Bildschirmfoto 2020 02 14 um 23.49.24FANTASTISCHE FRAUEN. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo, in der Schirn Frankfurt bis 24. Mai, Teil 2/10

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Auch vom Blauen Haus machten wir Fotos und von heute her ist es sehr interessant, zu verfolgen, wie Frida Kahlo wiederentdeckt wurde, welche Aspekte ihres Lebens und ihres Werkes zu Beginn ihrer Renaissance wichtig wurden und wohin sich dann ihre kunstgeschichtliche Einordnung verlagerte. Dies hat nämlich viel mit der Entwicklung der Frauenbewegung zu tun, zu der Frida Kahlo  viel beizutragen hatte und immer noch hat.

Und es hat nach der Biographin, der marxistische Kunsthistorikerin Raquel Tibol, auch mit Frida Kahlos Einsatz für die einfachen Leute zu tun, für die, selbst mit Krankheit und Unglück Geschlagene, ihr Leben lang eintrat. Buchstäblich eintrat, denn deshalb wurde sie wie Diego Rivera Mitglied der Kommunistischen Partei, wurde als Trotzkistin hinausgeschmissen, wieder aufgenommen. Wir kennen heute nurmehr die Künstlerin, die eigenständige und eigenwillige Frida Kahlo. Aber dieses erste Buch über sie, das eine kurze Biographie enthält,  stellt ihre sozialrevolutionäre Persönlichkeit stärker als die folgendenPublikationen dar und damit ihr Leben in einen sozialen Kontext des Landes.

Sie gehörte zu der Generation, die es mit der Weiterführung der sozialen Umwälzung, die die Revolution von 1910 begonnen hatte, ernst meinte, was in den Dreißiger Jahren in der Präsidentschaft Lázaro Cárdenas (1934-40) zu einer gewaltigen staatlichen Bildungsanstrengung führte. Für viele Monate ging Frida Kahlo zusammen mit ihrer Ausbildungsklasse aufs Land, um den Kindern Lesen und Schreiben beizubringen, denn Schulen gab es zuvor für die Landbevölkerung nicht. Diego Rivera bemalte inzwischen die Wände der Regierungsgebäude mit Bildern der Revolution, damit die einfache, analphabetische Bevölkerung die Geschichte des Landes kennenlernen konnte. Aus diesen Gründen hatte der zwanzig Jahre ältere Rivera bei seinen wiederholten Europaaufenthalten nach 1900 in Florenz die italienische Freskomalerei studiert, wo er übrigens in den Zwanziger Jahren André Breton kennenlernte und einer der ersten Surrealisten wurde.

1929 heiratete der inzwischen weltberühmte Nationalkünstler die völlig unbekannte 19jährige Frida Kahlo. Sie hatte ihn, den Frauenhelden – das alles wird in der Lebens- und Werkbeschreibung von Tibol auch erzählt – , als junges Mädchen bei seiner Muralesmalerei auf dem Gerüst einfach angesprochen. Da hatte sie schon einmal die Kinderlähmung überstanden und auch diesen grauenvollen Vorgang, daß sich bei einem Straßenbahnunglück eine Eisenstange in ihren Unterleib bohrte. Überleben ist das eine, aber Schmerzen und Eingeschnürrtsein in Stützkorsette das andere. Wenige Tage vor ihrem Tod mit 47 Jahren nahm sie an einer politischen Protestdemonstration teil: „Wie ein Kriegsopfer fuhr sie, entgegen der ärztlichen Anordnung, im Rollstuhl, mit nur einem Bein, der gebrochenen Wirbelsäule, mit vom langen Eingeschlossensein und vom langen Ans-Bett-gefesselt-Sein völlig verfallenen Muskeln. Gerade erst von einer Lungenentzündung genesen...“, heißt es in dem ersten Buch über sie im Jahr 1980, dem so viele folgen werden.

