Ein Naturkunstwerk, das inmitten von Frankfurt zum Stein des Nachdenkens wurde

 

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Letzte Woche wurde ein Kunstarrangement, ein ‚Metamorphit‘ aus ‚Serpentinitmineralien‘ und zwei korrespondierend mit Text versehene Bronzetafeln an bewusst gewähltem Ort den Passanten und Vorkundigen in Frankfurt am Main übergeben. Von der Künstlerin Tamara Grcic geschaffen, gibt es Gelegenheit zum Verweilen, Anlass zum Erinnern und Nachdenken.

 

Mit der Einweihung dieses Denkmals der Erinnerung an die nationalsozialistische Raub- und Vernichtungspolitik – wie auch ihre schleppende, Aufarbeitung im Nachkriegsdeutschland - wurde vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Zeil 42, ein neuer Markstein gesetzt, zur Bestätigung auch der markanten Gestalt des Fritz Bauer, des Aufklärers und Hessischen Generalstaatsanwalts, der den Auschwitzprozess in Gang brachte und ein erweitertes Verständnis von Recht in die gesellschaftspolitische Diskussion einführte; wenn nun bald auch noch eine hinweisende und erklärende Tafel an dem Wohnhaus, in dem er lebte, angebracht wird.

 

Der seltene Stein vermittelt auch ein Moment des Schlußsteins für ein Ensemble um die Person Fritz Bauers in Frankfurt. Es werden noch weitere Gedenkorte mit Beziehung zu Fritz Bauer hinzukommen, werden zur Erinnerung wie zum Nachdenken Anlass geben, aber das zuletzt der Öffentlichkeit übergebene Denk- und Sinnmal hat sich durch seine besondere Qualität und Überzeugungskraft zweifellos an die Spitze gesetzt. Auch die Zitate von Bauer - er nämlich sprach vom Eisberg und dem, was sich unter dem Eis noch verbirgt - in den Schrifttafeln am Eingang zum Gericht sind wichtig und vor allem - deutlich in der Welt.

 

Die Redner gaben ihre Interpretationen des Steins zum Bedenken, besonders im Hinblick auf die Gemäßheit von Form und Inhalt. Die im Erdreich eingegrabene Form kann als vergrößerter Stolperstein verstanden werden, als zum Monument gewordene Ausführung eines Stolpersteins, wie er vor ehemaligen Wohnungen der Beraubten und Gemordeten schon vielfach in die Trottoirs eingebracht wurde.

 

Sehr im Zentrum stand die Sinnfälligkeit der Tatsache, dass die bei weitem größere Masse des Steins unsichtbar im Erdboden verborgen ist, wie auch dann der korrespondierende Umstand, dass die Untaten und Verbrechen an Juden wie Nichtjuden vieltausendfach noch unaufgearbeitet sind. Ebenso symbolisiert dieser Stein, dass menschliches Wissen und Forschen einen Teil des möglichen Verstehens in der Dunkelheit lässt und es kein abschlusshaftes Verstehen gibt.

 

 

Bauer hatte ein Rechtsverständnis dem Geist nach

 

Aber der Stein markiert mit dem Verborgenen auch die Größe des noch zu Vollbringenden. Demokratie konstituiert sich als Gesellschaft der Wächterinnen und Wächter, die sich vor die bedrohte Kreatur stellen, vor die zu bewahrende Natur und Umwelt. Die eigentlichen Proben auf die Menschlichkeit und Kreaturfreundlichkeit stehen noch bevor. Es kommt darauf an, um in der Sprechweise von Adorno zu bleiben, dass die zur Achtsamkeit gestimmten Menschen darauf hinwirken, dass gegen unmenschliche und ausbeuterische Verhältnisse nicht zu Kreuz gegangen, sondern dagegen gestanden wird. Hier und überall. Denn Recht kennt keine Landesgrenzen. Das waren Gedanken, die die Einweihung begleiteten.

