Serie: Frankfurt liest ein Buch: Benjamin und seine Väter von Herbert Heckmann, Teil 16

Roman Herzig

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nun war Weltexpresso bei so vielen Veranstaltungen dabei und hat berichtet, und doch hat man das Gefühl, man hätte immer wieder etwas verpaßt. Es gibt mindestens zwei Arten, die Veranstaltungen zu bewerten. Eine quantitative und eine qualitative, eine inhaltliche und eine eher formale.
Es ist sinnvoll, erst einmal das vom Verein und dem Organisator Lothar Ruschke zusammengetragenen Zahlenmaterial zu sichten. Ausgangspunkt der achten Ausgabe von FRANKFURT LIEST EIN BUCH war die Wiederentdeckung des Schriftstellers Herbert Heckmann und seines Romans "Benjamin und seine Väter." Der Lesemarathon FRANKFURT LIEST EIN BUCH ist am vergangenen Sonntag, 7. Mai 2017, zu Ende gegangen.

Über 90 Veranstaltungen an 70 verschiedenen Orten im Stadtgebiet und in der Region wurden angeboten. Bei u.a. Ausstellungen, literarischen Spaziergängen, Opern-, Theater-, Film-, Buchhandels-, Bibliotheks-, Schul-, Tanz- und Museumsabenden waren insgesamt wieder rund 12 000 Menschen auf den Beinen. Das Programm war mit SchauspielerInnen, MusikerInnen und AutorInnen hochkarätig besetzt.

»Mach es zu deinem Projekt«, lautete die Überschrift eines Berichts über die Lesungen und Diskussionsrunden in privaten Wohnzimmern. In diesem Jahr hatten vier Privathaushalte ihre Türen für Gäste geöffnet. Der partizipative Gedanke des Festivals – Kulturinstitutionen, soziale und private Einrichtungen einzubinden und bürgerschaftliches Engagement aktiv zu fördern – ist beispiellos und hat das Lesefest zu einem echten Markenzeichen der Stadt gemacht. »So etwas gibt es nur in Frankfurt«, sagte Kulturdezernentin Ina Hartwig bei der Eröffnungsveranstaltung von Frankfurt liest ein Buch in der Deutschen Nationalbibliothek.

Besondere Aufmerksamkeit erhielten die Veranstaltungen mit Wegbegleitern Heckmanns und Zeitzeugen, z.B. im Haus am Dom, bei Bücher bei Dausien Weihl & Co in Hanau (mit Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz), in der Buchhandlung Villa Herrmann in Ginsheim-Gustavsburg (mit Peter Härtling), im Filmmuseum (mit Wilfried F. Schoeller) und in der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Dank der Unterstützung von hr2-kultur konnten vielerorts Ton- und Filmbeispiele Heckmanns eingespielt werden. Höhepunkte waren überdies die literarischen Spaziergänge entlang der Berger Straße und durch Bad Vilbel, historische Erkundungen mit Stadthistorikern (z.B. Lutz Becht, Christian Setzepfandt und Björn Wissenbach), die (szenischen) Lesungen der Schauspieler Dietmar Bär (zum Abschluss im Hessischen Literaturforum im Mousonturm), Isaak Dentler (Buchhandlung Hugendubel), Wolfram Koch (Die Fabrik), Walter Renneisen, Hartmut Volle (an verschiedenen Orten) und von Thomas Bäppler-Wolf (FRIZZ Das Magazin/Größenwahn Verlag), Jo van Nelsen (kaufhausHESSEN) und der Fliegenden Volksbühne Rhein-Main e.V. (im Museum für Kommunikation in Kooperation mit der Frankfurter Rundschau).

Schulveranstaltungen (u.a. mit OB Peter Feldmann, Georg Slimistinos/ZwischenZeit e.V.) und kulinarische (etwa bei Ypsilon Buchladen & Café) sowie musikalisch geprägte Abende (z.B. mit Heckmanns Sohn, Komponist Moritz Eggert, im Historischen Museum oder mit dem SalonTanzOrchester in der Oper Frankfurt) fanden ein begeistertes Publikum.

