Michael Thalheimer inszeniert Kleists „Der Prinz von Homburg“ am Schauspiel Frankfurt

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein Prinz und Offizier mit dem Hang zum Nachtwandeln wird den Zuschauern 105 Minuten lang im Nachthemd präsentiert.


Das erscheint manchen, die mit Kleists Drama „Der Prinz von Homburg“ gut vertraut sind, als zu gewagte, gar irreführende Interpretation. Sicherlich: dieser Nachtwandler (dargestellt von Felix Rech) verbeißt sich im mondscheinhellen Schlossgarten von Fehrbellin in einen Traum. Ja, er windet sich unter dem Eindruck von erträumtem Kriegsruhm selbst einen Lorbeerkranz. Und er missdeutet den Spott seines Kurfürsten Friedrich Wilhelm (Wolfgang Michael), der den Kranz mit seiner eigenen Halskette verziert und beides seiner Nichte Natalie (Yohanna Schwertfeger) im Scherz überreicht. Prinz Friedrich Arthur, noch immer geistesabwesend, hält Natalie darum für seine ihm vom Kurfürsten zugesprochene Braut. Er greift sich sogar ihren linken Handschuh. Doch der Kurfürst macht, noch ehe Arthur vollständig in der Realität angekommen ist, der peinlichen Szene ein Ende und erinnert daran, dass man Schlachten nicht im Traum gewinnen kann.

Dieser Prinz Friedrich Arthur von Homburg ist nicht irgendein Brandenburger Höfling, sondern General der Reitertruppe und die Armee des Kurfürsten ist auf ihn und seine Soldaten im Krieg gegen die Schweden angewiesen. Das wird am nächsten Morgen deutlich. Feldmarschall Dörfling (Michael Benthin) erläutert den Offizieren den Schlachtplan. Doch Arthur ist noch immer verwirrt; denn er sinnt darüber nach, warum er Natalies Handschuh besitzt. Dabei realisiert er den Befehl nicht, mit seiner Reiterei solange zuzuwarten, bis er durch einen von Dörfling entsandten Offizier ausdrücklich zum Angriff aufgefordert wird. Stattdessen stürzt er sich, durch das Traumerlebnis in Euphorie versetzt und vermeintlich zum Heldentum berufen, mit seiner Reiterei voreilig in die Schlacht. Diese Insubordination trägt im entscheidenden Maß zum Sieg von Brandenburgs Streitkräften bei. Dennoch lässt der Kurfürst ihn wegen Befehlsverweigerung vor ein Kriegsgericht stellen, das ihn zum Tode verurteilt.

Thalheimers Inszenierung unterschlägt keinen dieser Fakten. Doch der Regisseur arbeitet, wie man es in Frankfurt von ihm gewohnt ist, überschwänglich mit der kolossalen Größe dieser Bühne, welche die Verhältnisse des Stücks optisch umkehrt. Denn Kleist, der selbst Offizier war, zeigt in diesem Drama exemplarisch, dass Kriegsereignisse, auch jene, die später in die Geschichte eingehen, mindestens so häufig in den Stabsquartieren wie auf den Schlachtfeldern entschieden werden. Die relative Enge des Fehrbelliner Schlossgartens, die eher bescheidene Berliner Schlosskirche, die karge Gefängniszelle oder das mäßig prunkvolle Zimmer des Kurfürsten gehen in der totalen Perspektive dieser Aufführung unter, weil im Detail gar nicht dargestellt. Und mit ihnen Wesentliches vom Profil der handelnden Personen, deren Dialoge, Mimik und Gestik sich allzu häufig im Raum verlieren.

Möglicherweise bedurfte es in dieser Atmosphäre aus Dunkel und punktuellem Licht, wo man sich der Distanzen auf der Bühne wegen ständig anschreien muss, eines Titelhelden, der - seines Standes und seines militärischen Rangs unwürdig - aus visuellen Gründen, eines Mittelpunkts wegen, ausschließlich im Nachthemd auftritt. Kleists Absicht hingegen war es nicht, die Geschichte eines Harlekins zu erzählen. Vielmehr ging es ihm um die Tugenden Disziplin und Gehorsam, soweit diese auf den Maßstäben des Rechts gründen und darum eingefordert werden dürfen. Erst recht von Soldaten, die sich ihnen unterworfen haben. Kleist bediente sich bei diesem Stück einer besonderen Quelle, nämlich den Memoiren Friedrichs II von Preußen (auch der Große genannt). Darin wird ein Ausspruch des Großen Kurfürsten zitiert, mit dem er dem Prinzen von Homburg dessen Insubordination verzeiht: „Wenn ich Sie nach der Strenge des Militärgesetzes aburteilen würde, so hätten Sie den Tod verdient“.

