Persönliche Überlegungen zum Tod von Uwe Friedrichsen

Alexander Martin Pfleger

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Er war stets „dabei mit Seel und Leib“, wie es ihm bereits zu einem relativen frühen Zeitpunkt in seiner Schauspielerkarriere in einer seiner bekanntesten Rollen zu sagen vergönnt war, nämlich als Schüler im „Faust I“ unter Gustaf Gründgens (1960). Nun ist Uwe Friedrichsen, der stets wandlungsfähige, nicht auf einen bestimmten Rollentypus festzulegende, kaum einen Monat vor seinem 82. Geburtstag, am 30. April 2016 in Hamburg verstorben.


Man hält die Teile in der Hand – es fehlt nur noch das geistige Band. Es sollte obsolet erscheinen, einem Schauspieler Vielseitigkeit nachzurühmen – diese sollte zur Grundausstattung gehören, scheint aber immer mehr aus der Mode zu kommen. Immerhin bezeichnete sich ausgerechnet Uwe Friedrichsen, dem alles Überheblich-Auftrumpfende abging, obgleich man selbstverständlich auch ihm, wie fast allen Ganz Großen, hier und da nachsagte, „schwierig“ (eine hochpräzise Beschreibung!) zu sein, einmal als „eine Art Dinosaurier“ – ein, wie man bei ihm annehmen darf, gänzlich uneitler Hinweis auf eine darstellerische Bandbreite, die ihm noch zu Gebote stand, bei vielen Jüngeren aber kaum noch anzutreffen sei.

Für mich stellte die erste Begegnung mit der Schauspielkunst Uwe Friedrichsens, wie für viele meiner Altersgruppe, die Sesamstraße dar, darin er zu Beginn der 1980er Jahre die Figur des „Uwe“ mimte. Später folgte die 1983er/1984er-Adaptation der ersten 19 Heftromane der „Perry Rhodan“-Serie als zwölfteilige Hörspielreihe beim Hamburger Label Europa – bis heute gilt Uwe Friedrichsens Interpretation des „Erbens des Universums“ als die markanteste! – , der schon erwähnte Schüler in „der Tragödie erstem Teil“ sowie zahlreiche größere und kleinere Film- und Fernsehrollen, von denen ich die des zwielichtigen und schmierigen Senators Fieting in Dieter Wedels „Der König von St. Pauli“ (1998) besonders hervorheben möchte.

Von seinen zahlreichen Synchronsprechertätigkeiten erscheint mir vor allem die Rolle des eiskalten, skrupellosen Drogenbosses Franz Sanchez, dargestellt von Robert Davi, im James-Bond-Film „Lizenz zum Töten“ (1989) besonders beeindruckend: Eine größere Entfernung zur Sesamstraße war kaum denkbar – und das alles ist Uwe Friedrichsen!

Eine leider nur flüchtige Berührung mit dem Theatermann Friedrichsen gab es 2002, über das Fernsehen vermittelt, von den ersten wiederbegründeten Wormser Nibelungenfestspielen, wo er, erneut unter der Regie Dieter Wedels, als Rüdiger von Bechlarn in Moritz Rinkes „Nibelungen“ in Erscheinung trat.

Aus der Zeit seines Engagements bei Gustaf Gründgens stammt auch seine Mitwirkung an der HR/BR-Koproduktion (1962) einer Radiohörspielfassung der „Reiherjäger“ von Günther Weisenborn unter der Regie von Friedhelm Ortmann, worin er die Figur des Narcisso und Hans-Dieter Zeidler die des Jaime mimte – eine Kain-und-Abel-Geschichte und zugleich eine beklemmende Parabel über die Gesetzmäßigkeiten und Launen des Marktes, die gerade in Zeiten, da das an sich hoffnungsfroh stimmen sollende Projekt der Globalisierung vor allem Negativschlagzeilen produziert, leider wieder erhöhte Aufmerksamkeit für sich beanspruchen kann.

