Bildschirmfoto 2020 10 01 um 19.33.47„Hans Makart und die Salonmalerei des 19. Jahrhundert“, Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle, hier anhand des Katalogs, Teil 3/3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Im 19. Jahrhundert wurde, wie dargestellt, die etwas aus der Mode gekommene Historienmalerei, einst die Krone der Schöpfung, also das wertvollste Genre innerhalb der Malerei , wiederbelebt und wurde gerade in den Zeiten der sich bildenden Nationalstaaten ein Ausweis nationaler Identität. So wurde beispielsweise damals eine nachrangige geschichtliche Begebenheit wie die Zusammenkunft von König Heinrich IV mit Papst Gregor VII zu einer Popgeschichte stilisiert und als Gang nach Canossa hundert-, ja tausendfach als Bildnis gemalt, gezeichnet, gedruckt. Es ging also weniger um die Darstellung einer historischen Begebenheit, sondern um die Funktion der Vergangenheit für die Gegenwart.

Grundsätzlich ging es beim Historienbild um herausragende Ereignisse in der Geschichte selbst, die hier auf die Leinwand gebannt werden. Aber bei dem Bild von Makart wird gar kein herausragendes Ereignis dargestellt,  sondern dient anderen Zwecken. Das muß man von Anfang an deutlich sagen und kann es durch die Bildbetrachtung beweisen. Zwar kann man davon ausgehen, daß in Wien ein solches Sujet wie der Einzug eines Kaisers in eine Stadt durchaus  auch der Verherrlichung der längst vergangenen geschichtlichen Bedeutung der Habsburger, hier des Kaisers des Heiligen Römischen Reichs Karl V, der 1520 erst Kaiser werden will, dient, aber die eigentliche Funktion ist eine andere. Als Makart die Leinwand im Riesenformat von über fünf x neun Metern und damit 50 Quadratmeter 1878  bemalt, ist mit Franz Joseph I. zwar noch ein Habsburger Kaiser, aber er ist es in der abgespeckten Version als Kaiser von Österreich. Und er hat dies Gemälde weder bestellt, noch ist es für ihn bestimmt. Denn der Kaiser und sein Hof sind nicht mehr die wesentlichen  Energiequellen der Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Weder in Österreich, noch in anderen europäischen Ländern. Die Industrialisierung und Kommerzialisierung der meisten Lebensbereiche hat eine neue Schicht, teils alter Adel, teils Industrielle und Landwirtschaft, basierend auf altem Vermögen und neuem Geld, teils Emporkömmlinge, hervorgebracht, die nun das Sagen haben und mit den Salons, die sie führen, das Amalgam von Bedeutung, Geld und gesellschaftlicher Anerkennung zum Ausdruck bringen. Für diese mehr als wohlhabende Schicht malt Hans Makart, der mit einem solchen Vorzeigebild auch zum Ausdruck bringt, daß er, der Malerfürst, auf gleicher Ebene wie seine Auftraggeber steht. 

Dabei ist das Wort und die Bedeutung von "Auftraggeber" ebenfalls im freien Fall. Denn ursprünglich haben die Maler ihren Auftraggebern - erst die Kirche, dann der Adel, das Bürgertum, jetzt das Großbürgertum - das Gewünschte geliefert. Aber Makart malt auch wie andere längst für den freien Markt, den Kunstmarkt. So war dieses 1878 fertiggestellte Gemälde schon ein Jahr später im Besitz der Hamburger Kunsthandlung Louis Bock & Sohn, von der es die Hamburger Kunsthalle im selben Jahr, 1879, erwarb. 

"Der Einzug Karls IV. in Antwerpen" wurde von Anfang an als Sensationsbild betrachtet und als Eigentum der Kunsthalle als erstes  zwei Jahre lang durch Europa geschickt - damals tourten die Kunstwerke, heute kommen die Betrachter zu den  Werken. Aber noch einmal zurück zu Makarts Motiven. Mit einem solchen Gemälde malt sich Hans Makart in die öffentliche Bedeutung, er malt also für den eigenen Namen, weil dies - wir sprachen schon davon - ein Marktetingaspekt ist und ihn noch berühmter macht als er schon ist. Es wird immer gerne darauf verwiesen, daß die Malerei des Historismus nach ihm Makartzeit genannt wird, wobei die Bezeichnung Salonmalerei zutreffender ist. Es sind deshalb eigentlich nicht mehr Historienbilder, sondern attraktive große Gemälde, die sich der Geschichte bedienen, diese aber optisch aufhübschen und ins Dekorative wenden. Historienbild oder Salonmalerei? Aber das ist eine Melange, wo wir uns nicht an Worten, an Bezeichnungen festhalten wollen. Wichtiger sind die Motive des Malers, mit seiner Kunst gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, zum Malerfürsten zu wenden, was ihm für seine weitere Arbeit in jeder Hinsicht nutzt. Menschlich und finanziell. 


