„Kaspar Hauser“ in Darmstadt / Wiesbaden“, „Penelope wartet“ in Gießen
Hanswerner Kruse
Gießen (Weltexpresso) - Zum Frühlingsanfang präsentieren einige hessische Bühnen neue Tanzstücke mit alten Themen. Das Staatsballett Darmstadt-Wiesbaden zeigt „Kaspar Hauser“, im Stadttheater Gießen gibt es „Penelope wartet“ auf Odysseus.
Ein Ensemble aus griechischen Skulpturen und eingefrorenen Tänzerinnen bildet die Rückwand der Gießener Theaterbühne. Über die Zuschauer hinweg krabbelt ein Tänzer zur Rampe, eine Ballerina löst sich aus der Kulisse, beide paaren sich tanzend. „We are going back to Ithaka“, brüllen weitere Tänzer, die nach vorne drängen und mit Tänzerinnen seltsame Soli, Paar- und Gruppentänze zwischen Akrobatik und klassischen Schritten zelebrieren. Begleitet werden die Rückkehrer von live gespielter, percussiver Minimal Musik.
„Penelope wartet“ zeigt nicht Odysseus Abenteuer, sondern die Gefühle seiner wartenden Frau in Ithaka. Choreograf Tarek Assam präsentiert assoziative Tableaus, die viel Raum für Fantasien der Zuschauer lassen. In Penelopes Träumen von Begierde und Sehnsucht taucht der verschwundene Odysseus auf. Mit beklemmenden Tänzen wird sie von Freiern und ihren Untertanen zur erneuten Heirat gedrängt. Spannende Soli Penelopes wechseln mit Formationen der Compagnie. Oft tanzt sie mit einem Helfer, der ganz großartig, ohne weitere Verkleidung als Hund, Wächter oder Bettler agiert. Irgendwann nervt die facettenreiche, aber durchgehende Minimal Musik. Man wünscht sich, mal das Quietschen der Bretter, das Keuchen der Tanzenden oder Stille zu erleben - es ist, als traue Assam dem Tanz nicht.
Nach der Pause ist die kleine Bühne vollgestopft mit zahlreichen griechischen Bildwerken, einem Wagen mit riesigen Pauken und den Tanzenden. In einem Inferno aus Kampftänzen, wechselndem Licht und dröhnender Musik geht alles, was Assam vorher kunstvoll choreografisch aufgebaut hat, den Bach runter. Das Publikum wird geradezu wagnerianisch durch diese Rückkehr Odysseus überwältigt, wie die Freier, die er dabei abschlachtet. Doch das Ende ist gelungen - während sich Rückkehrer und Wartende lustvoll tanzend vereinigen, wischen Tänzerinnen mit roten Kissen das Blut der Erschlagenen auf.
Differenzierter geht es im „Kaspar Hauser“ des Staatsballetts zu. Nach einer wahren Geschichte taucht ein verängstigter junger Unbekannter plötzlich im 19. Jahrhundert in Nürnberg auf. Episodenhaft wird getanzt und gemimt, wie sich die feine Gesellschaft über Kaspars unzivilisiertes Verhalten mokiert. Ärzte beobachten und messen ihn, in der Schule ist er isoliert, aber eine Familie nimmt sich seiner liebevoll an. Choreograf Tim Plegge findet für sein Erzählballett meist eindeutige Tanzszenen. Durch klar ausgearbeitete Figuren in traditionellen Kostümen und dramatische Musik, die den Tanz verdoppelt, wird die Erzählung oft mehr als verständlich.
Interessant sind Kaspars „Echos“, drei fast nackte Tänzer, die ihn mit bizarren Bewegungen durch das Drama begleiten. Fast schützend umkreisen sie ihn, tanzen synchron mit ihm oder zerren ihn aus den Händen der Ärzte.
Die Darmstädter Drehbühne simuliert mit wechselnden Orten verrinnende Zeit, doch das Stück changiert manchmal auch zwischen Wirklichkeit und Träumen, in denen Kaspar seiner Mutter oder sich selbst als Kind begegnet. Das schrappt allerdings mitunter nah am Kitsch vorbei. Rückblickend wird auch die mögliche Gefangenschaft im Kerker angedeutet: „Kaspar wer bist Du?“, fragt eine Schrift an der Wand. Doch Kaspars Vorgeschichte bleibt letztlich offen, sein getanztes Leben endet mit viel Theaterblut. „Kaspar Hauser“ ist ein verständliches Stück für Zuschauer, die nicht ständig auf sich geworfen werden wollen. „Penelope wartet“ wirkt dagegen zeitgemäßer, der Ausdruck der Tanzenden ist intensiver und fordert das Publikum stärker heraus.
Weitere Aufführungen
„Penelope wartet“, Stadttheater Gießen am 7. und 24. April, 16. Mai jeweils um 19.30 Uhr
„Kaspar Hauser“, Staatsballett in Darmstadt am 26. April, 5. Mai, 11. und 17. Juni, 9. Juli jeweils um 19.30 Uhr
Staatsballett in Wiesbaden am 6. /10. / 13. / 16. April jeweils um 19.30 Uhr
Foto: © Bettina Stöß / Staatstheater
„Die Echos“ begleiten Kaspar Hauser durch das Stück und stehen für das, was er nicht aussprechen will oder verlernt hat