Gruppenausstellung ‚Lockdown. Kunst und Krise‘ in der Heussenstamm Galerie in Frankfurt am Main sowie Interview ab 17. März
Siegrid Püschel
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mit 46 beteiligten Künstlern holt das Heussenstamm von Mittwoch, 17. März, bis Samstag, 1. Mai, die lokale Kunstszene in geballter Form zurück auf die Bildfläche. Die Gruppenausstellung „Lockdown. Kunst und Krise“ gliedert sich in zwei aufeinanderfolgende Teile. Sie präsentiert ein medial wie thematisch vielfältiges Spektrum künstlerischer Auseinandersetzungen mit den Bedingungen und Folgen des Lockdowns im Frühjahr 2020. Initiiert als solidarisches Zeichen für die Kunstschaffenden der Region, wird die Ausstellung zum ermutigenden Signal für alle. Auf spielerische, humorvolle, aber auch kritische Weise führt die Vielzahl der Arbeiten neben den Schattenseiten der Krise vor allem deren Chancen eindrücklich vor Augen.
Diese liegen in der Teilnahme an gesellschaftlichen Diskursen und in ergebnisoffenen Denkprozessen, wie sie für das künstlerische Arbeiten typisch sind. Die Ausstellung macht deutlich, was Kunst gerade in Krisenzeiten für die Gesellschaft zu leisten imstande ist: Sie öffnet Räume für Reflexionen und bietet anregende Perspektiven auf vermeintlich Alternativloses. Performances im öffentlichen Raum begleiten das Programm.
Gruppenausstellung ‚Lockdown. Kunst und Krise‘ in der Heussenstamm Galerie, Interview von Maximilian Scharffetter
(Am Mittwoch, 17. März, öffnet die zweiteilige Ausstellung „Lockdown – Kunst und Krise“ der Heussenstamm Stiftung in der Braubachstraße. Sie zeigt vielseitige Werke von Kunstschaffenden der Region und wie sich diese künstlerisch, spielerisch und humorvoll mit den Bedingungen und Folgen des Lockdowns auseinandergesetzt haben. Ein Gespräch mit Christian Kaufmann, Kurator und Leiter der Heussenstamm Stiftung, und der Künstlerin Christine Fiebig über den Lockdown und den Sinn von Kunst.
Herr Kaufmann, worum geht es in der Ausstellung „Lockdown – Kunst und Krise“? Was ist der Hintergrund?
CHRISTIAN KAUFMANN: Die Ausstellung hat mittlerweile schon einen etwas längeren Entstehungsprozess. Die ersten Planungen gehen auf den Frühsommer 2020 zurück. Damals haben wir uns gefragt, wie die Künstler mit dem Lockdown umgegangen sind, welche Themen sie bearbeitwt haben und wie sie überhaupt gearbeitet haben. Ich weiß noch, ich bin im Frühjahr letzten Jahres jeden Tag hier ins Büro gefahren, in eine menschenleere Innenstadt und man hatte das Gefühl: Hier passiert nichts mehr. Aber natürlich ging es hinter den verschlossenen Türen weiter. Und auch Künstler haben ganz normal weitergearbeitet in ihren Ateliers. Das Thema der Pandemie, das uns alle seit einem Jahr beschäftigt, wurde hier kreativ aufgearbeitet. Das wollen wir mit der Ausstellung einfangen.
Nach welchen Kriterien wurden die Werke der Ausstellung ausgewählt?
KAUFMANN: Wir als Heussenstamm Stiftung fördern in erster Linie regionale Kunst. Daher haben wir sehr vorsichtig in hiesigen Ateliers angefragt, was in der Zeit entstanden ist. Und sind dann quasi überrollt worden. Aus über 80 Einsendungen haben wir dann 43 Positionen herausgefiltert. Der Fokus bei der Auswahl lag zum einen darauf, was die Künstlerinnen und Künstler gemacht haben, aber auch, wo die Themen Pandemie und Lockdown mitschwangen oder wo sich künstlerisches Arbeiten signifikant gegenüber vor der Krise verändert hat.
Frau Fiebig, Sie sind Teil dieser Ausstellung. Wie haben Sie den Lockdown erlebt?
