Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. September 2016, Teil 7

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Bei Rowohlt kam 2010 der Roman TSCHICK von Wolfgang Herrndorf heraus und der Verlag wäre ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn er nicht rechtzeitig zum Anlaufen des Filmes eine erschwingliche Taschenbuchausgabe neu auf den Markt gebracht hätte, in der noch dazu Filmbilder enthalten sind.


Gerechterweise muß man hinzufügen, daß es für den erfolgreichen Roman gleich eine Taschenbuchausgabe gab, die schon 50 Mal neu aufgelegt wurde und in unserer Ausgabe vom September 2016 heißt es sogar, daß es schon über zwei Millionen deutsche Leser gibt, zu denen ja die Übersetzungsleser hinzukommen. Aber hier braucht man gar nicht mit Zahlen zu protzen, das Buch gefällt jedem, der mal jung war und die Gefühle von damals in sich wiederaufleben lassen kann.

Für uns persönlich kommt die Trauer um den so früh verstorbenen Autor hinzu, dessen auf Tschick folgender Roman SAND uns unter die Haut ging. Und er macht auch in Tschick kein Federlesen, sondern legt los: „Als Erstes ist da der Geruch von Blut und Kaffee. Die Kaffeemaschine steht drüben auf dem Tisch, und das Blut ist in meinen Schuhen.“ Was ist denn das für ein Beginn?! Und dann macht sich der Icherzähler auch noch vor Angst in die Hose: „Maik Klingenberg, der Held. Dabei weiß ich gar nicht, warum jetzt die Aufregung. War doch die ganze Zeit klar, daß es so endet. Tschick hat sich mit Sicherheit nicht in die Hose gepisst.“

Alles klar? Es geht um den Unfall, den die beiden bauen, so daß ihre Fahrt im geklauten Wagen in die Walachai zum Großvater von Tschick, schon in Berlin-Brandenburg zu Ende ist, was auch besser ist angesichts des zarten Alters von 14 Jahren, selbst für einen geklauten blauen Lada viel zu jung. Wenn Ihnen die Passagen im Film, wo die Herumstromer sich selbst bei fremden Familien zum Essen einladen – und wir Zuschauer unser Vergnügen daran haben, wie viele unterschiedliche Lebensformen und eben auch Familien allein in einem Landstrich um Berlin herum vorhanden sind – wenn Ihnen diese Passagen besonders gefallen, dann haben Sie im Buch noch größere Freude, denn es gibt mehr davon.

Zugegeben, eigentlich sind in diesem Taschenbuch viel zu wenige Bilder aus dem Film. Dafür gibt es nicht nur ein lustiges Foto, wo Fatih Akin aussieht wie der ältere Bruder der beiden Jungens, sondern auch einige Seiten über die Filmleidenschaft von Wolfgang Herrndorf, der  „ein leidenschaftlicher Cineast“ war und die Filme in seinem Zehn-Punkte-System bewertete. Und in einem Gespräch mit Fatih Akin spricht der über die Dreherfahrungen und kommt zum Schluß: „Die Kids sind die Essenz des Films. Ich kann heute sagen, ich bin ganz glücklich, ich bin stolz auf diesen Film wegen der beiden Jungs.“ Und wir können nur hoffen, daß Herrndorf dem Akin auch zehn Punkte gegeben hätte. Verdient hat er es.


Die Filmmusik-CD

Gute Idee, den, wie es neudeutsch heißt, Soundtrack des Films auf einer eigenen CD herauszugeben, denn wollte man sich sonst die im Film gespielte Musik einzeln zusammensuchen, dann müßte man gar viele verschiedene CDs oder Platten kaufen. Mit dem Vince Pope beginnt es: Intro und endet es: Waha Here we come. Aber auch die Nummer 7 von 15 und die Nummer 12 belegt. Keine Ahnung, warum sich die Filmemacher diesen britischen Komponisten ausgedacht hatten, daß er im Buch vorkäme, daran kann ich mich nicht erinnern, wohl aber an Richard Clayderman, der genau in der Mitte der Filmmusik auftaucht und im Auto als CD gefunden wird, und erneut eine Rolle spielt, wenn aus dem Duo eine Landpartie zu Dritt wurde, also Isa dabei ist, die bei dieser Schmalzmusik hin und weg ist. Bei Herrndorf findet Maik diese Musikkassette – keine CD also! - : „Sie hieß The Solid Collection von Richard Clayderman, und es war eigentlich keine Musik, eher so Klaviergeklimper, Mozart. Aber wir hatten ja nichts anderes, und weil wir auch nicht wußten, das da vielleicht noch drauf war, hörten wir das erst mal. Fünfundvierzig Minuten.“ ..und es geht hinreißend weiter.

Das also ist original Herrndorf, aber die Filmmusik insgesamt ist eben auch original Akin. Man kennt aus seinen anderen Filmen seine Musikleidenschaft, sei es aus GEGEN DIE WAND oder SOUL KITCHEN. Die fünfzehn Stücke der CD sind nun wild gemischt. Dies erklärt Akin so: „Ich bin Herrndorf-Fan, die Beatsteaks sind Herrndorf-Fans, Dirk von Lowtzow ist Herrndorf-Fan. Und jeder von uns interpretiert das Buch anders. Und hier war der Moment, anderen Künstlern einen Freiraum zu geben. Wir haben die Beatsteaks gefragt, die hatten dann die Idee, Strereolab zu covern, mit dem deutschen Text von Dirk.“

Alles klar?! Dann gibt es einen Song von den Beginners, der 'Thomas Anders' heißt, von dem Akin sagt. Der Text von 'Thomas Anders' paßt wie die Faust aufs Auge! Es ging ums Anderssein. Und das ist der Punkt, der mich auch an dem Roman interessiert hat, daß Tschick und Maik Außenseiter sind. Die Moral des Films ist, daß es okay ist, Außenseiter zu sein. Das ist auch die Beginner-Moral – und sicher auch die Herrndorf-Moral.“


Info:

Wolfgang Herrndorf, Tschick, Der Erfolgsroman jetzt im Kino, mit einem Anhang zum Film rororo September 2016

Tschick, Original Motion Picture Soundtrack, Various Artists, Warner, VÖ am 9.9.2016