WÄLDER. VON DER ROMANTIK IN DIE ZUKUNFT. Drei Ausstellungen im Romantik-Museum und Senckenbergmuseum in Frankfurt sowie im Sinclair-Haus in Bad Homburg, Teil 2
Felicitas Schubert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Welch eine Freude, am letzten Sonntag, 21. April, den Besucherandrang im Deutschen Romantik Museum zu erleben. Eigentlich bin ich in Museen lieber alleine, aber der Strom der Hineinströmenden, darunter viele Familien mit Kindern, macht einfach glücklich, zeigt er doch, daß hier ein lebendiges Museum mit einer thematisch höchst aktuellen Ausstellung sein Publikum findet. Nichts mit museal, stattdessen große Neugierde.
Dabei ist das keine leicht zu konsumierende Ausstellung. Schon die äußeren Gegebenheiten, ein sehr großer Raum im Untergeschoß, stellt das Thema des Zusammenhangs auch innenarchitektonisch her. Denn einen großen Raum muß man aufgliedern. Was teils witzig geschieht, wenn unter urtümlichen Blätterdächern, die eher an den Vietcong als an Wald denken lassen, Hörstationen eingerichtet sind, die einen dann wirklich fesseln. Grundsätzlich geht es um das Naturverständnis der romantischen Künstler und Schriftstellerinnen, Wissenschaftler und Komponistinnen um 1800, das Sie in ihren Waldarbeiten sehen, fühlen, hören, erahnen lassen. DER GANZE WALD heißt der Beginn, wo Bilder und Noten, Texte und Dinge, Handschrift und Musik den romantischen Wald imaginieren. Damals sind neue Begriffe geboren wie ‚Waldeinsamkeit‘, was, so liest man hier, Ludwig Tieck 1797 für seine Erzählung ‚Der blonde Eckbert‘ erfunden hat.
Der Wald wird ein Sehnsuchtssort – und bleibt es eigentlich bis heute, dicht gepaart mit dem Unheimlichen, was dunkle Wälder ausstrahlen. Schauen Sie nur einmal Kriminalfilme an. Wieviele Leichen werden im Wald, meist unter Laub, gefunden, wieviele Morde dort verübt. Und auch in der Romantik bleibt das Unheimliche dem Wald eingeschrieben, das ja vor allem in den überlieferten Märchen zum Ausdruck kommt, wo sich nicht nur Kinder im Wald verirren, sondern auch Wesen hausen, die auch aus der Sagenwelt bekannt sind. Wald hat immer auch etwas Transzendentes, das in andere Sphären führt, im Winter kahl, im Sommer grün belaubt, wie überhaupt schon die Genese des Schmetterlings das Werden und Vergehen zeigt.
Demgegenüber steht dann der konkrete Zustand der Wälder um 1800.
In einem zweiten Kapitel geht es um WALDUMBAU, wobei schnell klar wird, daß die damaligen Wälder in einem schlechten Zustand waren, allerdings aus anderen Gründen als heute. Man hat damals rücksichtslos abgeholzt, Holz für’s Häuserbauen, für den Holzofen. Damals entstand erst die Forstwirtschaft, die seit 1800 eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin wurde. Es war die Ausbeutung des Waldes in verschärfter Form, die gleichzeitig bei anderen Menschen die Sehnsucht nach intakter Natur nährte. Wir liegen falsch, wenn wir denken, unser heutiger Wald – Hessen ist das waldreichste Bundesland! - sei mit dem damaligen flächenmäßig vergleichbar. Nein, schon damals fing das Aufforsten an. Um 1800 gab es in deutschen Landen nur ein Drittel des heutigen Waldbestandes. Aber der Primärwald, als der von menschlicher Einflußnahme unberührte Wald, beträgt in Deutschland nur 0,1 Prozent der gesamten Waldfläche!
Um den gewissermaßen ‚tierlichen‘ WALDUMBAU geht es dann im dritten Kapitel. Hier kann man sehen und hören und auch riechen, wenn man den Borkenkäfer – aha, seine Unterart, der Buchdrucker, ist der Bösewicht, der schon damals die Bäume kahlfraß - belauscht und all die Tiere wahrnimmt, die in unglaublicher Fülle den Wald bewohnen. Wenn wir, was da ‚kreucht und fleucht‘ (übrigens gibt es ein Tierbuch gleichen Titels „Was da kreucht und fleucht“ von Hermann Löns) wahrnehmen. Konsequenz ist der Wiederaufbau eines Mischwaldes, der klimaresistenter ist als die Monokultur von Bäumen, die schnell wachsen, gefällt werden, damit sie schnell Geld bringen.
WALD VON NAHEM heißt es im vierten Kapitel , wo der unsichtbare Unterwald fasziniert. Wir kennen uns wenig aus mit Moosen, Flechten und Pilzen, wissen wenig, wo sie nützlich und welche schädlich sind. Vom Ökosystem des Waldes spricht man hier und wir lesen die Schautafeln, die an jeder Station stehen, sehr genau durch. Denn genau dies, den Wald von Nahem, nehmen wir, laufen wir durch den Wald, wenig wahr. Wir schauen eher nach oben, durch die Zweige in den Himmel – übrigens derzeit einer der beliebtesten Anfänge in Spielfilmen – oder eben auf den Waldweg, damit wir nicht stolpern, aber wir sollten stehenbleiben und den eigentlichen Waldboden beobachten, der auf einmal lebendig wird. Jetzt kommt der Begriff Gesamtorganismus ins Spiel, den es zwar schon früher gab, der aber als Wechselwirkung in der Natur jetzt zu genauer Beobachtung zwingt. Seither gilt der Begriff des Ökosystemischen.