Nur in diesem Erstling von Raquel Tibol wird Kahlos Einbettung in die Geschichte ihres Landes überhaupt sichtbar. Die späteren Bücher behandeln stärker ihre Emanzipation als Frau und Malerin. Aber gerade in der tiefen Einbettung in die Geschichte Mexikos und seines Volkes entstehen ihre Bilder. Ihr Interesse an den Traditionen der Indios, die zuvor als gesellschaftlicher Abschaum galten, sowie dem Leben der Landbevölkerung , manifestiert sich in ihren bunten Kleidern, ihrer markanten Haartracht und der Einrichtung ihres Blauen Hauses in Coyacan. Die Tiere auf ihren Bildern, die Papageien, die Falter, die Wassermelonen, die Kakteen, all das speist sich aus dem „Volksvermögen“, hätte Peter Rühmkorf zu dieser Aneignung gesagt.

Aber wie sie das macht, wie sie mit der Malerei ihr eigenes Leben, ihre Hinfälligkeit in das Gegenteil verkehrt, sich stark malt, ohne sich oder andere zu täuschen, sondern stattdessen gerade die Schmerzen, das Zerrissene, auch den Schmerz ob Riveras Untreue, die sie rächt, in ihre Bilder bannt, das wird in Zeiten des wieder aufkommenden Feminismus in den 80er Jahren wieder Thema , stärker im Ausland, das zurück nach Mexiko strahlt, wo dann meine mexikanischen Freunde, die sie ja zuvor nicht kannten, und das erste Mal aus meinem Munde von ihr erfuhren, dann aber über die Jahre, die aufkommende Literatur und Kahlo-Filme immer wieder von ihr hörten, sagten, wir hätten Frida Kahlo aus der Versenkung geholt und wieder bekannt gemacht.

Aber abschließend zum Hinweis über ihre Wiederentdeckung muß doch noch folgen, was sie zu den Surrealisten sagte, die sie in Person des André Breton nach Europa, nach Paris eingeladen hatten, was sie genoß: „Sie dachten, ich wäre eine Surrealistin, aber ich war keine. Ich habe niemals Träume gemalt. Ich habe meine Realität gemalt.“

Sie war also keine Surrealistin, aber sie paßt wunderbar in diese wichtige Ausstellung, die ja den Surrealismus nur als Krücke nimmt, um die ausgesuchten Künstlerinnen und ihre Werke in den Blick zu nehmen, die die Welt nicht abbilden, wie die Fotografie es tut, sondern ihre Formen und Farben verändern, damit die Welt im Innersten kenntlicher wird.

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Info:
Bildschirmfoto 2020 02 16 um 15.49.56Ist Ihnen das aufgefallen, was uns eine Leserin schrieb und auch wir als so selbstverständlich erachten, daß wir davon gar kein Aufhebens machen wollten? WELTEXPRESSO hat in seiner DNA, in seinem Personalausweis sozusagen, als das unser Logo der Zeitung: die Köpfe in der Titelleiste fungieren, schon vor über 10 Jahren FRIDA KAHLO mit in die, unsere Weltsicht bestimmenden Köpfe eingereiht. Im Ausschnitt sieht man unter ihr rechts Sigmund Freud, links Friedrich Schiller: Freiheit, Sturm und Drang  und das Unbewußte, keine schlechte Umgebung für Frida Kahlo.



Erstes Buch über und erster Ausstellungskatalog von Frida Kahlo
Raquel Tibol, Frida Kahlo, Verlag Neue Kritik, Frankfurt (Main) 1980
Frida Kahlo und Tina Modotti, o.Hrsg, Vorbemerkung Nicholas Serota, Frankfurt (Main) 1982



Katalog
Zur Ausstellung gibt es einen Katalog, den wir noch ausführlich darstellen wollen, weil auch wir ihn zur Vorstellung einiger bisher hierzulande nicht bekannten Künstlerinnen zur Information brauchen. Nicht zu vergessen die Abbildungen, die einen sofort die Ausstellung selber wieder vor Augen führen.
Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo, herausgegeben von Ingrid Pfeiffer. Mit einem Vorwort von Phillip Demandt, Schirn...,
Hirmer Verlag, ISBN 978-3-7774-3413-1

Zum besseren Verständnis dieses Artikels ist sinnvollerweise zu lesen:
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