Ob der Islam reformfähig ist, bleibt offen - zu wünschen ist es ihm, Teil 2
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Nachmittag zeigte in einer übermittelten Videobotschaft aus Kanada Eindrücke aus dem Badawischen Familienleben der Frau und der Kinder. Das rührte Hamed Abdel Samad so sehr, dass seine frei gehaltene, nicht vorgefertigte Rede noch authentischer, noch unverstellter ausfiel.
Er betrachtet Raif als Symbolfigur, die umso mehr wirkt als ihren Gegnern die Menschenwürde ein unbekanntes Land zu sein scheint und sie keinerlei Dimension von Freiheit zu buchstabieren in der Lage oder willens sind. Ein Begriff wie ‘Freiheitsgrad’, Grundbedingungen für menschliche Kultur, ist ihnen ein Buch mit sieben Siegeln. Das war in der islamischen Wissenschaft und Kunst nicht immer so.
Die Meinungsfreiheit bleibt Despoten und Diktatoren ein Dorn im Auge
Hamed Abdel-Samad betonte die Wichtigkeit, Meinungsfreiheit auch hier bei uns zu verteidigen, denn es gebe keinen Islamkritiker, der nicht auch Drohungen von einer selbsternannten Religionspolizei bekomme. Deswegen untersteht er selbst auch dem besonderen Schutz des Staates. Abschließend stellte er die Frage: Haben nur religiöse Menschen Gefühle? Gibt es nicht auch andere wie beispielsweise säkulare?
Ensaf Haidar forderte in ihrer Dankesrede dazu auf, auch im Westen konsequent für Meinungsfreiheit einzutreten. Raif habe es abgelehnt, Teil einer Herde zu sein, die blind Klerikern folgt. Für freie Meinung über Religion zu streiten, ist gleich wie die Luft zum Atmen. Auch Muslime können ihre Denker wählen. Experten des muslimischen Glaubens fordern zu Reformen auf. Das schließt aber auch das Recht ein, nicht zu glauben. Der Mensch braucht zur Begründung sittlichen Handelns keine Religion, die entwickelte Vernunft reicht hierfür aus.
Seit Immanuel Kant wissen wir, dass der kategorische, aus der Vernunft abgeleitete moralische Imperativ es offenläßt, auch nicht zu glauben, obwohl Gott, Freiheit und Unsterblichkeit in einem Atemzug genannt werden können, ohne gleich in ein Dogma zu verfallen. ‘Der bestirnte Himmel über mir, das Sittengesetz in mir’. Säkularität ist seit Beginn der Aufklärung aber die beste Lösung. Sie war die Hauptforderung des Tages.
Zur Erinnerung: mit seinem Online-Forum “Die Saudischen Liberalen” geriet Raif Badawi nach 2008 ins Visier der saudischen Behörden, es kam zu ersten Repressalien. Nach seiner Verhaftung 2012 bekam er ein Verfahren wegen ‘Apostasie’ angehängt. Denn wer allein sich schon nicht eindeutig zum Islam bekennt, ist als ‘Ungläubiger’ verdammt. Der eigentliche Vorwurf, der vom Gericht ausging, bestand aber darin, dass Badawi ‘Muslime, Christen, Juden und Atheisten als gleichwertig bezeichne’ und insofern eine Relativierung des Islam begehe, die den Vorwurf der Infragestellung dieses Islams nach sich ziehe, was seit 2014 mit einer terroristischen Handlung gleichgesetzt wird. Wohlgemerkt: Terror geht von saudischen Despoten immer nur von anderen aus.
Aufgeklärte, habt acht!
Dies muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, um zu begreifen, mit welcher Sorte von abgedrehten Leuten man es im Fall einer ultrastrengen Religionsbehörde zu tun hat - woraufhin es auch angebracht sein dürfte, zu fragen wes´ Geistes Kind sie sind und was sie leitet. Ist es vielleicht nicht einfach nur Machtgier anstatt Gottesnähe? Können sie Ambivalenz und Zweifel einfach nicht ertragen? Das Verhältnis von Gelassenheit und Strenge hier und dort hat in unserem Land insofern an Aktualität gewonnen, als dauernd gefragt wird, ‘ob denn der Islam zu Deutschland gehöre’.
