Weltkulturerbe Völklinger Hütte,, noch bis 15. September 2024
Redaktion
Völklingen (Weltexpresso) - Noch nie wurde es unternommen, nun wurde es Wirklichkeit: Die historische Gebläsehalle des Weltkulturerbes Völklinger Hütte ist kongenialer Schauplatz einer Gesamtschau des deutschen Films von 1895 bis heute. Großleinwände und Monitore laden ein zum Durchwandern einer einzigartigen Filmlandschaft, die mit dem Expressionismus und Kino der Weimarer Republik Weltgeltung erreicht hat und Kultur und Geschichte Deutschlands wie kaum ein anderes Medium spiegelt.
„Die gemeinsame Ausstellung mit dem Weltkulturerbe Völklinger Hütte ist eine Herausforderung, die wir sehr gerne angenommen haben. Der Ort ist unvergleichlich inspirierend und ermöglicht eine gänzlich neue Form der Präsentation zur deutschen Filmgeschichte. Hinzu kam die ideale Zusammenarbeit der Teams aus Völklingen und Berlin, eine großartige Erfahrung!“ So Dr. Rainer Rother, Künstlerischer Direktor der Kinemathek Berlin.
Die Ausstellung des Weltkulturerbes Völklinger Hütte und der Deutschen Kinemathek ermöglicht erstmals einen ebenso umfassenden wie immersiven Blick auf die deutsche Filmgeschichte. Der Bogen der multimedialen Schau spannt sich vom legendären „Wintergartenprogramm“ der Gebrüder Skladanowsky am 1. November 1895 in Berlin – zwei Monate vor den Gebrüdern Lumière in Paris – über den frühen Stummfilm und Tonfilm bis zu aktuellen Formaten und Filmproduktionen von 2023.
Die wissenschaftlich wie ausstellungsinszenatorisch höchst aufwändige Schau zeigt mit über neun Stunden Filmmaterial und mehr als 350 Exponaten aus der Sammlung der Deutschen Kinemathek nicht nur den eminenten Beitrag Deutschlands zur globalen Filmgeschichte. Zugleich spiegeln sich in der Ausstellung Kulturgeschichte und Zeitgeschichte Deutschlands in einer intensiven Parallelspur zur Geschichte der Völklinger Hütte vor, nach, in und zwischen den Kriegen des 20. Jahrhunderts.
„Film ist im besten Fall große Kunst, zugleich aber stets auch Spiegel der Kultur und Zeit seiner Entstehung. Dies macht die Übersichtsschau dreifach bedeutsam und sehenswert: Die Erfahrung von Ästhetik, Kultur und Geschichte fällt hier auf besondere Weise in eins“, betont Dr. Ralf Beil, Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte.
Von der Pionierzeit um 1900, dem Ersten Weltkrieg und den 1920-er Jahren der Weimarer Republik über Nationalsozialismus, Zweiten Weltkrieg und die Filmkultur eines in BRD und DDR geteilten Landes bis hin zum gesamtdeutschen Film nach 1990 entfaltet sich in zehn Ausstellungskapiteln ein ebenso bewegtes wie bewegendes Panorama des 20. und 21. Jahrhunderts in Deutschland.
Während rund 100 Projektionen auf Großleinwänden signifikante Filme in exemplarischen Ausschnitten präsentieren, dienen dreißig Monitore weiteren Vertiefungen. So kann der Einfluss von „Caligari“ auf Tim Burtons „Edward Scissorhands“ von 1990 ebenso nachvollzogen werden wie die Nachwirkung von Lotte Reinigers frühem Animationsfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ auf David Yates‘ „Tale of the Three Brothers“ in „Harry Potter and the Deathly Hallows“ von 2010.
Ein eigenes Kapitel ist Fritz Langs wegweisendem Film „Metropolis“ gewidmet: Während der Tanz der Maschinen-Maria im Sündenbabel „Yoshiwara“ – ihr Kostüm aus Strass, Perlen und Federn wird eigens für die Schau nachgeschneidert – mit den Köpfen der Todsünden von Walter Schulze-Mittendorff das Kapitel der Weimarer Republik beschließt, evoziert ein eigener Maschinenraum mit zwei Leinwänden, einem Modell der Unterstadt sowie der Maschinen-Maria-Skulptur samt Großplakat und Kostüme von Freder in Oberstadt-Kleidung und Unterstadt-Arbeiterkluft die „Metropolis“-Welten. Geprägt wurden diese neben dem Regisseur und Kameramann insbesondere von Erich Kettelhut und Aenne Willkomm, deren bahnbrechende Architekturzeichnungen und avantgardistische Kostümentwürfe ebenfalls gezeigt werden.
