Der Deschner-Preis geht an Raif Badawi & Ensaf Haidar Teil 1
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am vergangenen Wochenende wurde dem inhaftierten saudischen Internet-Aktivisten und Blogger und seiner Lebensgefährtin Ensaf Haidar in Frankfurt am Main der Deschner-Preis der Giordano-Bruno-Stiftung verliehen. Ensaf Haidar nahm den Preis entgegen, ihrem Lebensgefährten war es verwehrt anwesend zu sein.
Aufgrund seiner unabhängigen Meinungsäußerung war er zur Unperson, zum Verbrecher unter Verbrechern, erklärt worden, schmachtet in saudischer Haft und muss mit weiteren Runden Auspeitschungen rechnen. Ihm droht möglicherweise sogar die Todesstrafe. Ensar hatte nach seiner Verhaftung unter Pseudonym weiter gebloggt, was auch ihr zur Gefahr wurde. Sie lebt heute in Kanada.
Der Preis richtet sich per definitionem an Personen, “die sich in herausragender Weise auf dem Gebiet der Religions- und Ideologiekritik engagiert haben”. Karlheinz Deschner, Namensgeber, hatte seine schriftstellerische Existenz vornehmlich der Kritik von Kirche und Religion gewidmet. Als 2006/7 der neunte Band der Kriminalgeschichte des Christentums herauskam, beschloß die Stiftung, in zweijährigem Abstand den mit 10 000 Euro dotierten Förderpreis “zur Stärkung des säkularen, wissenschaftlichen und humanistischen Denkens und Handelns” zu vergeben.
Peitschenhiebe als Rache einer grausam gestimmten Justitia
Raif Badawi wurde im Mai 2014 wegen Abtrünnigkeit (‘Apostasie’) vom Islam zu 10 Jahren Haft, 1000 Peitschenhieben, 10 Jahren Reise- und Medienverbot und zu einer Geldstrafe von 194 000 Euro verurteilt. Im Januar 2015 wurde er erstmals öffentlich ausgepeitscht. In den Ländern des religiösen Wahns ist es üblich, dass derartige Richtsprüche von Männern gefällt werden, die anderen vorschreiben wollen, wie sie leben sollen, nur um angemaßte Macht auszuüben. Es kommt aber streng genommen einer Gotteslästerung gleich, wenn sie behaupten, sie hätten die alleinige Wahrheit in Religionsangelegenheiten gepachtet.
Badawi ist verurteilt worden, weil er für eine freiheitliche, säkulare, an den allgemeinen Grund- und Menschenrechten ausgerichtete Gesellschaft eintrat und weil er Angehörige unterschiedlicher religiöser Überzeugungen als gleichwertig betrachtete. Nachdem Politiker und Prominente sich für ihn verwendet hatten, wurde er zunächst von weiteren 50 Stockschlägen ‘verschont’ - die ersten 50 Schläge überlebte er nur schwer verletzt. Er lebt isoliert in Haft und ist gesundheitlich geschädigt.
Die Schwester Samar, die den Twitter-Account weiterbetrieb, wurde im Januar 2015 auch festgenommen. Im Verlauf des Festakts wurde in einer kleinen Erzählung kundgetan, wie Raif und seine Frau Ensaf sich erstmals näherkamen, als sie ungeplant in ein Telefongespräch gerieten, das nach saudischem Muster eigentlich gar nicht hätte stattfinden dürfen, weil keine aufsichtsführende Person ihnen das Plazet erteilte.
Badawi ist Philosoph und Intellektueller
Mit den philosophischen Anmerkungen, die in der Schrift ‘1000 Peitschenhiebe’ nachzulesen sind, befindet Raif Badawi sich auf der Höhe des modernen philosophischen Diskurses. Er ist kein Blogger der vielfach üblichen Art, der nur mal von sich gibt, was ihm gerade so einfällt. Er ist ein säkularer moderner Intellektueller. Er argumentiert spezifisch und kontextuell, ordnet sich in die Bezüge der Wissenschaft und Gelehrsamkeit ein, kann es mit jedem westlichen Philosophen aufnehmen. Er ist voll auf der Höhe der modernen Zeit mit seiner klaren und erleuchteten Verstandesarbeit. Das offenbart, wie weit Arabien heute bereits mitten im Wettbewerb der Weltweisheit steht, die mit religiösen Dogmen nichts am Hut hat.
