„Der Naumburger Meister. Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen“ in Naumburg
Von Claudia Schulmerich und Hans Weißhaar
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nein, mit dem Dom und der Figur, die den meisten Deutschen einfällt, wenn sie Naumburg hören, der „Uta von Naumburg“ ist es nicht getan in dieser prachtvollen Ausstellung, die die Geschichte genauso zurecht rückt, wie die Legenden, die sich um den Meister ranken, der als deutscher Meister und Erschaffer dieser Uta sämtliche Orden des Deutschen Reiches errungen hätte, die ihm als Franzosen – und das war er nach neuerer Forschung - nie und nimmer gegeben worden wären.
Diese Ausstellung des Naumburger Meister genannten mittelalterlichen Künstlers an drei Orten der Stadt stellt eigentlich auch klar, daß wir uns mit unseren nationalen Begrifflichkeiten von Deutsch und Französisch ganz und gar nicht auf der Höhe der Zeit seines Schaffens befinden. Dieser Steinbildhauer wirkte in der Mitte des 13. Jahrhunderts als Europäer, als Mitteleuropäer. Er ging dahin, wo seine Arbeit gewollt war und er verrichtete in Stein das, was die Herrschaft wollte. Und als in Naumburg und Umgebung seine Arbeit gefragt war, da schuf er halt dort, was anlag. Das waren vor allem der Westchor des Naumburger Doms mit seinen zwölf Stifterfiguren, darunter besagte Uta, und auch der so plastisch lebendige Lettner. Nach diesen Werken heißt nun in der Bescheidenheit der mittelalterlichen Handwerker, die zu Ehre Gottes arbeiteten, auch dieser Meister mit dem Notnamen „von Naumburg“.
Die als Landesausstellung firmierende kunsthistorisch exzellente Ausstellung spricht mit dem Untertitel klare Worte: „Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen“. Diese Wucht, dieses Emporheben bei aller Erdschwere, dieses Filigrane, diese Ausdruckskraft, diese Bildhaftigkeit und diese Energie, die seine Körper gerade noch auf dem Boden halten, aber so denkt man, im nächsten Moment , die irdischen Fesseln abstreifen und sich auf den Weg machen, dies alles hat ein einziger Mann geschaffen? Nun gut, heute gilt er als Hauptmeister seiner Zeit und seine Werke zu den bedeutendsten des Mittelalters. Einer, von dem man mehr als früher, aber dennoch wenig weiß. Und dessen Arbeit als Architekt noch weiter aufzuklären ist.
In Nordfrankreich soll er zur Blüte der Hochgotik ausgebildet worden sein, auf jeden Fall ist er für Amiens und Reims nachgewiesen und seine dortigen Werke sind in der Ausstellung zu sehen, die auf 2 500 Quadratmetern das Schlößchen am Markt, den Dom St. Peter und St. Paul, die Marienkirche am Dom, die Domklausur sowie das Stadtmuseum umfaßt. Auch aus Mainz sind Arbeiten ausgestellt, das Martinsrelief allerdings, die für Mainz angefertigte Mantelteilung des Heiligen Martin in Bassenheim, der Bassenheimer Reiter, der ist nur als Abguß vorhanden. Aber was heißt hier Abguß, wenn schon die Geschichte dieses Relief mit Geheimnissen behaftet, uns eine Stunde beschäftigt.
1935 wurde dies Stück original in der erst 1899 erbauten neugotischen Kirche St. Martin in Bassenheim aufgefunden, eingemauert in der Höhe von 5 Metern. Der Finder Hermann Schnitzler erkannte, daß es nicht von dort sein könne und war der Erste, der stilistische Bezüge zum Naumburger Meister herstellte, allerdings nicht zu den Naumburger Arbeiten, sondern denen aus Mainz. Die Herleitung, auf welchem Wege es aus Mainz nach Bassenheim kam, klingt sehr vernünftig, aber schaut man erst einmal länger hin, interessieren einen die Figuren auf einmal mehr als ihre irdische Geschichte aus Stein.
Ja, es ist just der Moment dargestellt, wo dieser Heilige aus Tours sich anschickt, mit gezücktem Schwert den Mantel zu teilen, aber er tut dies nicht mit seinem historisch verbürgten römischen Militärmantel, sondern in der Jetztzeit des 13. Jahrhunderts, datiert auf vor 1239, in der Mode der Zeit mit dem Tasselmantel, überhaupt ist diese Figur kein Militär mehr, sondern die liebliche mittelalterliche Jungmännergestalt des Adels. Und wie dringlich diese Mantelgabe wirklich ist, hat uns der Steinschöpfer auch gleich mitgegeben: fast nackt, nur mit Beinkleidern versehen, wartet der Bettler auf den Stoffsegen, an dem er schon fest mit den Händen zieht.
Dabei ist dieses Relief längst nicht das bedeutendste Werk, aber wohin wir auch schauen: wir bleiben stehen, wenn wir uns darauf einlassen, uns die Geschichten erzählen zu lassen, die der Stein preisgibt. Da kann man auch einfach eine einzelne Blattkonsole vom Westlettner des Mainzer Doms betrachten, alle Mainzer Stücke werden auf vor 1239 datiert, die heute unvollständig ist und deren Verwendungszweck ob als Figurenkonsole oder Auflager für die Gewölberippen auch nicht geklärt ist, aber sie anzuschauen, ruft sofort den Eindruck von Natur wach. Der Meister von Naumburg hat nach der Natur gearbeitet. Das zeigen die Stücke eindeutig.
