wpo IMG 5877Ein Besuch beim Berliner Künstler Volker März

Hanswerner Kruse

Berlin / Kleinsassen (Weltexpresso) - Kurz nach Eröffnung der Frühjahrsausstellung in der Kunststation Kleinsassen (Rhön) begann der Lockdown, Jetzt sind die Hallen wieder geöffnet, erneut kann man auch vielfältige Arbeiten von Volker März (62) erleben. Am 7. Juni liest er in der Station „Ich bin ein Stern und suche Liebe.“ Wir besuchten ihn in seinem Berliner Atelier.


März empfängt den Besucher inmitten seiner tönernen Wesen: Christoph Schlingensief auf einer goldenen Kanonenkugel. Greta Thunberg als Wandplatte. Eine nackte Frauenfigur mit Affengesicht („Affe-Maria“). Hinter ihm ein Boot namens „Chaos“, das von einem Esel gezogen wird. In der Ecke Menschenfiguren, die Elefanten balancieren. Obwohl er untertreibt, er sei kein Bildhauer, haben seine Gestalten deutliche Körpersprachen. Der noch unbemalte Gorbatschow etwa, ist sogar von hinten zu erkennen.

„Das ist oft die pure Lust“, meint März über das Kneten seiner kleinen Tonfiguren, die zum Leben erwachen, wenn er sie nach dem Brennen bemalt. Dann sagt er einer auch schon mal: „Du bist aber ein Schöner!“ Er braucht viele dieser Gebilde, um sie in Gruppen auszustellen, mit ihnen Geschichten zu erzählen oder sie auf Reisen mitzunehmen. Manchmal illustrieren sie bereits aufgeschriebene Erzählungen, oft tauchen sie seltsam verfremdet - wie lebensgroß - in seinen Reisefotos oder Videoclips auf.

wpo IMG 59350Aus dem Interview wird ein „wildes Gespräch“ mit zahlreichen Abschweifungen, in dem auch der Befrager befragt wird. Assoziativ grasen der Künstler und der Journalist die Welt ab! Jedoch ein Künstler will dieser Maler, Bildhauer, Schreiber, Reisender, Fotograf, Performer und Philosoph nicht sein. Auch kein Regisseur der Gesamtkunstwerke schafft: „Das klingt so nach Leni Riefenstahl.“ Auch über die wurde gestritten, darf man zwischen Kunstwerk und Mensch unterscheiden?
Allen Ernstes will März als jemand gesehen werden, der einen guten Salat macht! Da kämen ja auch weitere gute Zutaten wie Öl, Nüsse, Käse und anderes hinein...
Er kann zuweilen selbst nicht fassen, was er schafft: Die Figuren beginnen in seinen Händen zu leben; von ihm arrangierte Installationen und Ausstellungen gelingen ohne große Pläne. Aber er betont, das habe nichts mit dem automatischen Tun der Surrealisten zu tun oder „von höheren Wesen“ erzeugte Inspirationen.

Was immer März ist - ein braver Salatmacher ist er jedenfalls nicht. Seine Kunst ist erotisch, das fängt schon beim Tonkneten an. Viele der weiblichen Figuren haben nackte Brüste, auch manche Männer. Es wird von politischen Puristen nicht gern gesehen, wenn er Hannah Arendt mit blankem Busen darstellt oder Walter Benjamin in ein nachgeformtes Urinal von Marcel Duchamp pinkeln lässt. Doch er nennt das eine ihm wichtige „Profanisierung.“

wpo märz 1489Über die Bedeutung seiner Affen hatten wir bereits berichtet (siehe Bericht im Weltexpresso), sie symbolisieren neo-romantisch die besseren Menschen. Aber Menschen als Affen, das kam in Südafrika nicht gut an. In Deutschland wurde mancherorts der Schriftzug „Ausschwitz ist menschlich“ zum Skandal. Er bezog sich auf Hannah Ahrends Forschungen, dass Eichmann und andere Naziverbrecher keine Monster sondern auch ganz normale Menschen waren: also menschlich! Der Gesellschaftskritiker März ist nicht naiv, er weiß schon was er anrichtet, aber er will nicht verletzten, sondern etwas hervorrufen - provozieren im ursprünglichen Sinne. Mit der Performance-Gruppe Unos United versuchte er in Nürnberg die deutsche Vergangenheit mit riesigen Radiergummis auszuradieren.


Die Kleinsassener Ausstellung ist ein Erlebnisparcours, auf dem man flanieren und sich faszinieren lassen kann. Man denkt über die von ihm aufgeschriebenen Fragen nach: „Was siehst Du?“ Sofas stehen herum, auf denen man Platz nimmt, darüber nachsinnt oder in seinen Büchern blättert.

Die Künstler-Bücher
März hat viele Bücher gestaltet, oft notiert er darin Ideen, Wortspiele oder Assoziationen zu seinen abgebildeten Objekten. Er beschreibt Beobachtungen in der, von ihm oft als verrückt erlebten Realität oder erzählt absurd-kritische Geschichten: In „Kafka auf der Suche nach Pina Bausch“ etwa, lässt er Franz Kafka nicht an Tuberkulose sterben, sondern mit seinem Affen Herrn Rotpeter (aus Kafkas Erzählung „Bericht für eine Akademie“) nach Israel emigrieren. Dort wird er allerdings nach einigen Jahrzehnten als Nazi hingerichtet. Nach einem Politikwechsel wird der liebe Gott gebeten, ihn bitte wieder auf die Erde zu werfen. Doch er landet im Westjordanland auf einem Esel und verliebt sich in die Tänzerin Pina Bausch, die ihm dort begegnet...

Fotos:
(c) Hanswerner Kruse
Oben: Volker März im Berliner Atelier
Mitte: "Das Interview" (Geschenk für den Autor dieser Zeilen)
Mitte: Affen als bessere Menschen...
Unten: Figurengruppe "Rückenwärmer"

Info:
Lesung am 7. Juni um 14 Uhr und 16 Uhr in der Kunststation Kleinsassen. Eintritt 10 Euro. Vorherige Anmeldung wegen Begrenzung auf jeweils 20 Teilnehmer notwendig. Tel. 06657-8002 oder Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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