Chin Meyer in Osthessen
Hanswerner Kruse
Schlüchtern (Weltexpresso) - Die Vorankündigung des Finanzkabarettisten Chin Meyer in der osthessischen Presse war so verlockend wie amtliche Erläuterungen zur Vergnügungssteuer. Dazu Dauerregen und Kälte - beste Voraussetzungen für einen miesen Abend im KuKi-Zelt in Schlüchtern.
Der begann mit der Suche des Steuerfahnders Siegmund von Treiber im Zuschauerraum nach alten Kunden. „Ich kenne Sie doch alle!“, bellte er zur Begrüßung und ereiferte sich, „mich nervt das Gejammer der Steuerzahler.“ Atemlos ratterte er alle deutschen Abgaben herunter, die doch wirklich so leicht zu verstehen seien. Dann machte er sich über Steuerbetrüger wie Passivraucher her oder pries Kettenraucher, die in ihrem kurzen Leben 17 Kindertagesstätten förderten.
Nach unterhaltsamen zwanzig Minuten trat Treiber ab und machte Platz für Meyer. Der Finanzkabarettist schwadronierte nun über Reichmacher wie Erben oder Zinsen. Doch immerzu schweifte er ab und stellte absonderliche wirtschaftliche und politische Zusammenhänge her. Durch Autos würden in Deutschland mehr Menschen getötet als durch Islamisten, betriebswirtschaftlich sei das für Al-Qaida ein Unding. Die Terroristen sollten das durchrechnen und dem ADAC beitreten („Freie Fahrt für freie Bürger!“), statt mit Äxten durch Züge zu rennen. Für Schönheits-OPs und Viagra würde mehr Geld ausgegeben als für Alzheimerforschung. „Nun hängen die im Altersheim mit Silikonbrüsten und Dauerständern herum und wissen nicht, was sie damit machen sollen.“
Beharrlich forderte Meyer die neoliberale Ökonomisierung und effizientere Gestaltung aller Lebensbereiche. Vehement stritt er sich häufig (nach kurzer Verwandlung im Off) mit dem Steuerfahnder, ließ den amerikanischen Finanzberater Jack zu Wort kommen oder trällerte und verfremdete bekannte Pop Songs wie Tina Turners Private Dancer: „Ich bin Privat Banker, ich verzock’ Deine Kohle im nu, ah-hu, ah-hu...“
Ein Höhepunkt des Abends war die Hitparade „der unterschätzten deutschen Schlagersänger“, die viel über Reichmacher wüssten. Sanft stellte eine weibliche Stimme Fragen aus dem Off, die Meyer singend kurz beantwortete. „Was möchtest Du Deinem Bankberater sagen?“ Du hast mich tausend Mal belogen...“ „Was fördert städtische Investitionen?“ „Über sieben Brücken musst Du geh ‘n...“ Der Kabarettist kommunizierte intensiv mit seinem begeisterten Publikum und kannte bald viele Besucher, die er immer wieder direkt ansprach. Zum Schluss besang er eine Mitarbeiterin des KuKis persönlich zu dramatischen Opernklängen: „Irmi, Du musst jetzt ’raus aus Deinem Bett!“
Wirtschaftliche oder politische Prozesse seziert Meyer nicht so dröge pädagogisch, wie etwa die ZDF-Sendung „Anstalt“, sondern sarkastisch mit schwarzem Humor. Komik entsteht bei ihm auch durch Verwendung bürokratischer oder neoliberaler Floskeln auf private und politische Phänomene. Dadurch wird das moderne inhaltsleere Gerede mit betriebswirtschaftlichen Anglizismen entlarvt, aber auch das Durchsickern ökonomischer Grundsätze, etwa als „Risiko Management“, in private, scheinbar romantische und geschützte Lebensbereiche: Kinderkriegen sei nicht effizient oder Heiraten gefährlicher als ein Gang durch Kabul.
Als er auch noch politisch-wirtschaftliche Prozesse tanzend darstellte („Ich komme ja aus der Waldorfschule“) wurde spätestens deutlich: Ein überraschend fröhlicher und intelligenter Abend im fast ausverkauften KuKi-Zelt!
Foto: (c)Hanswerner Kruse: Chin Meyer als Steuerfahnder Siegmund von Treiber