Die Gebläsehalle mit ihren Maschinen und Schwungrädern wird nicht nur für „Metropolis“ zur kongenialen Ausstellungsarchitektur. Der kommerziell erfolgreichste Film des Dritten Reiches, der NS-Durchhaltefilm „Die Große Liebe“ mit Zarah Leander, ist in einem engen, bunkerartigen Tiefgeschoss zu sehen, die Flügelfiguren aus Wim Wenders „Himmel über Berlin“ dagegen sitzen und stehen in luftiger Hallenhöhe.
Zugleich stellt die Schau an Dreh- und Angelpunkten Filmschaffende aller Gewerke vor und gibt damit Einblicke in Filmstudioarbeit, Filmindustrie und Produktionsprozesse. So wird die entfesselte Kamera der Weimarer Republik mit dem Stachow-Filmer auf freischwingendem Gestell aus „Der letzte Mann“ sowie der Ski-Kamera für „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ Realität. Fokus-Vitrinen quer durch die Jahrzehnte sind Monika Bauert, Artur Brauner, Marlene Dietrich, Robert Herlth, Monika Jacobs, Hildegard Knef, Wolfgang Kohlhaase, Asta Nielsen und Guido Seeber gewidmet.
Exemplarisch für deutsche Filmbiografien mit all ihren Verwerfungen steht auf tragische Weise Kurt Gerron: Der Schauspieler, der im „Blauen Engel“ und in „Tagebuch einer Verlorenen“ an der Seite von Marlene Dietrich und Louise Brooks spielt, flieht 1933 vor den Nazis, wird aus Amsterdam mit seinem gesamten Ensemble deportiert und muss im Konzentrationslager den Film „Theresienstadt“ drehen, bevor er in Auschwitz ermordet wird. Fotos und Briefdokumente erinnern an ihn.
Neben filmischen Inkunabeln wie Volker Schlöndorffs „Blechtrommel“ oder Rainer Werner Fassbinders „Angst essen Seele auf“ werden auch weithin unbekannte Raritäten wie Veit Harlans „Der Herrscher“ mit drastischen Stahlwerk-Bildern in Schwarzweiß aus dem Jahr 1937 oder Ula Stöckls sinnlich-befreiender Farbrausch „Neun Leben hat die Katze“ von 1968 präsentiert.
In der direkt an die Gebläsehalle anschließenden Verdichterhalle ist ein Filmstudio der 1950-er Jahre eingerichtet. Gedreht wird dort Géza von Radványis Remake des Leontine Sagan-Films „Mädchen in Uniform“ von 1931 aus dem Jahr 1958 mit Romy Schneider und Lilli Palmer in den Hauptrollen. Das gesamte Bühnenset ist erlebbar: der Nachbau des Klassenzimmers mit Backdrop, Schauplatz der legendären Kussszene von Schülerin und Lehrerin, die Kostüme von Romy und Lilli, Kameras auf Schienenwagen, alles ausgeleuchtet mit den originalen Scheinwerfern der Zeit. Schlusspunkt der Schau zum Deutschen Film ist ein Kino, das auf originalen Kinostühlen mit Schnitt und Gegenschnitt das chronologisch-filmische Gesamtpanorama von 1895 bis 2023 nochmals Revue passieren lässt: als Filmcollage kreuz und quer durch die Zeiten.
Die Ausstellung im einzigartigen Ambiente der Gebläse- und Verdichterhalle des Weltkulturerbes Völklinger Hütte richtet sich dezidiert an ein großes nationales wie internationales Publikum. Wissenschaftlich grundiert, operiert sie zugleich mit einem starken Akzent auf unmittelbarer Filmerfahrung ungemein niederschwellig und wird damit im Weltkulturerbe einen wahrhaft krönenden Abschluss des Jubiläumsjahrs „150 Jahre Völklinger Hütte“ setzen.
„Diese Großausstellung ist nur möglich dank der hervorragenden Leistung der beiden großartigen Teams im Weltkulturerbe und in der Deutschen Kinemathek sowie aufgrund der umfangreichen Förderung durch das saarländische Wirtschaftsministerium als kulturelles Leuchtturmprojekt und der großzügigen finanziellen Unterstützung durch die Sparkassen-Finanzgruppe und Saartoto“, betont Generaldirektor Ralf Beil.