Sollte sich erweisen, dass der Islam wirklich nicht zur grundlegenden Liberalität in Religionsdingen, zur uneingeschränkten Akzeptanz abweichender Orientierungen, auch mögliche Religionsferne miteinschließend, willens oder in der Lage ist, dann wird er tatsächlich nicht zu Europa gehören können. Wenn eine archaische Religion, die sich der historisch-kritischen Weiterentwicklung entzieht, nicht befähigt ist, andere, abweichende Ansichten und Meinungen (wie zum Beispiel auch säkulare und areligiöse) anzuerkennen, wenn der Islam sich doch als reformresistent erweisen sollte, dann gehört er nicht zu Europa und damit übrigens auch nicht die Türkei mit einem Erdogan an der Spitze.
Die Tragik liegt darin, dass eine islamische aufgeklärte Gelehrsamkeit einmal höher entwickelt war als eine in unseren damaligen Breiten der christlichen Orthodoxie behauste, - und aber doch genau das möglich gemacht hat, was aus uns werden konnte und auch wurde, während die ursprünglich einmal progressiv gewesene islamische Welt durch falsche Entscheidungen auf die dogmatische Bahn geriet.
Raif Badawis Anwalt wurde zu 15 Jahren Haft, zu einem Reiseverbot von 15 Jahren und zu einer Geldstrafe von 200 000 Saudi-Riyal (etwa 39 200 Euro) verurteilt, nachdem er Raif Badawi im Prozess verteidigt hatte. Er blieb in Haft wie sein Mandant und ist körperlicher wie psychischer Folter ausgesetzt.
Zuletzt muss auch auf den gegenwärtigen Terror des saudischen Regimes gegen die Bevölkerung des Jemen angesprochen werden. Gegen den Jemen wird exzessiver Bombenterror geflogen: ‘1000 Luftangriffe und mehr’, ‘Fünf Monate lang zermahlen Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate nun schon mit ihren hochmodernen Kampfjets das Armenhaus der Arabischen Welt’ (FR 11.09.2015). Und dies nur aus Gründen des Religionskonflikts.
Damit kommen wir zu einem Grundproblem von Religionen. Sie vertreten selbst noch als abstruseste Sekte einen Allmachtsanspruch und erheben ein dogmatisches Wahrheitsmonopol, mit dem sie die sogenannten Ungäubigen - auch aus der eigenen Religionsgemeinschaft kommend - gewalttätig überziehen. Mit dieser Art Leuten machen wir blendende Geschäfte und liefern ihnen Waffen. Eine unhaltbare Situation.
Info:
Verleihung des Deschner-Preises der Giordano-Bruno-Stiftung an Raif Badawi & Ensaf Haidar, Sa. 23.04.2016, Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt
· Intro: “Säkularismus ist die Lösung- Raif Badawi und Ensaf Haidar” (Video)
· Begrüßung und Preisbegründung durch Michael Schmidt-Salomon
· Redebeitrag (mit Buchlesung) von Andrea C. Hoffmann: “Freiheit für Raif
Badawi”
· Filmbeitrag “Doudi schreibt an seinen Vater Raif” (Video von Amnesty Internat.)
· Laudatio auf Raif Badawi und Ensaf Haidar von Hamed Abdel-Samad
· Feierliche Übergabe des Deschner-Preises an Ensaf Haidar
· Dankesrede von Ensaf Haidar (Übersetzung: Savane Al-Hassani)
· Uotro: Filmfinale “Hoffnung Mensch” (Video)
Raif Badawi, 1000 Peitschenhiebe - weil ich sage, was ich denke, Ullstein, 2015
62 Seiten · ISBN 978-3-550-08120-0
Epilog: „Säkularismus ist die Lösung!“ - Über Religion und Gewalt, von Dr. Michael Schmidt-Salomon (Giordano-Bruno-Stiftung):
“[...] Mit anderen Worten: Religionen sind ‘kulturelle Zeitmaschinen’, die überholte Vorstellungen vergangener Epochen in die heutige Zeit transportieren. Und das führt unweigerlich zu Konflikten mit der humanistischen Kultur der Menschenrechte, die sich in den letzten Jahrzehnten allmählich entfalten konnte”.
(Wikipedia wurde verschiedentlich hinzugezogen)
http://www.giordano-bruno-stiftung.de/sites/default/files/saekularismus_ist_die_loesung.pdfᄃ