Was Toiletten doch so hergeben
In einer schmutzigen Gefängnis-Toilette stieß Badawi einst unvermittelt auf den gekritzelten Ausspruch: “Säkularismus ist die Lösung!”. Damit war er einer anderen Person begegnet, mit der er sich sofort verstand. Nicht zuletzt hieraus ergab sich für ihn das Modell einer Dreiheit von Säkularität, Liberalität und Menschenrechten. Das zu vertreten aber ist für die Glaubensdogmatiker des Islam eine todeswürdige Meinung. Gleichberechtigung von Menschen ‘ohne irgend etwas sonst’: das darf nicht sein!
Ein Problem, mit dem die heutige aufgeklärte Gesellschaft sich konfrontiert sieht, ist aber die Kuscheldiplomatie der Politik unter anderem auch gegenüber den saudischen Gewaltherrschern, wodurch der wahabitischen Terror begünstigt wird. In Frankfurt am Main wurde diesen Netzwerken direkt neben der Alten Oper eigenst eine Luxusbleibe hochgezogen, von der aus sie sich schon mal die dereinstige Sprengung der sündigen Alten Oper imaginieren dürfen. Bundesgrüne und Linke hatten 2015 Anträge zugunsten Raif Badawis formuliert, um den Druck auf die Saudis zu erhöhen und um Sanktionen durchzusetzen.
Die Politik ist eine zunehmend seichte Veranstaltung
Aber alles, was der Antrag vorschlug wurde von CDU und SPD abgelehnt, ja sogar jegliche Sanktion. Daher gilt für die besitzbürgerlich materialistischen Parteien: Mammon schlägt Christentum und Menschenrecht. Nichts also mit Stopp von Rüstungsexporten in die Golfstaaten, Einschränkung der Einreise für die maßgeblich für Verstöße gegen Menschenrechte Verantwortlichen, Verzicht auf saudisches Öl, Aufkündigung der technischen Zusammenarbeit; indessen aber wäre doch wohl angebracht gewesen, den Botschafter zu beauftragen, den Häftling im Gefängnis zu besuchen und ihm Asyl anzubieten, was auch angeregt worden war.
Badawi vertritt die Meinung, dass ohne die Trennung von Staat und Religion kein Frieden in der Welt sein könne, keine Freiheit und keine soziale Gerechtigkeit. Vor Gericht kam Raif in eine unangenehme Situation, als er genötigt wurde, sich beim Allmächtigen zu entschuldigen und wegen seines angeblichen Abfalls vom Glauben das Glaubensbekenntnis erneuern sollte. Er weigerte sich mit der Begründung, dass er bereits Muslim sei.- Ja, haben wir nicht schon genügend natürliche Probleme in der Welt, müssen wir uns auch noch künstliche und eingebildete schaffen?
Wird fortgesetzt: ‘Die Freiheit ist gefährdet durch Lauheit’
Info:
Verleihung des Deschner-Preises der Giordano-Bruno-Stiftung an Raif Badawi & Ensaf Haidar, Sa. 23.04.2016, Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt
· Intro: “Säkularismus ist die Lösung- Raif Badawi und Ensaf Haidar” (Video)
· Begrüßung und Preisbegründung durch Michael Schmidt-Salomon
· Redebeitrag (mit Buchlesung) von Andrea C. Hoffmann: “Freiheit für Raif
Badawi”
· Filmbeitrag “Doudi schreibt an seinen Vater Raif” (Video von Amnesty Internat.)
· Laudatio auf Raif Badawi und Ensaf Haidar von Hamed Abdel-Samad
· Feierliche Übergabe des Deschner-Preises an Ensaf Haidar
· Dankesrede von Ensaf Haidar (Übersetzung: Savane Al-Hassani)
· Uotro: Filmfinale “Hoffnung Mensch” (Video)
Raif Badawi, 1000 Peitschenhiebe - weil ich sage, was ich denke, Ullstein, 2015
62 Seiten · ISBN 978-3-550-08120-0
Epilog: „Säkularismus ist die Lösung!“ - Über Religion und Gewalt, von Dr. Michael Schmidt-Salomon (Giordano-Bruno-Stiftung):
“[...] Mit anderen Worten: Religionen sind ‘kulturelle Zeitmaschinen’, die überholte Vorstellungen vergangener Epochen in die heutige Zeit transportieren. Und das führt unweigerlich zu Konflikten mit der humanistischen Kultur der Menschenrechte, die sich in den letzten Jahrzehnten allmählich entfalten konnte”.
(Wikipedia wurde verschiedentlich hinzugezogen)
http://www.giordano-bruno-stiftung.de/sites/default/files/saekularismus_ist_die_loesung.pdfᄃ