wien gerstlwien gerstl2INSPIRATION – VERMÄCHTNIS, die kommende Ausstellung im Leopoldmuseum Wien ab 27. September

Anna von Stillmark

Wien (Weltexpresso) - Tatsächlich heizt der Name ein. Seit Richard Gerstl dem Vergessen entrissen ist, bleibt seine Geschichte  höchst eindrucksvoll, ja unglaublich. Richard Gerstl (1883–1908) stand am Beginn einer vielversprechenden Karriere, die aufgrund seines frühen Todes jäh abbrach. Neben der Malerei zeigte Gerstl außerordentliches Interesse an Philosophie, Psychologie, Musik und Literatur. Eine zentrale Rolle in seinem Leben spielte sein enger Kontakt mit dem Musikerkreis um den Komponisten Arnold Schönberg. Und hierin lag der kommende Skandal.

Die Freundschaft mit Schönberg fand im Sommer 1908 ihr Ende, als bekannt wurde, dass Gerstl eine Liebesbeziehung mit Mathilde Schönberg unterhielt. Sie, die auf den Fotos und auch den Gemälden ihres Mannes und denen ihres Liebhabers wie eine Matrone aussieht, hat - ungeheuerlich für das bürgerliche Wien - Gerstls wegen tatsächlich ihren Mann, vor allem aber ihre Kinder verlassen. Doch wegen der Kinder verließ sie dann aber wieder auch Richard Gerstl und ging zu ihrem Mann Schönberg zurück.

In der Folge verlor Gerstl alle Kontakte zum Schönberg-Kreis und stürzte, vereinsamt und isoliert, in eine Depression, die in der Nacht vom 4. zum 5. November 1908 mit Suizid endete. Aufgrund von Gerstls zurückgezogener Lebensweise sowie seiner beharrlichen Weigerung seine Werke in Ausstellungen zu zeigen, die auch nach seinem Tod für lange Zeit in einem Depot lagerten und erst 1931 durch Otto Kallir-Nirenstein präsentiert wurden, nimmt seine Kunst international betrachtet eine nach wie vor relativ unbekannte Außenseiterposition ein.

Wenngleich die Personalen 2017/18 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt und in der Neuen Galerie in New York Bedeutendes auf dem Weg zu seiner Wiederentdeckung geleistet haben. Mehr als 25 Jahre nach der letzten monografischen Schau in Österreich, widmet das Leopold Museum Richard Gerstl eine umfassende Präsentation, welche darüber hinaus erstmals eine vertiefende Auseinandersetzung mit Vorbildern, Zeitgenossen des Künstlers und Gegenwartskünstlern anstellt. In den rund 70 Werken, die sich erhalten haben und von denen das Museum Dank Sammler Rudolf Leopold 16 Werke besitzt, drückt sich eine zunehmende Absage gegen jegliche akademische Maltradition aus. Gerstls Arbeitsweise zeigt eine hohe Bereitschaft zu gestalterischen Experimenten, die ausgehend vom Pointillismus über eine ausdrucksstarke gestische Malweise bis hin zur Formauflösung führen. Mögliche Anregungen für Gerstls Malweise lieferten u.a. die Werke von Edvard Munch, Vincent van Gogh, Pierre Bonnard oder etwa Lovis Corinth.

Eine vertiefende Auseinandersetzung wird im Zuge dieser Präsentation jedoch nicht nur möglichen Vorbildern und Zeitgenossen Gerstls gewidmet, sondern auch GegenwartskünstlerInnen. Der Bogen jener Schaffenden, die Gerstl schätzen und – insbesondere sein expressionistisches Spätwerk – bewundern, reicht von Martha Jungwirth bis Georg Baselitz und Paul McCarthy. Manch einer der hier Genannten rezipierte die von Werner Hofmann auf der Biennale von Venedig 1956 gezeigten zehn Leinwände Richard Gerstls. Auf diese Weise tritt sein Werk in einen spannungsreichen, inhaltlichen wie formalästhetischen Dialog mit wahlverwandten Bildwelten anderer KünstlerInnen: Die Kontextualisierung von Gerstls OEuvre innerhalb der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts schließt Vergangenheit und Gegenwart kurz.

Fotos:
Die beiden Selbstbildnisse sind gerade im Vergleich sensationell. Denn das Frühwerk hat noch impressionistische Wurzeln, wirkt leicht und luftig, während das Bild kurz vor seinem Selbstmord von einer schier durchdringenden Kraft kündet, was auch an der Farbwirkung liegt
© leopoldmuseum.at

Info:
Die kommende Ausstellung vom 27.09.2019–20.01.2020