Im zweiten und entscheidenden Teil des Dramas arbeitet Thalheimer das Kleistsche Anliegen deutlicher und vor allem für die Zuschauer spannender heraus, selbst wenn der clownhaft maskierte Prinz und die Totalperspektive dieser Absicht immer wieder unnötigerweise im Weg stehen.

Als der Prinz erfährt, dass es dem Kurfürsten mit der Vollstreckung des Urteils tatsächlich ernst ist und er auf dem Wege zur Kurfürstin, die er um ihre Fürsprache bitten will, das für ihn bestimmte Grab sieht, verfällt er in tiefe Todesangst. Er fleht vor der Kurfürstin und vor Natalie nur noch um sein nacktes Leben. Sogar den Anspruch auf die Hand der Prinzessin, mit der er sich nach der Schlacht heimlich verlobt hat, ist er bereit aufzugeben.

Natalie unternimmt daraufhin einen letzten Versuch, das Leben des Geliebten zu retten. Der Kurfürst ist sogar zur Begnadigung bereit, allerding nur unter der Bedingung, dass der Prinz das Urteil des Kriegsgerichts als ungerecht bezeichnet. Natalie übergibt ihm ein entsprechendes Schreiben des Monarchen. Nach dessen Lektüre ist Friedrich Arthur klar, dass er trotz seines Sieges schuldig geworden ist und er erkennt die Rechtmäßigkeit des Urteils an. Vor dem versammelten Offizierskorps, das seine Begnadigung fordert, erklärt er, dass er das Todesurteil annehme und zu sterben bereit sei. Diese Akzeptanz des Gesetzes gestattet es dem Kurfürsten schließlich, den Prinzen zu begnadigen.
Am Ende erfüllt sich, was Friedrich Arthur in seinem nachtwandlerischen Traum vorhergesehen hat: Der Lorbeerkranz des Ruhms, die Fürstenkette und Natalie werden ihm zuerkannt.

Ähnlich wie im „Zerbrochenen Krug“ setzt Kleist auch in diesem Drama die Stilmittel Verhör, Plädoyer und Rededuell ein. Auf Thalheimers überdimensionierter Bühne, die auch wegen der kämpferisch anmutenden Musik an eine Halle für Partei- oder Kirchentage erinnert, gehen diese Rezepturen vor allem im ersten Teil leider ziemlich unter. Immerhin gelingt es den darstellerischen Fähigkeiten von Michael Benthin, Martin Rentzsch und Stefan Konarske, sowohl das militärische Milieu der Zeit als auch den Konflikt, in dem sich der Prinz befindet, im Ansatz wiederzugeben; auch Alex Friedland, neues Mitglied des Schauspielstudios, kann hier brillieren. Überragend ist Yohanna Schwertfeger in der Rolle der Natalie, während die Regie Corinna Kirchhoff nicht nachvollziehbar auf Passivität reduziert. Weit unterhalb ihrer Fähigkeiten werden auch Wolfgang Michael und Felix Rech eingesetzt. Der eine muss den Nörgler geben, was er zwar gut beherrscht, hier aber völlig unangebracht ist; der andere den arglosen Kriegshandwerker, der zu allem Überfluss seine Rolle zu einem wesentlichen Teil an einer Art Trapez in luftiger Höheausüben muss.

Dennoch: Ein Besuch lohnt sich, aber es empfiehlt sich, das Stück vorher nachzulesen. Andernfalls könnte man sich verirren.

 

Foto: (c) Birgit Hupfeld, Schauspiel Frankfurt


Info:

Prinz Friedrich von Homburg
von Heinrich von Kleist

Regie: Michael Thalheimer; Bühne: Olaf Altmann; Kostüme: Nehle Balkhausen; Musik: Bert Wrede; Licht: Johan Delaere; Dramaturgie: Sibylle Baschung.

Darsteller: Corinna Kirchhoff, Yohanna Schwerdtfeger, Michael Benthin, Wolfgang Michael, Stefan Konarske, Felix Rech, Martin Rentzsch, Alex Friedland.

Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause