vergibt den Ludwig-Börne-Preis2016

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Immer wieder heben wir diese Preisverleihung aus dem doch zahlreichen Preisgeschehen in Deutschland heraus, weil der Börnestiftung damit etwas ganz Besonderes gelungen ist. Sie, bzw. ihre Jury sucht im gesellschaftlichen Rund eine Person aus, die dann von sich aus den Preisträger bestimmt. Und das ist diesmal András Schiff!

 

Da stockt man erst mal. András Schiff? Natürlich kennt man ihn, aber in anderem Zusammenhang, was daran liegt, daß wir immer noch eine Sparteneinteilung für Künstler im Kopf haben, die sich in Weltexpresso auch durchsetzt, wo wir KUNST, BÜCHER, KINO UND MUSIK trennen, was ja nicht nur pragmatisch ist, sondern den Lesern auch Orientierung gibt. Da würde man den 1953 in Budapest geborenen Pianisten und auch Dirigenten András Schiff normalerweise unter MUSIK suchen.

 

Ihn nun als als alleinigen Juror, als Preisrichter zu bestimmen, finden wir spannend. Wir wissen nur nicht, ob das auch bedeutet, daß seine Auswahl des Preisträgers, die bisher total ans Wort gebunden war, ausgeweitet wird, beispielsweise auf Komponisten, die sich genau um das verdient gemacht haben, was das lebenslange Streben von Ludwig Börne war, auf Erden den Menschen ein menschliches Leben zu ermöglichen. Da könnten wir uns schnell Komponisten vorstellen, die zu ehren sind, auch deren Interpreten, wenn man an die modernen Oratorien denkt, aber auch moderne Opern. Und ehrlich gesagt könnten hier auch die Filme eine Rolle spielen, die Ludwig Börnes gesellschaftliche Ziele auf die Leinwand bringen. Und seine Geschliffenheit der Form, denn darum ging es ihm auch, aber die gilt für alle Künste.

 

Aber, muß man sofort fragen, stimmt das mit den Stiftungszielen überein? Wenn uns mitgeteilt wird: „DieLudwig-Böme-Stiftung,die mitihremPreis hervorragendeLeistungenim BereichEssay,Kritik undReportageehrt,hatdenPianistenAndrásSchiff zumPreisrichtergewählt,derin alleinigerVerant­wortungüberdenPreisträgerbzw.diePreisträgerin entscheidet.“, so klingt das erst einmal, als ob Musik und Film außen vor bleiben müßten und nur das Wort unangefochten zum Träger der Erkenntnis und auch zum Preisträger führe. Aber, so sagen wir, der Begriff der REPORTAGE ist weit auslegbar. Wir auf jeden Fall würden das absolut begrüßen, wenn sich das künstlerische Bezugsfeld für den Preis erweitert und der neue Preisrichter mutig voranschreitet.

 

Jetzt aber noch einmal zum Besonderen des Preise und warum wir ihn so hochhalten. Normalerweise gibt es Jurys, ein gutes Beispiel ist die vom Deutschen Buchpreis, wo überraschend beim letzten Mal ein Buch gewann, das ein absoluter Außenseiter war. Denn normalerweise ergeben sich bei Jurydiskussionen Situationen, wo Außenseiter gegen Außenseiter stehen, oder doch zumindest verschiedene Lager für verschiedene Personen und Richtungen und dann wird, weil man einig werden will, ja muß, meist diejenigen zu Preisträgern gekürt, die von allen mitgetragen werden können. Auch wenn das nicht schön klingt, aber das führt dazu, daß das Mittelmaß hauptsächlich Preise erhält. Das soll gar nicht despektierlich klingen, denn es geht jetzt nicht um Qualität, sondern um den uns allen geläufigen Vorgang, daß man sich immer leichter auf jemanden einigen kann, der keinen Anstoß erregt, also angepaßter und eingepaßter ist als jemand, der eine dezidierte Meinung vertritt oder ein besonders Werk geschaffen hat. Juryentscheidungen sind in der Regel immer der Harmonie im Gremium geschuldet.

 

Warum wir den Deutschen Buchpreis als Beispiel wählten, hat natürlich mit dessen Beginn im Jahr 2005 zu tun, wo Arno Geiger für ES GEHT UNS GUT den ersten Deutschen Buchpreis erhielt – und nicht Daniel Kehlmann mit seinem genialen DIE VERMESSUNG DER WELT, ein Buch, das so eigen, so unglaublich spritzig, ungewöhnlich und vor allem dann auch erfolgreich wurde, daß uns das noch heute aufregt. Hintergrund war genau die beschriebene Situation, daß sich das Kehlmannlager und ein anderes dann auf den Kompromißvorschlag der Jurysprecherin einigten. Warum die das Buch vorschlug, ist eine andere, unschöne Geschichte und gehört nicht hierher.