Im Veranstaltungszeitraum lag die Nacht der Museen. Gleich zweimal war Frankfurt liest ein Buch vertreten: Petra Roth las im Haus am Dom, im Literaturhaus brachten die Schriftsteller/in Elsemarie Maletzke, Pete Smith und Frank Witzel Kostproben aus dem Roman zu Gehör (in Kooperation mit der WIBank Hessen). Besonders hervorgehoben werden vom Veranstalter die zahlreichen Buchhandelsveranstaltungen und das erneut große ehrenamtliche Engagement des Bürgerinstituts Lesefreuden, das allen Interessierten ein vielfältiges, sechsteiliges Programm aus Lesungen und Stadtrundgängen anbot.

So schön, so gut, aber leider halt doch zwiespältig. Wir haben das Frankfurter Lesefest auch deshalb begleitet, weil wir die Idee für hervorragend halten und die Durchführung eine enorme Kraftanstrengung bedeutet. Schon bisher waren die Veranstaltungen inhaltlich und von den Leseorten her phantasievoll. Die Ausweitung hat in diesem Jahr nicht nur zu neuen interessanten Stätten geführt, sondern auch neue Formen der Auseinandersetzung mit einem Buch geführt. Doch hat es in den letzten zwei Jahren unserer Meinung nach an dem jeweiligen ausgesuchten Buch gelegen, daß nicht größere Euphorie zu spüren war. War im letzten Jahr der öffentlich gelesene Roman auf eine Art und Weise geschrieben, der den Mindesstandard an gute Literatur einfach nicht einhielt, so konnte dies die notwendige Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus, in Frankfurt für die Täter immer noch nicht ausreichend aufgeklärt, und der Verschleppung und Ermordung hiesiger jüdischer Bevölkerung kaschieren. Weltexpresso hatte im letzten Jahr dazu Tacheles geredet, bzw. geschrieben.

In diesem Jahr liegt die Situation umgekehrt. Herbert Heckmann hat seinen Roman aus der Sicht eines Kindes über dessen Kindheit und Jugend auf eine stilistisch gekünstelte, aber eben kunstvolle Weise gestaltet, die ihre Vorbilder hat und auf jeden Fall Literatur ist. Aber, aber...hier liegt das Problem eindeutig darauf, daß der Nationalsozialismus, der in Frankfurt besonders gewütet hat, in diesem Roman nur als fernes Grollen erscheint. Das darf Herbert Heckmann tun. Und es muß auch nicht stören, daß die Stadt Frankfurt im Roman eigentlich keine Rolle spielt und die Straßen und Plätze nur Kulisse sind. Aber diesen harmlosen Roman für FRANKFURT LIEST EIN BUCH für das Jahr 2017 auszuwählen, hierin liegt das Problem. Wenn die Aussucher und Organisatoren zugehört hätten, wie oft bei den Veranstaltungen so nebenbei von den Zuhörern geäußert wurden, wie enttäuscht sie von der Lektüre waren, ihnen hätten die Ohren geklingelt.

Aber das ist seit Sonntag Schnee von gestern. Es geht darum, im nächsten Jahr für FRANKFURT LIEST EIN BUCH einen Roman auszusuchen, der den inhaltlichen und literarischen Anforderungen für ein gemeinsames Lesen in Frankfurt entspricht. Vorschläge dazu hatten wir in unseren Besprechungen dezidiert ausgesprochen. Jetzt hoffen wir auf das nächste Jahr...


Foto: Herbert Heckmann am 21.11.1987: "In einem Antiquariat in Wiesbaden ist eine Lesung angekündigt. Herbert Heckmann liest aus seiner Weinpredigt. Der kleine Raum füllt sich bis zum letzten Platz und auch auf dem Treppchen zum Hinterzimmer sitzen noch Lesehungrige und Hörfreudige. HH kennt das Buchhändlerehepaar gut und wird begeistert empfangen. Er inszeniert die Lesung mitreißend. Mit leidenschaftlichem Einsatz von Mimik und Gestik." (c) Christa Schwarzwälder


Info:

Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter, Roman
Mit einem Nachwort von Peter Härtling
440 Seiten. Gebunden. Lesebändchen.
€ 22,00 €[A] 22,70
ISBN: 978-3-89561-482-8


Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter,
Audio-CD
Ganzlesung von Herbert Heckmann. Eine Produktion des Hessischen Rundfunks 1996
2 mp3-CDs. Spieldauer ca. 13 Stunden
€ 20,00 (UVP) €[A] 20,00
ISBN: 978-3-89561-481-1