kulturstiftung.deTreffpunkt Rom 1810. Die Geschichte eines Künstlerstammbuchs, hrsg. Christiane Lukatis, Michael Imhof Verlag, Teil 2/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Leider liegt der erste Teil dieser Kunstbuchbesprechung schon länger zurück, weshalb wir den Link hier einfügen https://weltexpresso.de/index.php/kunst/20691-treffpunkt-rom-1810 . Denn dort steht die Voraussetzung für diese Fortsetzung. Wenn der Eingangsessay des Katalogs zum Künstlerstammbuch lautet: ‚“Blanckenhagen de Riga“ Ein livländischer Adliger auf Grand Tour‘ sind die nächsten erklärenden Worte fällig. Grand Tour?!

Die „Große Reise“ mit dem Zielland Italien, auch Griechenland, auf jeden Fall dem Zielort ROM ist seit der Renaissance als Kavalierstour eine Art Bildungsreise, die für die Söhne, nicht die Töchter, des europäischen Adels im Kern obligatorisch war und das Bilden nicht nur auf die Kunst beschränkte. Die Große Reise war auch eine Einführung in die eigene Geschlechtlichkeit, falls das nicht längst zu Hause erledigt war.

Das gehört zwar nicht zum Thema, ist aber eine generell verschwiegene Angelegenheit, die man ruhig im Zusammenhang anfügen soll, daß die jungen Herren auch erotisch gebildet werden sollten. Und gebildet wurden. Je nachdem, wo die Reise los ging, die meisten kamen aus England, waren auch die Länder Mitteleuropas kunstrelevant. Das galt ursprünglich für die Adligen. Und als sich das gehobene Bürgertum als wohlhabender Stand vom übrigen absetzte, gingen auch deren Söhne auf die Grand Tour. Und dann auch die Erwachsenen wie Goethe. Sie alle kamen zurück mit Erinnerungen, nicht nur gedanklicher Art, sondern auch mit erworbener Kunst. Aber im Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es zu einem generellen Bruch, der auch den Brauch der Grand Tour von Grund auf erschütterte.

Es war die Romantik, die eine neue Ästhetik und damit neue Bildungsinhalte brachte: die Gotik, das europäische Mittelalter, die Ritterromantik, die deutschen Burgen, insbesondere die Ruinen, der Rhein, verbunden mit den Dichtern der Zeit. Dazu mußte man nicht nach Rom fahren. Aber wir sind im Jahr 1810 und da ist Rom nach wie vor das Zentrum der Bildungsbeflissenen, was nicht pejorativ gemeint ist, sondern aussagen soll, daß an den Rändern Europas wie dem Baltikum die alten Bildungsideale noch lange galten.

Nur haben sich die Bedingungen geändert. Wilhelm von Blanckenhagen reist nicht als junger Herr, sondern zusammen mit seiner Frau und den Kindern auf der Route über Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederland und Schweiz nach Italien auf seiner dreijährigen Bildungsreise. Die Mittel hatte er, denn sein Vater hatte als Kaufmann ein beträchtliches Vermögen angesammelt, das nicht nur diese Reise möglich machte, sondern anschließend Zeit seines Lebens ein aufwendiges gesellschaftliches Leben im Baltikum, in Riga.

Eigentlich wollten wir diese Familienreise nachvollziehen, weil sie im Buch sehr gut dokumentiert wird, wozu nicht nur die Reiseroute gehört, sondern auch die Graphiken, Gemälde und Skulpturen, die sie unterwegs von wem und wo erworben haben. Doch, haben wir inzwischen beschlossen, dazu ist der Katalog ja da, daß die Details nachgelesen werden können. Der Hauptteil des Bandes gehört den Stammbuchblättern, deren Funktion im ersten Teil ausführlich zur Sprache kamen und von denen auch schon einige vorgestellt wurden.