CHRISTINE FIEBIG: Am intensivsten wurde glaube ich empfunden, dass wir Künstler plötzlich keinen Raum mehr zum Ausstellen haben werden. Ich hatte den Eindruck, dass alle ins Netz gehen. Aber Kunst so reduziert zu sehen, gibt mir sinnlich wenig. Es war für mich ein Anlass gerade jetzt konkret zu werden. Ich wollte mit Material arbeiten, wollte auch diese Isolierung durchbrechen und mit Leuten zusammenarbeiten. Deswegen habe ich Kollegen angefragt, ob sie Lust auf eine neue Arbeitsweise haben. Und es haben alle ja gesagt.
Was war dieses Neue, was Sie mit Ihren Kollegen erarbeitet haben?
FIEBIG: Jedes Werk, das in der Ausstellung zu sehen ist, ist im Rahmen dieser Zusammenarbeit entstanden. Wir haben in verschiedenen Gruppengrößen mit einer Art Kettenbrief-System gearbeitet: Jemand fängt ein Werk an, beginnt es nur, schickt es per Post weiter und jeder weitere reagiert und fügt etwas hinzu, sodass ein Dialog auf dem Papier entsteht. Das war ziemlich anspruchsvoll, weil man die Bildidee des anderen begreifen musste, bevor man reagiert. Und wenn man in sechster Reihe steht und fünf Leute vorgearbeitet haben, ist die Frage: Wie setzt man da den Schlusspunkt? Wann ist ein Bild fertig?
Gab es bei Ihren Arbeiten thematische Vorgaben?
FIEBIG: Es hatte nie konkret etwas mit Corona zu tun. Ich wollte eher betonen, dass uns eben nicht die Hände gebunden sind. Kreativität verebbt nicht. Das ist wie ein Fluss, der fließt. Wenn es an einer Stelle nicht mehr weitergeht, bahnt er sich einen neuen Weg. Daher ging es mir auch eher um die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Künstlern. Die Arbeit von Bea Emsbach zum Beispiel hat mich schon immer fasziniert. Auf ihre Arbeit zu reagieren mit meinen eigenen Möglichkeiten, das weiterzuführen, was sie beginnt, hat mich sehr gereizt.
KAUFMANN: Diese Form der Gruppenarbeit fand ich als Kurator sehr spannend. Dass man gemeinsam an Dingen arbeitet, ist für Künstler auch nicht selbstverständlich. Dass man absieht vom eigenen Werk und wirklich etwas Gemeinsames schafft; so sind wir dann auch zusammengekommen.
Herr Kaufmann, warum machen Sie die Ausstellung nicht online?
KAUFMANN: Wir haben anfänglich versucht, Ausstellungen zu filmen und ins Netz zu stellen. Allerdings bin ich kein Verfechter von solchen digitalen Präsentationen. Die Arbeiten muss man sehen, die muss man betrachten, da muss man in einen Dialog kommen und das kann man nicht, wenn man sie nur am Bildschirm sieht. Man kann vieles digital machen, aber die Digitalisierung kann nicht alles ersetzen. Daher halten wir an dieser Ausstellung fest und haben sie immer wieder verschoben.
Wie soll die Ausstellung in Präsenz ablaufen?
KAUFMANN: Wir haben ein Hygiene-Konzept entwickelt, um die Ausstellung vor Ort umsetzen zu können. Per Telefon können im Vorfeld Datum und Uhrzeit vereinbart werden, um die Ausstellung zu besuchen. Derzeit planen wir mit Gruppengrößen von maximal drei Personen. Unsere Stiftung hat ein relativ kleines Budget. Doch was sie hat, ist dieser Raum hier. Hier gibt es einen Freiraum, wo man miteinander ins Gespräch kommt, wo man mit Kunst ins Gespräch kommt und wo man nachdenken kann. Das ist das Pfund, auf dem ich auch beharren will.
Sie selbst sind Ende 2019 kurz vor der Pandemie Leiter der Heussenstamm Stiftung geworden. Wie haben Sie Ihr erstes Amtsjahr erlebt?
KAUFMANN: Mein erstes Jahr hatte ich mir natürlich etwas anders vorgestellt. Doch trotz der Lage haben wir viele Projekte durchführen können. Schade war es nur um die letzte Ausstellung Ende Oktober, die wir nach drei Tagen schließen mussten und die dann auch nicht mehr anlaufen konnte. Das war aber die einzige Ausstellung, die ausfallen musste. Was in der Tat komplett weggefallen ist, sind persönliche Termine. Unser Haus ist auch ein Ort für politische Diskussionen oder Künstlergespräche, die natürlich reihenweise ausgefallen sind. Auch die Lockdown-Ausstellung ist jetzt zum vierten Mal verschoben worden. Ursprünglich sollte sie im Dezember laufen – wenn auch in einer anderen Form. Wir hatten geplant, sie an drei Orten in der Braubachstraße, wie eine Art kleines Festival, stattfinden zu lassen. Das musste alles neu konzipiert werden. Und jetzt im vierten Anlauf hoffe ich, dass er gut wird.