Diese Naturnachahmung zieht sich durch die gesamte Ausstellung, die voller Frische und Kraft ist, weil die Figurendarstellungen wie die Kapitelle und anderes eine Energie verströmen, eine Lebendigkeit, die man dem Stein gar nicht zutraut und die vielleicht gerade deshalb ephemer scheint, weil der Stein Ausdrucksträger ist, eine dialektische Betrachtungsweise, die sich aufdrängt. Man nimmt an, daß der Meister so um 1230nach Mainz kam, weshalb er es verließ, verlassen mußte, obwohl der rühmenswerte Westlettner von ihm geschaffen wurde, nur fragmentarisch heute erhalten, aber stark in der Aussage der Köpfe und Gestalten, das alles wissen wir nicht.
Auf jeden Fall ging er nach Naumburg , wo er im Dom ab 1245 für die nächsten Jahre seine Hauptwerke schuf, nicht alleine, denn er arbeitete mit Werkstatt, denen auch die Stifter- und Patronatsfiguren im Meißner Dom zugeschrieben werden, die rund 1260 entstanden und Teil der Ausstellung sind. Wir aber haben erst einmal genug in Naumburg zu tun. Denn jetzt sind wir das dritte Mal bei den Stifterfiguren, weil man sehen möchte, ob es stimmt, wenn man in den Gesichtern und den Formen Ähnlichkeiten mit früheren Arbeiten des Meisters, die an anderer Stelle der Ausstellung stehen, mit eigenen Augen entdeckt.
Wir bemühen uns, wie andere, die Stifterfiguren historischen Personen zuzuordnen, ihnen Namen und ihre Geschichte zurückzugeben, wenn sie so erhaben für ewig da oben thronen, aber dann überwältigt einen die Schaulust, die gut tut, wenn man hin- und her sich wendet und immer ein und dieselbe Statue aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Das bleiben überhaut nicht mehr dieselben Figuren, meint man. Mal guckt er streng, mal mürrisch und auf einmal von der anderen Seite nur gelangweilt, der Herr da oben, dessen Namen wir im Chorschluß auf der Umschrift lesen können. Was haben diese Stifterfiguren gestiftet? Früher gab es Stifter-Grabmäler in Domen, aber diese Figuren sind baueinheitlich mit den dahinterliegenden Diensten gestaltet worden. Ist unser Meister also auch der Erbauer des Doms an dieser Stelle?
Alle diese schwierigen Fragen und die Herz, Seele und Hirn gewaltig durchflutenden Gedanken und Gefühle bei dieser wunderbaren Ausstellung werden im Stadtmuseum auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Eine wunderbare Erdung in dieser Ausstellung, die ebenso im rekultivierten Domgarten mit der KinderDombauHütte und dem ‚Garten des Naumburger Meisters‘ eintritt. Nur nicht so komisch. Denn im Stadtmuseum „Hohe Lilie“ wird sozusagen die ‚heilige Uta‘ aufs Kreuz gelegt. Ja, ja, sie war nicht heilig im kirchlichen Sinne, aber dem Deutschen Reich heilig, nachdem doch in den vielen Jahrhunderten davor kaum einer von ihr Notiz nahm. Wie man aus einer Frau ein Idol schafft, wie man es dann wieder durch Aufblähung abschafft und in welchen Formen einem diese – doch, doch, wunderschöne – Uta auf Landserstichen genauso entgegenstrahlt wie als Briefmarke. „Uta im kalten Krieg: als Sinnbild der ‚Ostsiedlung‘ auf einer Briefmarke der Deutschen Bundespost zur Jahrestagung des Ostdeutschen Kulturrats in Berlin (West) 1957“ mag man kaum glauben. Ist aber wahr.
Bis 2.November 2011
Katalog: Der Naumburger Meister. Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen, Band 1 und 2, Michael Imhoff Verlag 2011. Wie es dem Verlag wieder einmal gelungen ist, einen derartig formschönen wie in der Proportion von Text und Bild ästhetisch gelungen und inhaltlich stringent mit dem Bildmaterial korrespondierten Text zu gestalten, kann man nur bewundern. Wir tun es und danken dazu der Fleißarbeit all der kunsthistorischen Forscher und Forscherinnen, die nötig waren, um solch ein Grundlagenwerk zu erstellen, daß auch die weniger ‚bedeutenden‘ Stücke der Ausstellung solide und mit Emotion ans Licht von heute zu holen. Der erste Band umfaßt 784 Seiten, der zweite kommt durchnumeriert auf 1568 Gesamtseiten. Das Ganze noch in Gold gefaßt, läßt an Schönheit nicht zu wünschen übrig. Das ist so ein Wunderwerk, dem man auch nach der Ausstellung noch viele Käufer wünscht, denn man kann sich in Ruhe vertiefen und erhält durch die Querverweise auch immer wieder die Zusammenhänge, nach denen man sucht. Auch, was die Uta von Naumburg angeht, denn es sind nicht nur die kunsthistorischen Prachtstücke beschrieben, sondern auch die Umstände der zeit, die neue Empfindsamkeit und religiöse Bewegungen der zeit. Solche Vergleiche wie „Magdeburg und Naumburg“ von Heiko Brandl im ersten Band, wo er Varianten gotischer Skulptur im 13. Jahrhundert vorstellt, macht einen sofort neugierig, direkt auch nach Magdeburg zu fahren, wo man doch denkt, daß man den Museumsbestand und den Dom von der letzten großen Ausstellung der Gotik noch kennte. Aber ach, man lernt immer dazu und sieht vieles neu. Solche Kataloge wie diesen wirken daran mit.
www.naumburgermeister.eu
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