
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Fünf Tänzerinnen, vier Tänzer sind übriggeblieben und begegnen sich in der Choreografie „Kontakthof Echoes of ‘78“ nach Pina Bausch von Meryl Tankard. Alt sind sie geworden, denn vor 46 Jahren gehörten sie zur Erstbesetzung dieses legendären Stücks.
Doch nach wie vor sind sie einsam, flirten oder zanken sich – untereinander oder mit imaginären Gegenübern. Sie bieten sich an, zeigen ihre Körperteile, demonstrieren, was sie so können, begutachten die anderen, nähern sich an und quälen einander. Ihr „Kontakthof“ ist kein Raum für käufliche Liebe im engeren Sinne, sondern der Sehnsuchtsort dieser Menschen: Sie wollen wahrgenommen, berührt, geliebt werden und machen sich dafür zur käuflichen Ware. Zugleich präsentieren sie sich dem Publikum als Professionelle, als Auftretende, die gefallen müssen. Auf einer zweiten Ebene werden so auch die Zwänge des Tanztheaters zum Thema gemacht.
Dieses frühe Stück gehört zu den meist gespielten Arbeiten des Wuppertaler Tanztheaters. Bereits damals fragte sich Pina Bausch, wie das wohl wäre, es eines Tages mit ihren älter gewordenen Mitwirkenden zu inszenieren. 22 Jahre nach der Uraufführung erarbeitete sie eine Version mit Amateuren von über 65 Jahren. Kurz vor ihrem Tod entstand auch der „Kontakthof mit Jugendlichen“, der von einigen Mitarbeiterinnen ebenfalls mit Laien verwirklicht wurde. Diese Inszenierungen mit verschiedenen Generationen zeigen, dass Tanztheater nicht elitär ist, sondern alle Körper, alle Lebensalter und alle Erfahrungen einschließen kann.
Viele Choreografien von Pina Bausch enden so wie sie begonnen haben. Man verlässt das Theater und denkt: Es hört nicht auf – das, was Menschen unternehmen, um geliebt zu werden. Wenn man das Stück Jahre später erneut sieht, hat man das Gefühl, es habe auch in der Abwesenheit nicht aufgehört. Tanzende wurden zwar ausgetauscht, andere haben die Rollen übernommen – aber das Spiel geht weiter, wie das Leben selbst.
„Echoes“ wurde im letzten Winter in Wuppertal uraufgeführt und ist nun zum Berliner Theatertreffen 2025 eingeladen worden. Es ist die einzige Arbeit von Pina Bausch, die jemals deutlich gekürzt und verändert wurde. Ihre Wiederaufnahmen sind sonst detailliert bis in die kleinsten Bewegungen hinein authentisch rekonstruiert. Originaltänzerin Meryl Tankard ist eine vielseitige Künstlerin, die Filme dreht und eigene Choreografien realisiert. Für ihre reduzierte Version des „Kontakthofes“ nutzt sie schwarz-weiße Videoaufnahmen der Uraufführung von 1978, die sie – ohne Leinwand – in den Bühnenraum projizieren lässt.
Meryl Tankard und die anderen – älter als 70 Jahre alten – Tanzenden schmusen, flirten und agieren unter oder neben ihren Filmbildern von damals. Meist mit denselben Bewegungen. Einst waren es 21, einige sind gestorben, andere können nicht mehr auftreten. Doch die neun machen unermüdlich weiter: tanzen Diagonalen, kreisen rhythmisch, bieten sich an. Während sie miteinander kämpfen oder einander lieben wollen, laufen durchgehend uralte Schlager wie „Du bist nicht die erste“ oder „Frühling und Sonnenschein“. Oft verschwinden die Spielenden hinter großflächigen Projektionen, leuchten hindurch oder erscheinen gleichgroß. Zeitweise überlagern sich reale und abgespielte Szenen.
Die fehlenden Tänzerinnen und Tänzer wurden nicht ersetzt – diese Inszenierung ist vor allem eine melancholische Erinnerung an ihre Abwesenheit. In den Diagonalen oder Kreistänzen gibt es ständig Lücken, ohne Gegenüber müssen Begegnungen und Berührungen oft simuliert werden. Wichtige Szenen laufen manchmal auch ohne reale Beteiligung auf der Bühne ab: Das Paar, das sich weit voneinander entfernt gegenübersaß und auszog, gibt es nur im Film.
Ein Fotograf hält auch jene fest, die nicht mehr da sind und nur in der Projektion erscheinen. Die Tänzerin, die im Film von allen Männern des Ensembles berührt wird, steht allein auf der Bühne und reagiert auf imaginäre Berührungen. Als sie im Film hochgehoben wird, steigt sie aus ihrer Szene aus und sieht sich das Video an.
„Ist sie nicht süß“, sagt eine andere aus dem Ensemble über ihr Filmbild. „Das war ich, damals war ich pummeliger“, meint sie kokett und demonstriert nun, wie schlank sie heute ist. Die schwarz-weißen Schatten der Vergangenheit treffen auf die bunte Gegenwart, denn die Tänzerinnen sind so farbenfroh kostümiert wie einst. Doch die im Stück angelegte Einsamkeit der Figuren, verstärkt durch den Verlust der Fehlenden, durchzieht auch die „Echoes“ mit großer Melancholie. Aber alle raffen sich immer wieder auf, treten erneut hervor, wenden sich dem Publikum zu. Sie sind traurig, aber voller Hoffnung – und das ist vielleicht das Entscheidende dieser Interpretation: Es geht weiter!
Tankards Stück ist keine Verklärung des Alten, sondern eine (fast) autonome Arbeit, die ein altersgemischtes Publikum tief bewegt. Lange Ovationen im Stehen und jubelnder Beifall für diese eigenwillige Hommage an das Wuppertaler Tanztheater und die abwesende Pina Bausch. Die überaus präsent wird!
Foto:
© Ursula Kaufmann / Berliner Festspiele