Hans Makarts Der Einzug Karls V. in Antwerpen (1878)

Vor der Bildbetrachtung ist wesentlich, sich die historische Figur Karl V. (1500-1558) vor Augen zu führen, der erst einmal 1516 als Karl I. König von Spanien wurde, weil seine Mutter Johanna, die Thronerbin von Spanien, früh verstarb und nach der Großmutter Isabella auch sein Großvater Ferdinand (die Katholischen Könige) verstorben war. Seine Familiengeschichte ist derart komplex, daß hier nur eine Rolle spielt, daß sein Großvater und Kaiser Maximilian 1519 starb und Karl im selben Jahr als Karl V. erst deutscher König und 1520 vom Papst gekrönter Kaiser des Sacrum Romanum Imperium wurde. Die Kaiserkrönung erfolgte am 23. Oktober 1520 im Aachener Dom durch den Erzbischof von Köln. Aber der gemalte Einzug Karls V. in Antwerpen fand vier Wochen zuvor statt und hatte keine historische Bedeutung. Das ist wesentlich festzuhalten, weil es die Abkehr vom traditionellen Historienbild beweist, das  ja wesentliche historische Begebenheiten zur nationalen Erbauung festhielt. Dieses Gemälde im Riesenformat nimmt den historischen Tag des Einzugs am 23. September 1520 - also gerade vor 500 Jahren! - nur zum Anlaß einer geradezu orientalischen Prachtentfaltung als Huldigung für den einziehenden Karl V., den Makart nicht erst Kaiser nennen mußte, weil das jeder wußte. Schaut man sich allerdings das Bild an, dann muß man im Umkehrschluß ob seiner Prachtentfaltung einfach von einem historischen Großereignis ausgehen. Im Hamburg des Jahres 1879 und den folgenden Jahren war das Geschichtliche unwichtig.

Aber geschichtlich korrekt ist ein anderer Sachverhalt, mit dem sich der Maler zusätzlich erhöht: Albrecht Dürer (1471–1528). Dieser war beim Einzug von Karl in Antwerpen wirklich dabei und berichtet vom imposanten Festzug in seinem Reisetagebuch - allerdings ohne Skizze - und wir sehen Dürer im Gemälde auf der linken Seite inmitten des Volkes.ll. Damit hat sich Makart mit dem größten deutschen Künstler geschmückt, seine Malweise allerdings hat mit Dürer nichts zu tun, viel aber mit den italienischen Großmeistern für opulente Malerei: Tizian, Tintoretto, oder dem Meister der Haut: Rubens. Es sind im  Bild dann wieder Bildnisse, die man an ihrer Darstellung, ihren Bewegungen, ihren Bekleidungen oder eben ihrer Nacktheit seit der Antike kennt. Schon die Darstellung des 20jährigen Karl zu Pferd mit ausgestrecktem Arm ist uns als imperiale Geste bekannt. Das Volksfesthafte auch. Und eben auch Tableaux vivants,  'lebenden Bildern', die Motive aus Kunst und Kultur nachstellen und allegorische Bedeutung haben. 

Damit sind wir wieder bei den fünf Nackten, die schon im ersten Teil eine Rolle spielten. Tatsächlich sollen sie bei solchen Umzügen als Allegorien aufgetreten sein, davon berichtet auch Dürer. Allerdings waren sie theatermäßig auf der Tribüne plaziert. Hier aber hat Makart sie auf die Straße inmitten der herausgehobenen Festzugsteilnehmer hingestellt, denen das Volk von allen Seiten zuschaut. Eine Provokation. Und unter anderen Umständen als Pornographie bezeichnet. Aber genau das, was sich in einem Salon als Blickfang gut macht. "Wurde dadurch schon der Status des Bildes als skandalträchtiges Werk befördert, wußte Makart dies noch weiter zu steigern. So lancierte er das Gerücht, wonach es sich bei den Aktfigure im Bild um Porträts von illustren Damen der Wiener Gesellschaft. Mit dieser wohlkalkulierten Maßnahme befreite er das Gemälde aus einer rein historisierenden Perspketive und verlieh ihm - wenngleich auf eine eher fragwürdige Art und Weise - gegenwärtige Brisanz.", heißt es im Katalog. 

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Info:
Der begleitende Katalog bildet sämtliche präsentierten Werke ab, stellt sie in Einzelkommentaren vor und steckt in Form von einführenden Essays den jeweiligen Zeithorizont ab (Michael Imhof Verlag, 176 Seiten, deutsche Ausgabe, 25 Euro).

Zur Begleitung des Ausstellungsbesuches sowie zur Vor- und/oder Nachbereitung steht in der App der Hamburger Kunsthalle eine Audiotour kostenfrei zum Download bereit (4 Euro mit Leihgerät). Sie stellt 14 Werke sowie den Einzug Karls V. in Antwerpen vor, zu dem man zusätzlich als Augmented Reality-Anwendung animierte Informationen zu einzelnen Figuren des Gemäldes abrufen kann.
Zu der Vermittlung der Ausstellung gehört außerdem ein Begleitheft, das über die thematischen Stränge des Raumes informiert und kostenfrei mitgenommen werden kann.

Anläßlich von MAKING HISTORY und der damit verbundenen Neugestaltung des Makart-Saals entstand zudem der Film 50 Quadratmeter Zumutung, der die Genese des Projektvorhabens, die Freilegung des eingehausten Monumentalgemäldes sowie seine Restaurierung und Neupräsentation dokumentiert und Besucher*innenreaktionen einwebt (25 min). Der Film wird ab Ende Oktober 2020 in der Kunsthalle zu sehen sein.

ÖFFNUNGSZEITEN
MO GESCHLOSSEN
DI-SO 10 - 18 UHR
DO  10- 21 UHR