Oliver Reese stellt das Programm seiner letzten Spielzeit als Frankfurter Schauspielintendant vor, Teil 3

Klaus Philipp Mertens


Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Als Oliver Reese am 1. Mai dem Stammpublikum des Schauspiels den Spielplan des letzten Achtels seiner Intendanz vorstellte, wurde die Experimentierbühne BOX leider nur am Rande erwähnt.


Immerhin hatte sie sich in den ersten sechs Jahren nach ihrer Errichtung 2009 durch Reese zu einem lebhaften Zentrum des jungen Theaterschaffens entwickelt. Nachwuchstalente wie Laura Linnenbaum, Nina Schwerdtfeger, Lili Sykes, Johanna Wehner, Alexander Eisenach oder Ersan Mondtag hatten dieses Forum intensiv genutzt und entscheidend zu seiner Profilierung beigetragen. In der Spielzeit 2015/16 offenbarte sich jedoch ein Bruch. Vielleicht gingen die Ideen aus, vielleicht konnten die Hochschulen ihren Absolventen nicht mehr das notwendige Theater-Feeling vermitteln, vielleicht hat man aber auch jene ausgewählt, die ein modernes Theater nur bedingt voranbringen. Es wäre schön, schön für das Schauspiel Frankfurt und sein Publikum, falls diese Entwicklung durch das neue Programm wieder umgekehrt würde.

Für Oktober ist die erste Premiere angesagt: „Ich hätte gern den Charme von Adriano Celentano“. Das klingt verheißungsvoll, allerdings vermag ich vom Inhalt der ersten Ankündigung keinen Zusammenhang herzustellen zwischen dem Sänger von „Azzurro“ und der Science Fiction-Szenenfolge in einem Raumschiff, mit dessen Hilfe die Menschheit der Übervölkerung der Erde entgehen könnte. Roscha A. Säidow, Autorin und Regisseurin, bezeichnet ihr Stück als „Live-Dokumentation über den Ist-Zustand unserer westlichen Zivilisation“. Hinweise auf eine notwendige Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, des Eigentums an Produktionsmitteln und der Mitbestimmung jener zwei Drittel der Weltbevölkerung, die gemäß den Gesetzen des Kolonialismus und des Neoliberalismus dumm, arm und politisch stimmlos gehalten werden, finde ich im Programmheft leider nicht.

Zu mehr Hoffnung berechtigt Daniel Foersters Inszenierung von „4.48 Psychose“, die für Februar 2017 angekündigt ist. Sein „Fräulein Julie“ zählt in der laufenden Spielzeit zu den uneingeschränkt sehenswerten Stücken der BOX. Foerster ist aktuell auch Mitglied des REGIEStudios. Der Stoff der Dramatikerin Sarah Kane über die Abgründe, in welche Menschen mit  psychischen Erkrankungen geraten können, ist eine wiederholte Auseinandersetzung allemal wert. Kay Voges, Intendant und Regisseur in Dortmund, hatte bereits eine videolastige Interpretation geliefert (die auch in Frankfurt gezeigt wurde), die bei Kennern den Eindruck hervorrief, dass der Regisseur neuen psychischen Krankheiten auf die Spur gekommen sein könnte, aber der mentalen Bewältigung der bekannten Leiden keine Räume eröffnet hätte. So wünsche ich Daniel Foerster eine glücklichere Hand bei seinem Herangehen an das schwierige Thema.

Im März 2017 inszeniert Dennis Krauss seine erste Regiearbeit für das Schauspiel Frankfurt, nämlich Albert Camus‘ Drama „Caligula“. Es war das erste Bühnenstück des französischen Existenzialisten und es enthält bereits das Thema, das für seine späteren Werke das zentrale sein würde: Die Konfrontation des Menschen mit seinem als absurd erkannten Dasein und die mögliche, jedoch letztlich aussichtslose Auflehnung gegen diese Vorbestimmtheit. Zum Ausdruck kommt dies bereits zu Beginn des Dramas in der Erkenntnis des jungen römischen Kaisers nach dem Tod seiner, vom ihm inzestuös geliebten Schwester: „Die Menschen sterben, und sie sind nicht glücklich.“ So beschließt er, Rom eine bis dahin noch nie gekannte Freiheit zu geben. Er verspricht die Ausrottung der Lüge, die Entlarvung falscher Vernunft, die Abschaffung heuchlerischer Konventionen sowie die unverdienter Privilegien. Die Plebejer begrüßen diese Maßnahmen, insbesondere die Enteignung der Patrizier und nehmen deren Ermordung als Kollateralschäden einer prinzipiell richtigen Entscheidung in Kauf. Diese Anerkennung führt bei Caligula zu einem übersteigerten Selbstwertgefühl, das im Wahn endet. Er beginnt eine endlose Schleife der Vernichtung, bis ihn eine Verschwörung aus Gefolgsleuten und Gegnern umbringt. Fast alle Figuren des Stücks hängen einer Idee an, sind Verkünder einer jeweiligen Heilsbotschaft. Am Ende heben sich die Ideologien gegenseitig auf, das Absurde, das Camus in dieser Art Lehrstück vermittelt, wird als das Unabänderliche festgeschrieben. Man darf auf die Intentionen, die Dennis Krauss diesem Drama abgewinnt, gespannt sein.

Im Programmheft angekündigt ist für April 2017 eine weitere Premiere, nämlich das Stück „Vatersprache“ von Albert Ostermaier, inszeniert von David Moser. Hierzu gibt es jedoch derzeit noch keine näheren Informationen.


Nachzutragen bleibt für das gesamte Frankfurter Schauspiel, dass sich das Publikum von einigen sehr geschätzten Darstellern wird verabschieden müssen: Katharina Bach, Vincent Glander, Thomas Huber, Torben Kessler, Max Mayer und Linda Pöppel werden nicht mehr zum festen Ensemble zählen.

Neu hinzu kommen Björn Meyer, Yodit Riemersma und aus dem SchauspielStudio wurden Jan Breustedt und Carina Zichner übernommen. Dessen neue Mitglieder sind ab dem Spätsommer Alex Friedland, Alexandra Lukas (die bereits in „Netzwelt“ überzeugen konnte), Sina Martens, Justus Pfankuch und Owen Peter Read.

Info:

Hier noch einmal der Hinweis auf das umfangreiche Programmheft zur Spielzeit 2016/17, das aus dem Internet heruntergeladen werden kann:
https://www.schauspielfrankfurt.de/download/10611/scfr_spielzeitheft1617_web_klein.pdf