Legendär, wenn auch immer noch allzu sehr im Schatten der „Faust“-Verfilmung von 1960 stehend, ist die letzte Inszenierung von Gustaf Gründgens – sein „Hamlet“ von 1963 mit Maximilian Schell in der Titelrolle, Volker Brandt als Laertes, Charles Brauer als Rosenkranz und Uwe Friedrichsen als Güldenstern. Diese Aufnahme vom Mai 1963, die seit ihrer Wiederveröffentlichung als CD ungemein an Popularität gewonnen hat, läßt mit ihrem Großaufgebot an späteren Hörspiel- und Synchronstars sehr deutlich erkennen, in welchem Ausmaße im deutschen Sprachraum das bis heute immer noch erstaunlich hohe Niveau auf diesem Sektor vor allem das Verdienst von Gustaf Gründgens und vielen seiner Schüler ist.

Was ist mit Güldenstern und Rosenkranz? Diese beiden komischen Galgenvögel, die später in England umgebracht werden, waren einst Hamlets Freunde, das ist gesichert. War sein freundschaftliches Verhältnis zu ihnen ebenso innig wie das zu Horatio? Oder gar inniger? Das ist hier die Frage! Gewiß ist nur: Diesen seinen zwei früheren Schulgesellen traut er heute nur noch wie Nattern, und das wohl bereits vor ihrem Eintreffen in Helsingör. Sind sie Spitzel aus Überzeugung? Arme Toren, die nicht merken, daß sie manipuliert werden? Sie scheinen von Shakespeare wie zwei wandelnde „Nichtse“ gestaltet, und jeder Darsteller dürfte es als besondere Herausforderung empfinden, sich als ein solches Nichts gegenüber einem Charakter wie Hamlet zu behaupten.

Uwe Friedrichsens Güldenstern bewährt sich Maximilian Schells Hamlet gegenüber „höchst königlich“. Güldenstern kann die Flöte nicht spielen, er weiß keinen einzigen Griff, hat seine Finger nicht in seiner Gewalt, um auch nur irgendeine Harmonie hervorzubringen – er besitzt die Kunst nicht. Aus seinem Freund (Freund?) Hamlet will er – willentlich oder unwillentlich? – ein nichtswürdiges Ding machen, will in das Herz seines Geheimnisses dringen, ihn von seiner tiefsten Note bis zum Gipfel seiner Stimme prüfen, doch kennt er auch hier die Griffe nicht: Er kann ihn zwar verstimmen, aber nicht auf ihm spielen.

Und Güldensterns Interpret Uwe Friedrichsen? Er gestaltet das Nichts seiner Figur, und er besitzt die Kunst und kennt die Griffe, aber da er die Geheimnisse seines Herzens kennt, bringt er weitaus mehr als nur Kunstgriffe zuwege: Beredteste Musik! Er hat es in der Gewalt – er weiß zu spielen, und nicht bloß zu verstimmen. Wenn aber das Spiel Verstimmung fordert, verstimmt eben auch er.

Keineswegs verstimmt war Uwe Friedrichsen allerdings, wenn man ihn, wie es wohl jedem populären Schauspieler ergeht, vorrangig mit einigen wenigen, dafür aber besonders einprägsamen Rollen identifizierte. In seinem Falle war das in erster Linie der „Uwe“ aus der Sesamstraße. In einem Interview erzählte er einmal, daß ihn häufig Fremde – Erwachsene – ansprachen: „Sie kenne ich aus der Sesamstraße!“ Woraufhin er erfreut nachfragte: „Ah! Haben Sie so kleine Kinder?“ Bis ihm klar wurde, daß seine Gesprächspartner von ihrer eigenen Kindheit sprachen – und wie lange dies alles schon zurücklag.

Überraschend, wenn auch vom Expertenstandpunkt aus betrachtet etwas unpassend, rekurrierte man auf seine Rolle in den „Perry Rhodan“ – Hörspielen, als er am 2. Mai 1999 zu Gast in der 101. Sendung von „Zimmer frei!“ war. Damals präsentierte ihm der Moderator Götz Alsmann, dessen Kenntnisse des Perryversums stupend sein müssen, das galaktische Kultgetränk Vurguzz, welches er fälschlich „Vugruzz“ aussprach – ein für sich genommen durchaus nicht unwitziger Einfall, aber leider ohne erkennbaren Zusammenhang mit Uwe Friedrichsens Tätigkeit als „Perry Rhodan von der Dritten Macht der Erde“, denn als die zugrunde liegenden Romane Anfang der 1960er Jahre erschienen, war der Kult um diesen grünen Beerensaft, um es diplomatisch zu formulieren, noch nicht so verbreitet wie in späteren Phasen der Serie, und inwiefern Uwe Friedrichsen über seine damalige Aktivität Anfang der 1980er Jahre hinaus eine spezielle Perry-Rhodan-Rezeption kultivierte, ist unbekannt.