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©Veranstalter
Info:
DER DEUTSCHE FILM
Eine Ausstellung des Weltkulturerbes Völklinger Hütte und der Deutschen Kinemathek Berlin
Ort: Gebläsehalle und Verdichterhalle, Weltkulturerbe Völklinger Hütte
Laufzeit: noch bis 15. September 2024
Kuratoren: Dr. Ralf Beil, Generaldirektor, Weltkulturerbe Völklinger Hütte, und Dr. Rainer Rother, Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek Berlin
Ausstellungsfläche: 6000 Quadratmeter
Regisseur:innen A-Z: Maren Ade, Fatih Akin, Feo Aladag, Josef von Báky, Wolfgang Becker, Edward Berger, Hans Bertram, Frank Beyer, Leo Birinski, Jürgen Böttcher, Tim Burton, Heiner Carow, İlker Çatak, Helmut Dietl, Hans Deppe, Andreas Dresen, Slatan Dudow, E. A. Dupont, Doris Dörrie, Ulrich Edel, Richard Eichberg, Hanns Heinz Ewers, Arnold Fanck, Rainer Werner Fassbinder, Tim Fehlbaum, Nora Fingscheidt, Peter Fleischmann, Bob Fosse, Urban Gad, Katja von Garnier, Richard Groschopp, Iris Gusner, Alice Guy-Blaché, Michael Haneke, Rolf Hansen, Veit Harlan, Julia von Heinz, Sonja Heiss, Florian Henckel von Donnersmarck, Werner Herzog, Phil Jutzi, Helmut Käutner, Gerhard Klein, Wolfgang Kohlhaase, Alexander Kluge, Lars Kraume, Nicolette Krebitz, Gerhard Lamprecht, Fritz Lang, Paul Leni, Wolfgang Liebeneiner, Alfred Lind, Caroline Link, Ernst Lubitsch, Kurt Maetzig, David Mallet, Karl Heinz Martin, Joe May, Sebastian Meise, Lewis Milestone, Friedrich Wilhelm Murnau, Max Ophüls, Mamoru Oshii, Richard Oswald, Ulrike Ottinger, Georg Wilhelm Pabst, Heinz Paul, Wolfgang Petersen, Christian Petzold, Rosa von Praunheim, Burhan Qurbani, Géza von Radványi, Nicholas Ray, Robert Reinert, Lotte Reiniger, Harald Reinl, Leni Riefenstahl, Oskar Roehler, Gary Ross, Walther Ruttmann, Leontine Sagan, Helke Sander, Helma Sanders-Brahms, Ulrich Schamoni, Sebastian Schipper, Christoph Schlingensief, Volker Schlöndorff, Hans-Christian Schmid, Maria Schrader, Reinhold Schünzel, Ridley Scott, Robert Siodmak, Wolfgang Staudte, Hans Steinhoff, Josef von Sternberg, Ula Stöckl, Rolf Thiele, Wilhelm Thiele, Georg Tressler, Monika Treut, Margarethe von Trotta, Tom Tykwer, Gustav Ucicky, Edgar G. Ulmer, Victor Vicas, Wim Wenders, Robert Wiene, Konrad Wolf, Max Skladanowsky, David Yates, Eugen York, Herrmann Zschoche.
Filmstationen: Rund 100 Projektionen auf Großleinwände sowie 30 Monitore auf Sockeln mit vertiefenden Filmpräsentationen
Ausstellungsobjekte: Mehr als 350 Exponate. Filmplakate (Großbanner), Originalmanuskripte, Drehbücher, Zeichnungen, Briefe und Dokumente, Setfotos, Starpostkarten, Werbematerialien, Leuchtreklamen, Kameratechnik, Ausstattungen sowie Kostüme aus allen Jahrzehnten von Marlene Dietrich und Louise Brooks über die „Nosferatu“-Maske und Hände von Klaus Kinski bis zum „Kukeri“-Kostüm aus Maren Ades „Toni Erdmann“ von 2016
Ausstellungskapitel:
DER FRÜHE FILM – Auf dem Weg zum Massenmedium 1895-1918
EXPRESSIONISTISCHE FILMKUNST – Traum und Traumata 1919-1924
DAS KINO DER WEIMARER REPUBLIK – Entfesselte Kamera, Neues Sehen 1919-1932
METROPOLIS – Babel in Babelsberg 1927
FILM IM NATIONALSOZIALISMUS – Propaganda und Eskapismus 1933-1945
DAS NACHKRIEGSKINO – Vom Trümmerfilm zum Mauerbau 1949-1961
DEUTSCHER FILM IN OST UND WEST – Aufbruch und Abbrüche 1962-1989
NEUORIENTIERUNG – Gesamtdeutsches Filmschaffen 1990-2023
EIN FILMSTUDIO DER 1950-ER JAHRE – Mädchen in Uniform 1958/1931
KINO – Ein Filmcollage 2023-1895
Publikationen: Im Rahmen der Ausstellung ist ein 424 Seiten starkes, reich bebildertes Handbuch erschienen, herausgegeben von Ralf Beil und Rainer Rother, im Sandstein Verlag Dresden, das zugleich als Ausstellungskatalog fungiert.
Als Ergebnis mehrjähriger Forschung der Deutschen Kinemathek Berlin erscheint zudem zu einem späteren Zeitpunkt ein opulent bebilderter 900-Seiten-Band zum Thema.
Rahmenprogramm: Ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Filmvorführungen, Diskussionen und Vorträgen zu allen zehn Ausstellungskapiteln begleitet die Übersichtsschau. Stummfilme werden mit Livemusik präsentiert.
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