Und wie würden Sie die aktuelle Situation der Kunst in Frankfurt bewerten?
KAUFMANN: Am ersten November musste unser Haus schließen. Aber natürlich passierte auch dann hinter den Kulissen etwas – man schiebt und arbeitet weiter. Aber die Begegnung fehlt. Ich mache mir Sorgen um Strukturen, die über Jahrzehnte entstanden sind, die nicht selbstverständlich sind und die man jetzt irgendwie erst wieder aufbauen muss. Da habe ich schon Bedenken. Der Kommunalhaushalt wird vermutlich ziemlich strapaziert werden. Und da wird es Verteilungskämpfe geben – machen wir uns nichts vor, die werden auch die Kultur betreffen.
Gab es auch positive Entwicklungen, die durch Corona ins Rollen gekommen sind?
KAUFMANN: Ich glaube die Krise ist, wie es auch schon oft beschrieben wird, eine Chance darüber nachzudenken, was vielleicht schiefläuft – nicht nur bezogen auf die Kunst, sondern auch generell. Das fängt bei der Umweltzerstörung an und hört bei den sozialen Absicherungen für Künstlerinnen und Künstler auf. Auch das ist eine Frage, die an die Oberfläche geschwappt ist. Den Diskurs sehe ich aktuell und das würde ich als positiv bezeichnen. In dem Sinne, dass wir da offensiv dranbleiben, weiterarbeiten und aufpassen, dass er nicht wieder zugedeckt wird. Über Fragen diskutieren wie: Vor welchen Schwierigkeiten stehen Kunstschaffende im Augenblick durch Corona? Wie konnte Politik helfen? Wo fehlt es noch? Wo muss nachgesteuert werden? Weil über solche Fragen vorher vielleicht nicht oder zu wenig öffentlich gesprochen wurde.
FIEBIG: Mein Fokus während der Zeit lag darauf, was macht mich stark? Das sind zum einen Netzwerke und auch Solidarität unter den Künstlern: zusammenarbeiten, sich gegenseitig unterstützen und helfen, Ideen aber auch Sorgen teilen.
Ist Kunst vielleicht gerade jetzt systemrelevant?
FIEBIG: Für mich, ganz persönlich, würde ich „Ja“ sagen. Was ich aus dem kreativen Denken heraus getan habe – das Agieren und das Kontakt aufnehmen – das hat immer gutgetan. Kunst gehört zum Menschen dazu. Es gehört zur Dimension des Menschen. Frei nach Kant: „Kunst ist das sinnliche Scheinen der Freiheit.“ Bis heute ist es so, dass Kunst die Begriffe aufbricht und normale Sichtweise völlig verändert, unser Denken erweitert und uns Neuland betreten lässt.
KAUFMANN: Das schlägt auch einen ganz tollen Bogen zu der Ausstellung: Themen aufbrechen, die uns beschäftigen, vielleicht eine neue Perspektive reinbringen – das kann eigentlich nur Kunst. Deswegen will man natürlich sagen, dass Kunst immer systemrelevant war, doch man muss noch einmal über die Rolle von Kunst in unserer Gesellschaft und dem Selbstverständnis nachdenken. Gerade am Anfang der Pandemie hatte ich den Eindruck, dass das, was von politischer Seite geäußert wurde, wenig hilfreich war. Da wurde man eher als Freizeiteinrichtung abgestempelt. Aber Museen oder auch solche Orte wie wir sind Bildungseinrichtungen. Ich möchte in keiner Gesellschaft leben, die – wie in den letzten zwölf Monaten – nur noch funktioniert. Das ist nicht meine Auffassung von Leben. Ich brauche die Kunst und ich glaube, wir alle brauchen die Kunst.
Fotos:
Christine Fiebig in der Ausstellung „Lockdown – Kunst und Krise“
Christian Kaufmann und Christine Fiebig in der Ausstellung
Christian Kaufmann, Leiter der Heussenstamm Stiftung, in der Ausstellung „Lockdown – Kunst und Krise“
©heusenstamm-stiftung, Rueffer