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Karlsruhe (Weltexpresso) - Es ist der 1. Mai 1933: auf dem Karlsruher Schlossplatz hallen marschierende Soldatenstiefel, Fanfaren ertönen, die Menschenmenge jubelt. Das Schloss ist in rotes Licht getaucht, bengalische Feuer zeichnen zwei riesige Hakenkreuze auf die Fassade. Hier, wo einst die badischen Markgrafen und Großherzöge residierten, hat sich eine neue Macht inszeniert: Das Schloss, das Wahrzeichen der Stadt und mittlerweile Sitz des Badischen Landesmuseums, wird zur Kulisse für die Propaganda des NS-Regimes.
Das Spektakel ist nicht nur eine Inszenierung. Es ist Ausdruck eines Systems, das politische Gegner verfolgte und sich des kulturellen Erbes Europas bemächtigte. Kulturgüter jüdischer Sammlerinnen und Sammler aus Museen, Galerien und Privathaushalten werden nach und nach durch die Nationalsozialisten enteignet, beschlagnahmt und Bürgerinnen und Bürger durch Repressalien zu Notverkäufen gezwungen. Viele dieser Objekte finden ihren Weg in deutsche Museen – auch in das Badische Landesmuseum.
Die Sonderausstellung „Unrecht & Profit“ im Schloss Karlsruhe zeigt erstmals über 70 dieser fragwürdigen Erwerbungen. Sie legt offen, wie jüdisches Eigentum über einen direkten Ankauf, den Kunsthandel oder staatliche Zuweisungen in die Museumssammlungen gelangte. Allein zwischen 1933 und 1945 erweiterte das Badische Landesmuseum seine Bestände um 840 Objekte, deren Provenienz auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft wird – darunter Gemälde, Skulpturen, Keramiken, Möbel und Schmuck. Mit der Ausstellung stellt sich das Badische Landesmuseum der eigenen Vergangenheit und der drängenden Frage nach der Verantwortung der Museen in der Diktatur. Deutlich wird, dass die Aufarbeitung dieses Erbes eine hochaktuelle Aufgabe ist – auch in der Zukunft.
Hinter jedem ausgestellten Werk verbirgt sich eine Provenienzgeschichte, die rekonstruiert und akribisch erforscht werden musste. Einige Objekte lassen sich eindeutig zuordnen und kamen nachweislich während der NS-Zeit in die Sammlung. So wurde die Bacchanten-Gruppe aus Steingut 1941 direkt von der „Abteilung Jüdisches Vermögen“ in Karlsruhe erworben – ihr einstiger Eigentümer bleibt jedoch unbekannt. Ebenso perfide war die sogenannte „M-Aktion“ (Möbel-Aktion), die ab 1942 systematisch Wohnungen und Geschäfte deportierter Jüdinnen und Juden in Frankreich und den Niederlanden plünderte. Tausende Objekte wurden nach Deutschland transportiert – darunter eine chinesische Skulptur, die noch immer das Etikett eines Pariser Antiquitätengeschäfts trägt.
Ebenfalls in die Museumssammlung gelangte eine mittelalterliche Skulptur, die mit sechs weiteren Gemälden aus den sogenannten „Mannheimer Lifts“ stammte – Umzugsgut jüdischer Bürgerinnen und Bürger, das nach deren Flucht oder Deportation beschlagnahmt wurde. 1943 brachte man rund 600 Container aus dem Amsterdamer und Rotterdamer Frachthafen nach Mannheim zurück und durchsuchte sie nach „museumswürdigen“ Objekten. Während der Hausrat geflohener Jüdinnen und Juden an „fliegergeschädigte“ Deutsche verkauft wurde, fanden wertvolle Kulturgüter Eingang in öffentliche Sammlungen. Auf einem Pappetikett der Skulptur findet sich lediglich der Hinweis „Unbekannter fremder Besitz“.
Viele weitere Objekte zeugen von der gezielten Aneignung jüdischen Eigentums: Ein Puppenservice, das 1940 aus einer jüdischen Wohnung beschlagnahmt wurde, sowie ein kleiner Bronze-Mörser mit lateinischer Inschrift, 1943 von einem Kunsthändler erworben, stehen stellvertretend für den weitreichenden Kunst- und Kulturgutraub dieser Zeit.
Die Ausstellung beleuchtet nicht nur die Entzugskontexte und Mechanismen des NS-Kulturgutraubs. Vermittelt wird auch die akribische Arbeit der Provenienzforschung, die am Badischen Landesmuseum seit 2010 proaktiv betrieben wird. Großformatige Zeitungsausschnitte, Entzugslisten und historische Pressefotos dokumentieren die mühsame Spurensuche, die oft Jahre dauern kann, um die Herkunft eines Objekts zu klären. Dabei gilt es auch, Kunstwerke zu prüfen, die erst nach dem Krieg in die Sammlung kamen – wie der Bechstein-Flügel aus dem Jugendstil-Musiksalon der Familie Kahn-Starré.
Der Bechstein-Flügel wurde erst 1971 vom Museum aus der Karlsruher Freimaurerloge „Leopold zur Treue“ erworben. Wie er dorthin gelangte, ist noch unklar. Nach dem Verkauf der Mannheimer Villa 1934 zog Richard Kahn-Starré mit seiner Frau nach Baden-Baden, wo er trotz Repressalien der Deportation entging. Möglicherweise wurde der Flügel in den 1950er-Jahren von Familienmitgliedern verkauft. Das Objekt wird derzeit noch geprüft. Belege für einen NS-verfolgungsbedingten Entzug gibt es bislang keine. Die Provenienzforschung bleibt ein fortlaufender Prozess.
Alle eindeutig unrechtmäßig entzogenen Objekte der Sammlung sind in die Datenbank „Lost Art“ eingestellt, um mögliche rechtmäßige Erben ausfindig zu machen. Doch oft sind die Namen der ursprünglichen Eigentümerinnen und Eigentümer nicht mehr zu ermitteln. Herkunftsnachweise wurden vernichtet oder nie dokumentiert – mit den Kunstwerken verschwanden nicht nur materielle Werte, sondern auch ganze Familiengeschichten. Während die Verantwortlichen innerhalb des Museums und staatlicher Institutionen klar benannt werden können, bleiben die Namen der Geschädigten in vielen Fällen unbekannt. Die ausgestellten Objekte stehen stellvertretend für jene anonymen Opfer der Verfolgung.
„Lange Zeit galten Museen während der NS-Zeit als scheinbar unverdächtig, ja sogar als Opfer des staatlich angeordneten Entzugs von „entarteter Kunst“. Doch spätestens die Washingtoner Konferenz von 1998 machte deutlich, dass gerade auch die Museen vom Raub jüdischen Kulturguts profitierten“, so Museumsdirektor Eckart Köhne. „Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber wir können Verantwortung übernehmen. Transparenz ist der Schlüssel. Wir legen offen, wie Museen – auch das Badische Landesmuseum – während der NS-Zeit agierten. Jedes dieser Objekte steht für eine Lücke: für ein Leben, ein Schicksal, einen Menschen. Wir wissen nicht, ob wir alle Antworten finden werden. Aber wir können Fragen stellen, nachforschen – und vor allem: nicht vergessen.“
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Info:
Unrecht & Profit – Das Badische Landesmuseum im Nationalsozialismus
12. April – 28. September 2025, Sonderausstellung Schloss Karlsruhe
Der Besuch ist im Eintrittspreis für die Sammlungen enthalten: 8 Euro, erm. 6 Euro
Di–Do 10–17 Uhr, Fr–So, Feiertage 10–18 Uhr
www.landesmuseum.de