Tanztheater zur Eröffnung des Land Art Festivals 4
Hanswerner Kruse
Schlüchtern (Weltexpresso) - Die Kulturpreisträgerin des Main-Kinzig-Kreises Monica Opsahl schuf vor einiger Zeit ihr Ensemble Artodance, um langjährige, begabte Schülerinnen stärker zu fördern. Bei den Kulturtagen in Gelnhausen-Meerholz präsentierte die Schlüchterner Choreografin ein erstes abendfüllendes Tanztheater ihrer Compagnie, welches nun das 4. Festival Kunst & Natur in Schlüchtern-Hutten eröffnen wird.
„Identität!“ „Hoffnung!“ „Verwundbarkeit!“ Das Ensemble und einige Tanzsolisten betreten die Bühne, rufen diese und andere Worte. Es sind einige der Themen, die sie jetzt mit ihren Körpern, in ihren Beziehungen zueinander und zum Raum ausdrücken werden. „Tausend Nächte und noch eine...“, heißt das Werk, das mit sanften und exotischen Tänzen aus dem Orient beginnt. Doch bald zerstören Gewalt und Terror die Idylle. Frauen werden missbraucht und weggeschmissen. Kindersoldaten ballern um sich. Einzelne retten sich durch religiöse Unterwerfung. Liebende versuchen sich verzweifelt im Pas de Deux zu finden.
Später geht es im friedlichen Okzident weiter. Hier beginnen die Tage mit süßlicher Musik, tanzende Menschen begegnen sich, verfallen einander, dann folgen aggressive, verzweifelte, hilflose Paartänze. Gruppen geflüchteter Menschen drängen sich auf engem Raum. Immer wieder schmeißen sich Flüchtlinge gegen lebende Grenzzäune. Dessen ungeachtet werden auf der Bühne groteske Männerfantasien lebendig, im Rotlicht posieren die Tänzerinnen und ein Tänzer auf dem Strich.
Das ist kein Erzählballett - Artodance zeigt und zersetzt mit allen Möglichkeiten des zeitgenössischen Tanzes, kühner Akrobatik, synchronen Alltagsbewegungen Klischees des „west-östlichen Divans.“ Diese Szenen sind poetisch oder erotisch, dann wieder derb oder grotesk. Komisch ist das, aber das Lachen bleibt einem oft im Hals stecken.
Die Tanzenden sind auf der leeren Bühne - zu den Tönen und Geräuschen des Musikers Harry Wenz - auf ihre Körper als Ausdrucksmittel geworfen. Opsahls Choreografie wird erst durch diese, eigens für ihr Stück entwickelten Klänge sowie das Licht (Oliver Amm) zu einem beeindruckenden Gesamtkunstwerk. Das berührt die Zuschauer, fordert aber auch eigene Assoziationen und Interpretationen von ihnen: „Bitte lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf! Auf Erklärungen werden wir mit Absicht verzichten“, erklären Opsahl und Wenz im Programmheft.
Ihr Ausgangspunkt ist die uns umgebende oder mediale Wirklichkeit, die sie nicht als Abbild auf der Bühne spiegeln. Die Szenen und Klänge sind keine elitären Rätsel, sie nähern sich assoziativ unserer Realität an, drücken Unsagbares in Tönen und bewegten Bildern aus.
Bei den Proben zu Flüchtlingsszenen forderte Opsahl von ihren Tänzerinnen: „Fühlt und zeigt Verletzbarkeit nicht Angst, denn die Wege sind eng und ungewiss für Euch, Ihr seid Suchende... Ich will Euer richtiges Gefühl spüren, das kann man nicht choreografieren.“ Die jungen Frauen sind technisch perfekt geworden und können alles tanzen (drei von ihnen machen eine professionelle Ausbildung). Jedoch immer wieder betont Opsahl, wie wichtig der Ausdruck sei. Nur damit erreichen und bewegen die Tänzerinnen das Publikum.
Opsahls Tanztheater ist nicht düster und hoffnungslos. Durch die elementare Intensität ihres Ausdrucks machen sich die Tanzenden nackt - und lösen sich von den aktuellen Themen. Sie zeigen archetypische Gefühle und rufen die auch bei ihren Zuschauern hervor: Identität, Hoffnung, Verletzlichkeit... Auswege sind möglich, jedoch die aufgeworfenen Fragen und Themen kann die Compagnie nicht beantworten: „Aber es ist unsere Pflicht, die Realität mit unserer Tanzsprache zu beleuchten“, sagt Opsahl.
Foto: Plakat © Hanswerner Kruse
Info:
„1000 Nächte und noch eine...“ am 1. Juli um 21 Uhr auf der temporären Freilichtbühne beim Bergrestaurant Hutten-Heiligenborn (bei schlechtem Wetter im Zelt oder Saal) Eintritt 16 / 13 Euro.
Im Vorverkauf 14 / 11 Euro im Ballettsaal Schlüchtern, Verkehrsbüro Schlüchtern, Bergrestaurant Hutten sowie www.kulturwerk2010.de oder Telefon 0161-558883
Hintergrund
Die Norwegerin Monica Opsahl (45) kam 2001 nach Deutschland und gründete bald in Schlüchtern den Ballettsaal. Bereits ihre ersten Weihnachtsaufführungen, meist Märchen des Dänen Hans Christian Andersen, waren nie liebliche Leistungsschauen ihrer Tanzschule. Opsahl präsentierte zwar die ganze Bandbreite ihres Ballettsaals vom Spitzentanz bis zum Hip Hop, dennoch hatten diese Aufführungen überraschende sozialkritische Unterströmungen und experimentelle Aspekte; sie zeigten auch die dunklen Seiten der Märchen. Ihre Mitarbeit im Schlüchterner KulturWerk ermunterte die Choreografin seit 2010 noch stärker künstlerische Ideen zu verwirklichen ohne dadurch pädagogischen Ziele aufzugeben: Bewegungslust bei Kids zu entwickeln und deren Selbstbewusstsein zu fördern. Der im letzten Jahr an sie verliehene Kulturpreis beflügelte sie: „Jetzt bin ich mit Artodance da, wo ich immer hin wollte.“ /hwk