Die ersten Blätter sind alle von 1810 und bei Blatt 4, Rückkehr von der Reise und Bekränzung der Penaten, treffen wir auf einen der Matadoren von TREFFPUNKT ROM 1810, Johann Friedrich Overbeck. Mit seinem Namen verbindet sich so viel Kunstgeschichte, daß man sich freut, daß dieses Blatt, dessen fein, nämlich typisch nazarenerhaft gezeichneter Inhalt vom Thema her sehr akademisch ist, hier ausführlich erklärt wird. Gleichzeitig erfährt man auch, wie sich Overbeck in Rom – er war ja gerade erst im Mai aus Wien zusammen mit Franz Pforr und Ludwig Vogel gekommen – zurechtfand und zum Mittelpunkt der gleichgesinnten Künstlerkolonie wurde, die das Ideal der Vergangenheit im Sinn hatte. Oberbeck berichtet seinem Vater nach Lübeck: „Das letzte was ich gemacht habe ist eine kleine Zeichnung für einen liefländischen Baron von Blankenhagen der nach einem sechsmonatlichen Aufenthalt in Rom nach Deutschland zurückkehrt und nun alle Künstler mit einem Stammbuch in Contribution setzt - ich wählte in Beziehung auf seine Rückkehr in die Heimath die die Darstellung einer von der Reise zurück gekehrten Familie die den Hausgott mit frischen Blumen bekränzt und ihm das erste Opferfeuer auf dem eigenen Herde angezündet - führte es mit der Feder möglichst aus und erwarb mir darauf ....einen ergebensten Bückling zum Dank.- O warum muß die Kunst nach Brod gehen!“

Aha, Blankenhagen hat Overbeck nicht bezahlt?! Dabei ist die Thematik des Blattes sehr einfühlsam und auch von der Ausführung exquisit. Aber vielleicht war dies Blatt kein Auftrag, sondern wurde von Blankenhagen als Abschiedsgeschenk empfunden, eben für sein Künstlerstammbuch. Auf jeden Fall verband Overbeck mit dieser Zeichnung die Hoffnung, weitere Aufträge zu erhalten. Für Kundige und die damalige gebildete Welt war dies, entschlüsselte sich die Zeichnung: die Penaten sind die römischen Schutzgötter des Hauses, die die Seelen der Verstorbenen repräsentieren ; in den Darstellungen sind sie in der Regel verbunden mit der Flucht aus dem brennenden Troja, weil Aeneas nicht Bildschirmfoto 2021 01 09 um 01.45.02nur seinen Vater Anchises und Sohn Askanios rettete und mitnahm, sondern auch die Penaten. Und da Aeneas nach seinem Aufenthalt bei der Königin von Karthago, Dido, nach Italien („Nach Italien!“ singt er am Ende der gleichnamigen Oper) zog und zum Stammvater Italiens wurde, ist so ein Motiv gerade bei den geschichtlich rückwärts gewandten Künstlern en vogue.


Der Bekränzung der Penaten, von denen der Titel spricht, sehen wir jetzt zu. Die Heimkehrer, ein junger und ein alter Mann, teils noch in Bildschirmfoto 2021 01 09 um 01.44.26Reisekleidung, von einem Hund begrüßt oder angebellt, treffen auf zwei junge Mädchen und eine alte Frau. Längst ist das Feuer in diesem schmalen Raum mit Ziegelwand entfacht, was die alte Frau weiter bedient, weiteres Holz liebt am Boden, die Penaten stehen auf dem Ofen vorne in Form von Statuetten, aber ich sehe nur eine. Aha, es sprach der Künstler ja auch vom Hausgott. Doch im Titel wird ein Plural angegeben. Die Statue wird von den beiden Mädchen mit Rundzopf und hochgeschnürter, antikisierender Taille mit einer prächtigen langen Blumengirlande umkränzt. Man achtet auf die Personen, die ja mitten in einer Handlung sind. Aber man sollte den Blick abwenden und die Raumgestaltung studieren. Schauen Sie, wie detailliert die Schraffuren gesetzt sind. Am Ofen, am Boden, die Mauern, die Gewänder. Das ist wirklich eine feine Zeichnung.

Dies ist nur ein kurzer Abriß, denn die Bilderklärung im Katalog geht weiter mit Darstellungen der Penaten, die auch die Dichter beschäftigten. Froh ist man darum, daß zum Bild und der Bilderklärung wir dann auch noch informiert werden, wie dieses Bild und das Künstlerstammbuch insgesamt bei Betrachtern der Zeit ankam. Gut nämlich und es gereichte dem Kaufmann Blankenhagen durchaus zur Ehre und den Künstlern des Stammbuches auch. Das war auch seine Funktion.
 
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Cover

Info:
Christiane Lukatis, TREFFPUNKT ROM 1800, Die Geschichte eines Künstlerstammbuchs, mhk, Michael Imhof Verlag 2020
ISBN 978 3 7319 1005 3

Erster Teil
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