kontakte 3412"gem" und "Artodance" haben "Kontakte"

Hanswerner Kruse / Hannah Wölfel

Schlüchtern (Weltexpresso) - Zum Ende der KulturWerk-Woche hatten das musikalische Ensemble „gem“ aus Leipzig und zeitweise drei Tänzerinnen der Gruppe „Artodance“ aus Schlüchtern „Kontakte“ (so der Titel). Sie nahmen das Publikum mit auf die Reise in ihr Reich der Klänge und Bewegungen. 

Im Saal ist es lange dunkel. Plötzlich beleuchtet rötlich-lila Licht die Bühne. Zwei Musikerinnen, ein Musiker, drei Tänzerinnen erscheinen. Erst setzt die Harfe ein, dann die Bratsche und schließlich das elektronische Gerät, mit sanften, aber bizarren Tönen. Bald bewegen sich auch die Tänzerinnen ganz zart, nicht im Rhythmus, eher parallel zu den Klängen. Gemeinsam kreieren alle eine traumartige Atmosphäre. Bald werden die Darbietungen wilder, dramatischer - und enden abrupt. Erst dann werden die drei aus Leipzig angereisten vorgestellt: Harfenistin Babett Niclass, Bratschistin Neasa Ni Bhrian und der -Elektroniker Damian Ibn Salem. Mit den drei Tänzerinnen Meline Gottwald, Julie und Maren Opsahl trafen sie mittags erstmalig aufeinander und improvisierten gemeinsam. 

Nach dem Vorspiel präsentiert „gem“ zunächst allein die Bandbreite ihrer experimentellen Musik. Sie beginnen mit dem Titel „Daphne“, die sich in der Mythologie auf ihrer Flucht in einen Baum verwandelt: Lautes elektronisches Geknatter. Schrille Bratschenklänge. Hohe Harfentöne. Später weinende Bratsche, klagende Harfe. Am Ende ein melodischer Ausklang. Das spiegele die persönlichen Gefühle des Ensembles zur Weltlage, meint die meist moderierende Bhrian vorab. Danach spielt sie solo - im Duett mit sich selbst vom Band - eine mal zurückhaltende, mal schrille „Etüde“. 

Schließlich zelebriert das Trio „Joe“: Der Ausschnitt einer Rede Joe Bidens, in der er versehentlich Selenskyj und Putin verwechselt, wird eingespielt. Langsam zerlegt und wiederholt die Elektronik Bidens Worte, dazu quietscht die Bratsche, zetert die Harfe. Die Gruppe entfaltet behutsam ein chaotisches Klang- und Sprachgewirr, doch die Harfe wehrt sich verzweifelt mit einem Thema aus Tschaikowskys „Nussknacker“. Chaos und Harmonie entstehen parallel, verschmelzen aber im leisen Abschluss.

Bhrian erklärt vor jedem Stück nicht belehrend, was das Ensemble damit verbindet. So wird der Weg bereitet, herausfordernde oder wenig verständliche Klänge zu erfahren. Oft fordert die Bratschistin dazu auf, in sich hineinzuhorchen und zu spüren, was die Darbietungen in einem auslösen.

Zur nur auf der Harfe gespielten „Piano Phase“ des Minimal-Musikers Steve Reich treten erneut die Tänzerinnen auf. In der Minimal Music werden wenige Töne immer wieder neu kombiniert, wodurch ständig neue Muster entstehen. Auch die Tänzerinnen bewegen sich mit minimalistischen Bewegungen. Manchmal stimmen Tanz und Klänge überein, manchmal klaffen sie auseinander. 

kontakte 3298Auf der Bühne entsteht eine Arbeitsatmosphäre, keine Erzählkunst oder das, was die Akteure mit Worten berichten könnten. Musik und Tanz sind in Reinform zu erleben, doch oft wird deutlich, dass es beiden Ensembles nicht um l’art pour l’art (Kunst als Selbstzweck) geht. Den Bewegungen und Klängen liegen Erfahrungen und Emotionen der Beteiligten zugrunde, die mit den Instrumenten oder ihrem Körper als Instrument ausgedrückt werden. Im Gegensatz zur Sprache können so unterschiedliche, sich widersprechende Gefühle gleichzeitig dargestellt werden.


Leider war diese großartige Veranstaltung schlecht besucht, was vermutlich an der „verkopften“ Ausschreibung lag. Statt die Leute mit sinnlichen Beschreibungen von Musik und Tanz zu locken, wurden ausschließlich sozialpsychologische Plattitüden formuliert. Schade, denn die „Kontakte“ hätten weit mehr Publikum verdient gehabt.


Fotos:

Hanswerner Kruse