Sehr ungewöhnlich dann das fünfte Ausstellungskapitel, das von RECHTEN DES WALDES spricht. Hier sieht man, daß zwar in der Artikulierung der Menschenrechte Europa führend war und ist, daß aber die Rechte des Walde, was ja in der Konsequenz die Rechte der Natur bedeuten, anderswo längst formuliert und gefordert wurde. Und bisher sprach man höchstens von den Rechten des Menschen am Wald, sehr oft auch vom Besitzen. Der meiste Wald gehört den jeweiligen Ländern, dachte ich bisher. Aber von den 11,4 Millionen Hektar Wald in Deutschland sind 48 Prozent Privatwald. Nur 29 Prozent des Waldes sind im Eigentum der Länder, 19 Prozent im Eigentum von Dörfern, Kleinstädten, Großstädten und 4 Prozent verbleiben im Eigentum des Bundes.
Auch bisher war diese Ausstellung interessant, weil die Objekte, mit denen sie die Themen verifiziert, einfach Freude machen, sei es der Anblick oder die Erkenntnis, die vor allem aus Schriften – so gut, die Hörstationen! - zu uns gelangt. Aber jetzt kommt ein Kenntnisgewinn hinzu, der wirklich überrascht. Angehörige des Kichwa-Volkes in Sarayaku nennen ihren Lebensraum im Amazonas Regenwald ‚Lebendigen Wald‘, in dem der Mensch nur Teil dieses von physischen und spirituellen Wesenheiten bevölkerten Kosmos ist. „Die Lebensrechte jener komplexen, belebten Natur – von allen Andenvölkern ‚Pachamama’ genannt – wurden 2008 in die Verfassung Ecuadors aufgenommen. Seitdem gibt es weltweit derartige Gesetzesinitiativen. In diesem Kapitel wird der Zusammenhang mit heutigen Forderungen nach Rechten der Natur dem Verständnis der Romantik von Natur gegenübergestellt und es stellt sich heraus, daß es just dieselben sind. Denn auch die Romantiker räumten mit der Ansicht auf, daß Elemente der Natur in unserem Rechts- und Wirtschaftssystem bloße Objekte sind. Aber deren Ansicht galt es als ‚romantisch‘, dem gegenüber die wirkliche Welt den Wald mit exzessiver Wald- und Forstwirtschaft plünderte und schädigte und schädigt.
Wir sind heute tatsächlich an einem Scheideweg, ob wir die Rechte der Natur durch eine Einbettung in Verfassungsrechte festschreiben - es gibt Fortschritte auch bei uns: Tiere werden juristisch nicht mehr als bloße Sachen behandelt - und die Wälder somit den kapitalistischen Zwängen entziehen. Eine große, aber auch eine leistbare gesellschaftliche Aufgabe, die nicht allein aus ethischen und naturverbundenen Gründen wichtig ist, sondern zum Lebenserhalt dieser Erde.
Über allen Gipfeln ist Ruh
Über allen Gipfeln
Ist Ruh',
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.
(1780)
Johann Wolfgang Goethe (1749 – 1832)
Ich ging im Walde so für mich hin
Ich ging im Walde so für mich hin,
und nichts zu suchen, das war mein Sinn.
Im Schatten sah ich ein Blümchen steh'n,
wie Sterne leuchtend, wie Äuglein schön.
Ich wollt' es brechen, da sagt' es fein:
Soll ich zum Welken gebrochen sein?
Ich grub's mit allen den Würzlein aus,
zum Garten trug ich's, am hübschen Haus,
Und pflanzt es wieder am stillen Ort;
Nun zweigt es immer und blüht so fort.
(Johann Wolfgang Goethe, wohl 1771, veröffentlicht 1813)
Fortsetzung folgt
Fortsetzung folgt
Fotos:
©Redaktion
Info:
Laufzeit:
16. März bis 11. August 2024 im Deutschen Romantik-Museum, im Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt sowie im Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg
Magazin zur Ausstellung: Wälder zwischen Romantik und Gegenwart in Text und Bild, 176 Seiten, 152 Abbildungen, 12 €, exklusiv erhältlich in den beteiligten Museen.
Diese Publikation ist sehr zu empfehlen. Wunderbar, daß kein teurer Kunstkatalog daraus wurde, sondern ein Arbeits-und Erkenntnisbuch, das wegen seines Preises wirklich jeder erwerben, auch verschenken kann. Ein dickes Heft für’s Leben.
Blattwerke – Wälder: Ideenheft der Kunstvermittlung, hrsg. vom Museum Sinclair-Haus 6 €, in den beteiligten Museen erhältlich. Kostenfreier Download: museum-sinclair-haus.de/blattwerke
3-Wälder-Ticket
18 €, gültig für den Ausstellungsbesuch in allen drei Museen. Einzeltickets sind in den beteiligten Museen ebenfalls erhältlich.
waelder-ausstellung.de