 

 

Fritz Bauer ist ein Lehrer der Unruhigen

 

Fritz Bauer hätte es bestimmt für gut befunden, dass er in die nachfolgenden gesellschaftlichen Wirklichkeiten hineingeholt wird und nicht auf dem Sockel der Ehrung starr stehen bleibt. Der erste Redner Dr. Roman Poseck, Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt, wiederholte noch einmal: Fritz Bauer war ein Jurist mit Rückgrat, vor und nach dem Krieg, er war nicht willfährig wie so viele ins NS-System verwickelte Juristen, die oft auch überzeugte Mittäter waren. Er war kein Mann des Elfenbeinturms. Er wäre der Erste gewesen, der sich gegen ein neu formiertes Untier des Nationalsozialismus oder Rechtspopulismus der wohlfeilen, gewaltbereiten Stimmungsmache mit seiner ganzen Person leidenschaftlich entgegengesetzt hätte.

 

Fritz Bauer steht für die ungeschmälerte Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Der heutige Hessische Generalstaatsanwalt Prof. Dr. Helmut Fünfsinn verteidigte die Praxis, auch so spät noch hochbetagte NS-Täter einem Urteil zuzuführen. Recht verjährt nicht, erst recht nicht, wenn die Grundfesten des Rechts betroffen sind. Gerechtigkeit gilt in jeder Situation, künftige Täter sollten wissen, dass sie nicht davonkommen. Recht auszusetzen ist die Einladung zu kommendem Unrecht. Die Verjährung für Mord und Völkermord wurde abgeschafft.

 

Oberbürgermeister Peter Feldmann sprach darüber, dass der NS-Ungeist allein dadurch, dass sein abscheuliches Wüten in Auschwitz mitanzusehen war, Menschen unwiderruflich gebrochen hat. Die Belastungsstörung danach ist die bei weitem noch schlimmere. Nach der eigenen Rettung war das gesellschaftliche Umfeld tot, Familie und Freunde waren ermordet, Vergangenheit war verschüttet.

 

Der Frankfurter Dezernent für Kultur und Wissenschaft Felix Semmelroth sprach noch einmal die absonderlichen Auftritte der Verteidiger und Angeklagten im Auschwitzverfahren an, wenn unter anderen ein Täter wie Wilhelm Boger einer Zeugin zuwinkte wie einer alten Bekannten, so als ob weiter nichts gewesen wäre.

 

Fritz Bauer wurde für seine Aufarbeitungsleistung angefeindet, er war bei den Wiedergängern der NS-Zeit gehasst, bekam Drohanrufe, abscheulich formulierte Post erreichte ihn regelmäßig. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte eine politisch gewollte Schlussstrichmentalität und eine Stimmung des Verdrängens der NS-Zeit. Bauer musste sich gegen große Widerstände und alte Seilschaften, die wieder auferstanden, durchsetzen. Ihm war stets klar, dass er sich ‚in Feindesland‘ bewegte.

 

 

Den Geist Bauers auch in die heutige Realität versetzen

 

Interessant wäre zu erleben, wie Fritz Bauer unter den heutigen Bedingungen der angespannten Weltlage sich gegen Unrecht positionieren würde, gegen das Unrecht eines Finanzsystems der wachsenden Ungleichgewichte, der Großkonzerne, die sich mit Landraub und Vertreibung der Einheimischen ganze Landstriche unter den Nagel reißen und Fluchtbewegungen erzeugen, gegen das Unrecht der Ausbeutung der Natur und der Ressourcen wie auch der Arbeitskraft, gegen das Unrecht der Umweltzerstörung und Vernichtung der Lebensgrundlagen im großen Ausmaß.

 

Bauer war kein ‚Formaljurist‘, er war ein Jurist der höheren Rechtsebene des Welt-, Menschen- und Welt-Naturrechts. Rechtlich und fair gesonnene Menschen müssen sich zu Wort melden und Flagge zeigen, rechtliche Gesinnung verträgt keine Leisetreterei und lebt nicht im luftleeren Raum. Der gesetzeskonforme Verwaltungsakt der Gerichtsbarkeit entspricht nur dem kleinsten gemeinsamen Nenner des Rechtssystems. Bauer war auch Gewährsmann der Resozialisierung.

 

Es lohnt, seine Rede: ‚Fritz Bauer über White Collar Crime‘ anzusehen (Doppel-DVD ‘Fritz Bauer · Gespräche, Interviews und Reden‘, absolutmedien, 2014). Was er sagt, passt haargenau auf die heutige Lage. Sehr aktuell ist die Stelle, an der er rügt, dass Verstöße der Wirtschaft nur als Ordnungswidrigkeiten behandelt werden (anders als in den USA).

 

Fotos: (c) Heinz Markert