Wolfgang TenzlerDr. Wolfgang Tenzler, geb. 22.11. 1930; gest. 13. Januar 2025 in Berlin 

Felicitas Schubert

Berlin (Weltexpresso) - Mit Dr. Wolfgang Tenzler ist wohl der letzte aus der Riege der wichtigen DDR-Verleger im Alter von 94 Jahren gestorben. Er wurde am 22. November 1930 im sächsischen Aue geboren. Nach dem Abitur 1950 arbeitete er als Hauer und Geophysiker in der Wismut AG in Oberschlehma. Von 1952 bis 1957 studierte er an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Philosophie und Kunstgeschichte. 1967 wurde er an der Martin-Luther-Universität Halle zum Dr. phil. promoviert.

Nach Zwischenstationen als Journalist bei der Thüringischen Landeszeitung in Erfurt und Leiter der Pressestelle der Liberaldemokratischen Partei Deutschlands wurde er 1968 als Leiter des Buchverlags Der Morgen berufen, den er bis zu seiner Auflösung 1990 erfolgreich führte.


Buchverlag Der Morgen

Verlegerische Schwerpunkte des 1958 gegründeten Verlages waren neben deutschsprachiger und ausländischer Belletristik der Gegenwart und des kulturellen Erbes Literatur zur Zeitgeschichte, Biographien, Memoiren, politische Monographien, Sachliteratur sowie politische Literatur.
Insgesamt veröffentlichte der Verlag Werke von insgesamt 1.700 Schriftstellerinnen und Schriftstellern, darunter Stefan Heym, Maxie Wander und Hans Dietrich Genscher.

Ein Höhepunkt der Verlagsgeschichte war die Veröffentlichung des Buches „Guten Morgen, du Schöne“ von Maxi Wander im August 1977, das sich zum Longseller bis in die Gegenwart entwickelt hat. Das Buch wurde im Erscheinungsjahr allein in der DDR 60.000-mal verkauft. Das Buch war in der DDR, aber auch in Westdeutschland als Lizenzausgabe bei Luchterhand äußerst erfolgreich und erfuhr mehrere Neuauflagen, Übersetzungen, etwa 600 Theaterinszenierungen und mehrere episodische Verfilmungen. Verlag und Autorin schufen mit ihrer Art der verdichteten Interviewliteratur ein eigenes Genre, nach dessen Vorbild in der DDR weitere Porträtbücher entstanden. In einer Rezension von 2007 hieß es „Kein belletristisches Werk, das in der DDR entstanden war, hatte eine solche enorme Wirkung über einen längeren Zeitraum wie Guten Morgen, du Schöne.“

Dem persönlichen Engagement von Dr. Wolfgang Tenzler ist es zu verdanken, dass ab Anfang der 1970er Jahre auch der lange Jahre verfemte Schriftsteller Stefan Heym wieder eine verlegerische Heimat in der DDR fand. So erschienen im Buchverlag Der Morgen zwischen 1972 und 1990 von Heym u.a. die Romane Der König David Bericht (1973); Kreuzfahrer von heute (1983); Ahasver (1988); Collin (1990); Schwarzenberg (1990).

Mit der Reihe Märkischer Dichtergarten leistete der Verlag einen wichtigen Beitrag zur Neurezeption der literarischen Romantik in der DDR. Die Buchreihe mit Werken von Dichtern und Dichterinnen des 18. und 19. Jahrhunderts aus der Mark Brandenburg und Berlin. Sie wurde von Günter de Bruyn und Gerhard Wolf begründet und erschien in den Jahren von 1980 bis 1997.


Eigene Veröffentlichungen

1977 veröffentliche Dr. Wolfgang Tenzler als Herausgeber den Band „Meine süße Augenweide“. Fünfzig deutsche Dichter (unter ihnen Lessing, Lichtenberg, Goethe, Jean Paul, Kleist Heine, Keller, Fontane) sprechen über Ihre Erlebnisse mit Malern und Malerei. So entsteht ein facettenreiches Bild vom Leben und Werk europäischer Künstler wie Raffael, Michelangelo, Rembrandt, Ruysdael, Watteau, Delacroix, C.D. Friedrich, Menzel und Turner.
Quasi als Fortsetzung erschien 1982 „Über die Schönheit hässlicher Bilder“. Diese Sammlung vereint Stimmen von achtzig deutschsprachigen Schriftstellern, Dichtern und Kunstpublizisten zur modernen Malerei (1880 – 1933) und eröffnet einen vielgestaltigen Einblick in die problemreichen Beziehungen zwischen Künstlern und Künsten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Erotische Dichtung und Prosa von Christoph Martin Wieland versammelt der Band „Die Kunst zu lieben“ (1980).
„Die Lust zu lieben“ (1984 im Verlag Neues Leben erschienen) bündelt erotische Dichtung und Prosa aus vier Jahrtausenden: Vom Gilgamesch-Epos und dem Hohelied Salomos bis zu Texten von Maxie Wander sind hier künstlerische Dokumente vereint, die die Liebe als "sinnliches Geschehen" behandeln. Es wird deutlich, wie unterschiedlich die Rolle der Liebe in den verschiedenen Menschheitsepochen und auch deren Widerspiegelung in der Literatur war.

1990 wandelte die Treuhandanstalt den Buchverlag in die Morgenbuch Verlags GmbH um. Später wurde der Verlag an die Verlagsgruppe Spiess in Berlin veräußert. Noch bis 1999 erschienen unter dem Label Morgenbuch Bücher. Der Morgenbuchverlag ging mit der Verlagsgruppe Spiess zu Beginn des Jahres 2010 in die Insolvenz.
Das Archiv des Buchverlages Der Morgen steht heute in der Universität Leipzig für Forschung und Recherche zur Verfügung.