 

Auf jeden Fall gibt die Auswahl auf einen Preisrichter, der seinerseits völlig freie Wahl hat, die Chance, aus dem Prinzip des „sich auf einen einigen zu müssen“ herauszutreten. Diese Chance wurde nicht immer genutzt, ist also nicht immer der Fall gewesen und wir haben die letzten Preisverleihungen auch deshalb nicht besucht, weil wir das nicht so gelungen finden, wenn eine von der Jury gewählte Entscheiderin dann demjenigen Redakteur oder Herausgeber einer Zeitung den Ludwig Börne Preis vergibt, bei dem sie selbst Artikel unterbringt. Da stört uns einmal der Vorgang an sich, aber auch, daß diejenigen, die eh schon anerkannt sind und über ihre Zeitungen ihre Meinungen sagen können, dann noch einmal Preise erhalten. Eigentlich ist die Sachlage ganz klar: wen hätte Ludwig Börne ausgewählt?

 

Und da hat es mehrere mutige Entscheidungen gegeben, die mutigste aber war die von Jorge Semprún, dem wir immer noch Tränen hinterherweinen, denn sein Leben und sein Wirken gehört zu dem Sinnvollsten, was politische und schriftstellerische Arbeit bewirken kann. Noch einmal also ein Lob der Jury, daß sie ihn, den lange in Frankreich im Untergrund lebenden Spanier ausgesucht hatte, der die Nazis, die ihn faßten, und nach Buchenwald transportierten, dann doch überlebte, sogar nach Franco der erste spanische Kulturminister wurde und Daniela Dahn als Preisträgerin vorgeschlagen hatte, eine wunderbar klare deutliche Journalistin, die deshalb zu Zeiten der DDR dort inhaftiert war. Was tat damals die FAZ? Spott und Hohn über ihre Preisrede, in der sie ebenfalls deutliche Worte zu dem fand, was Wiedervereinigung heißt und wo sie knallhart Zahlen nannte, wieviel des Bodens in der alten DDR heute Westdeutschen gehört. Dabei fällt uns auch auf, daß wenige der Preisträger aus der ehemaligen DDR kommen.

 

Diese deutlichen Worte mußten sein, denn der Preis ist mit einem sehr guten Preisgeld verbunden. Auch das gehört zu den Überlegungen des Bestimmers, des Preisrichters für den Ausgesuchten, daß er mit den 20 000 Euro unter Umständen ein Werk stabilisieren kann, daß in der kommerziellen Welt leicht untergeht oder erst gar keine Chance erhält.

 

Die Stiftung schreibt uns: „Der  im  Jahre   1993  erstmals  vergebene  Ludwig­ Börne-Preisistmit20 000Euro Preisgeldeinerder höchstdotiertenLiteraturpreiseder deutschsprachigen Länder.ZudenbisherigenPreisträgernzählen

u.   a.   Marcel   Reich-Ranicki,    Joachim   Kaiser, JoachimFest,RudolfAugstein,Hans MagnusEn­ zensberger,  Frank  Schimnacher,  Joachim  Gauck, AliceSchwarzer  undimletztenJahrJürgenKaube.

 

DerPreisträgerbzw.diePreisträgerinwirdnoch im Februar2016verkündetundderPreisam5.Juni 2016 imGemeindezentrumderJüdischeGemeindeFrank­furtamMainüberreicht.ErerinnertandenSchrift­stellerund JoumalistenLudwigBörne,derwegen seiner  scharfzüngigen  Prosa  als  einer  der  Erfinder desFeuilletonsgilt.”

 

Daran fällt uns nur auf, daß früher die Preisvergaben in der Paulskirche stattfanden. Und daß uns bei den 23 Preisträgern schon aufstößt, daß nur dreimal eine Frau ausgewählt wurde – neben Alice Schwarzer 2008 und der erwähnten Daniela Dahn 2004 im Jahr 1994 Marie Luise Scherrer, die zudem von Monika Maron als Preisrichterin nominiert wurde, wobei insgesamt nur viermal Frauen die Bestimmerinnen waren, aber dreimal dann Männer wählten, Männer, die Marcel Reich-Ranicki, Hans-Magnus Enzensberger und Frank Schirrmacher hießen.

 

P.S. Nein, wir schreiben jetzt nichts mehr zu András Schiff. Wir setzen voraus, daß unsere Leser und Leserinnen ihn als Musiker kennen und auch, wie mutig und deutlich er gegen die neuen ungarischen Verhältnisse unter Orbán Protest einlegte und sich auch in Österreich gegen die hetzende FPÖ zur Wehr setzte:Er tritt nur dort auf, wo Demokratie auch gelebt wird.

 

Info:

LudwigBörneStiftung

Wolfsgangsstraße  30-32

60322Frankfurtam  Main

Tel.:069  9591680

Fax:069  550678