In jedem Falle sollte betont werden, daß er hiermit eine seiner beachtlichsten Leistungen vollbrachte, die aber bislang, über Fan-Kreise hinaus, kaum Anerkennung gefunden hat. Das Hauptproblem bei der Interpretation eines Serienhelden wie Perry Rhodan dürfte darin liegen, einen als positiv intendierten Helden auch als positiven Helden überzeugend darzustellen.

Wie legt man diese Rolle an? Ein protofaschistischer Führertypus, entsprechend einem immer noch weitverbreiteten Vorurteil, kam logischerweise nicht in Frage, aber auch nicht der weichgespülte Gutmensch mit esoterischen Anklängen, als welcher der einstige Großadministrator manchem Leser zu Beginn der 1980er Jahre, in der Ära Thomas Ziegler, erschienen sein mag.

Uwe Friedrichsen gelang hier, im idealen Zusammenspiel mit Rolf Jülich als Reginald Bull, Ernst von Klipstein als Crest und vor allem mit Judy Winter als Thora, die optimale Mischung aus Aktion und Kontemplation, eine Synthese von Geist und Tat – der visionäre Ausnahmepolitiker und Sofortumschalter, der aber nie den Blick für die Trivialitäten des Alltags und die daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der Umsetzung seiner Ziele aus dem Blickwinkel verliert.

In dieser Rolle wußte Uwe Friedrichsen die ganze Bandbreite seiner Schauspielkunst zu entfalten – das Laute, das Leise, das Entschlossene, Tatendurstige, aber auch das Zögernde, Zweifelnde, in manchen Momenten auch den Kampf mit der Verzweiflung nicht Verleugnende. Ein Mensch in seinem Widerspruch – und als solcher auch nicht frei von unangenehmen, streckenweise durchaus unsympathisch zu nennenden Zügen, etwa einer gewissen Überheblichkeit, kombiniert mit einem Hang zur Stichelei: Zum Glück aber nur auf wenige Momente der Konfrontation mit seiner späteren Frau Thora beschränkt und sein politisches Handeln völlig unbeeinflußt lassend.

In einem Interview äußerte Uwe Friedrichsen einmal: „Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, weiß ich gar nicht, ob ich mit mir selbst gern befreundet wäre.“ Nun gut – eine Freundschaft mit „seinem“ Perry Rhodan dürfte sich sicher schwierig gestalten.

Ein besonderer Aspekt seiner Sprechtechnik läßt sich gerade hier, aber auch anhand vieler anderer seiner Hörspielrollen – erinnert sei vor allem an die Figur des Aussteigers Jonas Pray auf der „Insel der Zombies“, übrigens wieder als Duo mit Judy Winter, oder als Dick Gordon in der Edgar Wallace-Vertonung „Der Frosch mit der Maske“; alles bei Europa – studieren: Ich nenne es das „Friedrichsensche Innehalten“ – ein Moment der Erwägung, des kurzen Einatmens, Einziehens der Luft, bisweilen wohl auch durch die weitgehend geschlossenen Zähne hindurch: Ein idealer Ruhepunkt, von dem aus er dann umso wirkungsvoller mit seiner klaren, kräftigen, stets deutlich akzentuierenden, aber niemals schneidenden Stimme loszuschnellen vermochte.

Ihm zufällig zu begegnen – in Hamburg oder sonst wo – und ihm meine Bewunderung auszusprechen, war mir leider nicht vergönnt.

„Ihre Zeit wird knapp werden!“ mahnt der Roboter Homunk Perry Rhodan, bevor diesem die lebensverlängernde Zelldusche verabreicht wird, und auch nach deren Erhalt betont er: „Ihre Zeit ist knapp bemessen!“. Und in Shakespeares 18. Sonett lesen wir in einer deutschsprachigen Nachdichtung: „Des Sommers Pracht hat allzu kurze Frist.“

Uwe Friedrichsen starb im Alter von 81 Jahren – eine allzu knappe Zeit, in der sich jedoch viel bewegen läßt! Uwe Friedrichsen hat vieles – und viele! – bewegt! Dafür danken wir ihm: „Lebe wohl, alter Freund!“