, was ich dachte, doch nichts an unserer Situation änderte.
Unwillkürlich erinnerte ich mich an dem Tag, an dem wir in die neue Wohnung eingezogen waren. Wir hatten gerade die Umzugskisten ausgeräumt, als mir die Flasche Sekt runterfiel, die wir für diesen Moment aufgehoben hatten. Die Flasche schlug auf dem Boden auf und zerbrach mitten in der Küche, die bis dato perfekten Fliesen hatten nun einen hässlichen Riss. Damals hatte sie mich wütend angeguckt und ihre Nasenflügel gebläht, als würde sie gleich losbrüllen. Doch dann mussten wir lachen und als ich meinte, dass sie echt lächerlich aussah, wenn sie sich aufregte, gingen wir auf einander los. Ewig jagten wir uns durch die Wohnung und als sie mich dann hatte, begann sie mich zu kitzeln. Wir lachten und ich zog ihr eins mit dem Kissen über, als auch das aufriss, flogen hunderte Daunen durch die Luft. Wir lieferten uns eine erbitterte Kissenschlacht und fühlten uns wieder wie Kinder. Als wir am Abend ins Bett gehen wollten, um uns auszuschlafen und am nächsten Tag aufzuräumen, blieb sie stehen. Sie stand vor der Tür ihres Schlafzimmers, damals hatten wir noch separate Betten. Sie drehte ihren Kopf mit den langen welligen Haaren zu mir und sah mich seltsam an. In ihrem Blick mischte sich Erwartung und Trauer. Ich kam langsam auf sie zu und küsste sie. Es fühlte sich ganz natürlich, ganz richtig an. In diesem Moment stellte ich fest, dass ich nie einen Menschen geliebt hatte, keinen außer sie.
Ich drehte mich um und sah in der Küche noch immer die aufgeplatzte Fliese, die wir nie ausgetauscht hatten. Ein wohliges Gefühl durchströmte mich. Verdammt, das waren doch immer noch wir, wir dieselben wie damals. Ich wandte mich ihr zu und sagte, das was ich so lange dachte, frei und selbstsicher.
„Zugegeben, es ist etwas früh, aber willst du deswegen etwas töten, was wir beide sind?“
Sie sah mich fragend an. „Du willst, dass wir das Kind bekommen?“
„Ja.“ Sie schloss die Augen und atmete tief ein. „Ich hatte befürchtet, dass du das sagst.“
Ihre Brust hob und senkte sich stark, sie atmete ruhig und regelmäßig. Etwas, was ich an ihr in diesem Moment nur bewundern konnte, denn ich war trotz der wohligen Erinnerung alles andere als ruhig.
„Niemand müsste erfahren, dass es von mir ist, damit rechnet eh niemand“, begann ich meinen Plan in Worte zu fassen mit dem wir vielleicht leben könnten.
„Du hattest einen One-Night-Stand und …“
„Du willst, dass wir es behalten und dann die Verantwortung abwälzen?“
Ihre Stimme bebte vor Unverständnis. Sie stand auf und zeigte auf ihren Bauch, auf unser Kind. „Das, was ich da in meinem Bauch habe, ist ein Teil von mir. Und dir!“
Unsere Augen blieben an einander kleben. Ich konnte den Blick einfach nicht von ihr abwenden. Ihr schien es ähnlich zu gehen. Dass sie es ausgesprochen hatte, führte uns die Wahrheit dieses Umstands vor Augen. Ja, es war unser Kind.
„Ich will nicht Vater unbekannt auf der Geburtsurkunde stehen haben, ich will nicht das unser Kind in Ungewissheit aufwächst, wer sein Vater ist. Ich nickte und wollte etwas sagen, als sie die eine, die einzig relevante Frage stellte.“
„Willst du dein Leben lang ein behindertes Kind haben, einen Klotz am Bein der uns unsere Zukunft verbaut?“
Wie von alleine wanderte der Kuli zurück in meine Hand. Die Miene rastete ein und aus, ein und aus. Jetzt nur die Ruhe bewahren. Das Klick-Tempo erhöhte sich. Ich bekam Panik.
Die Blicke der Anderen, unserer Freunde in der Cafeteria.
Sie hatten es doch bereits alle geahnt, sie wussten was wir getan hatten.
„Johan das Kind wird behindert sein und unser Leben ist dann vorbei.“
Sie schrie mich an und ich wusste, dass sie recht hatte.
Was sie sagte war keine Wut. Das war die Wahrheit.
„Ich will, … ich“
„Was willst du? Noch ein paar Wochen warten, bis es zu spät ist und wir nicht mehr entscheiden können?“
Kurz stand sie da, dann setzte sie sich, alles in ihr sackte zusammen.
Die Wut, die Trauer, das alles war verschwunden, es blieb nur dieses ungewisse Gefühl, was man nicht beschreiben, sondern nur erleben kann.
Ich ließ den Kuli sinken. Ihre Augen waren groß, doch da war nicht mehr dieser Glanz, der mich ablenkte und so unwiderstehlich anzog. Trotzdem, ich konnte nicht ohne sie.
Ich stand auf und zog sie an den Händen nach oben. Wir standen uns gegenüber.
Sie ganz das verletzliche Mädchen von früher. Sie drückte ihren Kopf auf meine Brust, ich schloss meine Arme um sie. Als sie ihren Kopf hob, war es nicht, wie wenn wir sonst über das Thema stritten.
Da, wo sonst mein T-Shirt von ihren Tränen warm und nass war, blieb jetzt nichts als Leere.
„Was sollen bloß Mama und Papa denken?“
Sie presste sich an mich, ich sagte nichts.
„Johan, du wirst doch bei mir bleiben?“
Ich küsste sie auf die Stirn, etwas zu sagen war hier nicht nötig und ich hätte es auch nicht gekonnt. Ich nahm sie an der Hand und führte sie ins Bett. Wir waren erschöpft und als sie sich ihren Schlafanzug anzog, sah man den anfangenden Baby-Bauch im Spiegel.
Wir legten uns nebeneinander und ich lächelte sie an.
Sie war verwirrt, doch lächelte zurück. Grübchen umspielten ihre Mundwinkel.
„Nein, ich will kein Leben mit einem behinderten Kind, doch ich will uns auch nicht verleugnen.“
Sie nickte schwach, ihre Schminke war verwischt und ich strich ihr zaghaft über die Wangen.
„Lass uns irgendwo anders hingehen, an einen schöneren Ort, an dem niemand uns Fragen stellt, an dem niemand weiß, dass wir Geschwister sind.“
Sie schmunzelte schwach und so schliefen wir nebeneinander ein,
beseelt von dem Gedanken an diese wunderbare Möglichkeit, die es nie geben würde.
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