Hieronymus Boschs Haupttafel (Prado Madrid) virtuell im Frankfurter Museum für Kommunikation, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Welch schöne Idee, mit Hilfe eine Virtual Reality-Brille in Frankfurt in der Mitteltafel von Boschs Triptychon GARTEN DER LÜSTE (im Zeitraum1490 bis 1505 datiert) spazieren gehen zu können und welche dumme Idee, als Ausstellungsüberschrift DELIGHTFUL GARDEN VR zu nennen, denn alles auf Englisch ausdrücken zu wollen, ist von gestern!
Aber das bleibt die einzige dumme Idee, denn ansonsten kann man im Museum für Kommunikation miterleben, wie Technik und Kunst eine Melange eingehen, die selbst mich – mit der Riesenbrille auf der Nase, die mich mitten im Garten stehen läßt – dazu hinreißen läßt, mit einer virtuellen Zange einen Stein aufzuheben, ihn – ja, immer noch virtuell, ich mußte dazu mit der rechten Hand nur auf einen Knopf drücken – in die Hand zu nehmen und ihn auf einen Unhold zu schmeißen! Bin ich froh, daß ich knapp daneben zielte, aber trotzdem das gewünschte Ergebnis hatte: er verschwand aus dem Bild. Die Moral hatte gesiegt!
Wovon ich spreche: gleich von Zweierlei. Darum erst einmal zum Kunstwerk, in dem ich gerade herumspaziere. Nach der Haupttafel DER GARTEN DER LÜSTE ist das gesamte Triptychon benannt, das zwar aus drei Teilen besteht, aber fünf Bilder hat, weil die Außenflügel im zugeklappten Zustand ein weiteres Bild zeigen und die Erdscheibe abbilden, die in einer durchsichtigen Kugel zu schweben scheint: DIE SCHÖPFUNG DER WELT. So ein wenig wie diese Schneekugeln, nur ohne Schnee, zudem in den Maßen von 220 x 390 Zentimetern, solch Riesenformat hängt im Prado.
Wir sind mit der Schöpfung also zu Beginn unserer Existenz, was bei aufgeklappten Tafeln dann links zur Vision des DER GARTEN EDEN führt, wo wunderschöne Menschen glücklich vor sich hinleben und rechts zur DIE HÖLLE, wo gestraft, gefoltert, massakriert, durchstochen, erdrückt, geviertelt, mit einem Wort multigetötet wird, daß es nur so ein Graus ist, wobei die Spezialität darin besteht, daß das alles mittels Musikinstrumenten geschieht. Völlig einsichtig also, daß man nicht diese Tafel als virtuelle Wirklichkeit nahm, sie wäre wegen Sadismus sofort verboten worden.
Doch zwischen Himmel und Hölle findet in der großen Mitteltafel das Leben statt: ein Garten der Lüste, ein Leben, das am Ende entscheidet, ob man links landet, im Paradies, oder rechts in der Hölle! Man sieht, DER GARTEN DER LÜSTE bringt also die Entscheidung über das Leben nach dem Tode!
Und welche Versuchungen es dort gibt, was kreucht und fleucht, das kann in einem 20-25minütigem virtuellen Rundgang mit Brille nicht nur besucht werden, sondern mit Hilfe zweier Handgeräten spielt man mit in diesem menschlichen Wirrwarr – und da ein netter jungen Mann zur Hilfestellung (und coronagerechter Reinigung der Utensilien für den Nächsten) bereitsteht, kann sich das jeder zutrauen, wenn selbst ich, absolut nicht technikaffin, ja eher feindlich, das geschafft habe – ja, richtig stolz war, den Besuch im Bild so gut bewältigt zu haben! Und immerhin waren die SIEBEN TODSÜNDEN zu bewältigen! Darauf hat sich die Kunstgeschichte bei dem nach der Mitteltafel DER GARTEN DER LÜSTE genannten Gemälde geeinigt. Was die SIEBEN TODSÜNDEN sind? Tja, heute nicht mehr Allgemeingut und leider auch nicht in den unsäglich vielen Ratesendungen im Fernsehen zum Thema gemacht. Aber noch 1933 nannten Bert Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik) ihre satirische Darstellung auf der Bühne problemlos DIE SIEBEN TODSÜNDEN, wobei vielen Menschen so nach und nach doch die potentiellen Sünden – Todsünden als die schweren, die Hauptsünden, gegenüber den einfachen, den läßlichen Sünden - einfallen, wenngleich selten mit den lateinischen Begriffen, unter denen sie in der mittelalterlichen Malerei – es machte schon immer mehr Spaß, die Sünden zu malen, als ein gottgerechtes Leben! - jedem bekannt waren:
Superbia: Hochmut, Stolz, Eitelkeit... Avaritia: Geiz, Habgier, Habsucht... Luxuria: Wollust, Genusssucht, Begehren, Unkeuschheit Ira: Zorn, Wut, Jähzorn, Rachsucht Gula: Völlerei, Maßlosigkeit, Gefräßigkeit, Selbstsucht Invidia: Neid, Eifersucht, Missgunst... Acedia: Faulheit , Feigheit, Ignoranz, Trägheit des Herzens
Lange glaubte man, in dieser Mitteltafel vor allem die Wollust abgebildet zu sehen und dann gab es einen, einen einzigen, WilhelmFraenger, der die Kunstgeschichte aufmischte, in dem er den DER GARTEN DER LÜSTE positiv konnotierte, wie glücklich die Menschen leben, wenn sie positiv zur Sexualität stünden und einfach drauflos...Das war zwar ganz im Sinne der Sexualaufklärer des Zwanzigsten Jahrhundert, also auch Wilhelm Reichs und Sigmund Freuds, aber Hieronymus Bosch war weder Sexualaufklärer, noch Sexualtherapeut, sondern war in seinem ’s-Hertogenbosch, dieser kanalreichen, wirklich schönen kleinen Stadt rund 80 km von Amsterdam, ein geachteter Bürger und Ratsherr, der jede Wiederwahl gewann. Ein Rätsel nicht nur der Kunstgeschichte, sondern der Weltgeschichte, aus welchen Gründen ein äußerlich in eine Bürgergesellschaft integrierter Mann, Mitglied einer besonders gläubigen Brüderschaft, derartige Phantasien entwickeln konnte und diese dann auch noch auf solche subtile, surrealistische, mit Worten eigentlich nicht wiedergebbare Weise im Riesenformat auf Holztafeln malte!
Ehrlich gesagt, bin ich um diese Ausstellung schon deshalb froh, weil sie eine Gelegenheit ist für diejenigen, die sich sonst nicht im Städel oder anderen Kunstmuseen aufhalten, wahrzunehmen, wie solche Gemälde mit dem eigenen Leben zu tun haben, zu tun haben können. Denn hoffentlich schauen diejenigen, die in die Ausstellung gelangten und im Bild spazierengingen, dann – und wenn‘s im Internet ist – genauer nach, was es mit DER GARTEN DER LÜSTE auf sich hat und wer dieser HIERONYMUS BOSCH eigentlich ist, gewesen war.
Zeit, auf die Virtuelle Realität einzugehen und auf die, die in jahrelanger Fisselarbeit solchen Spaziergang mit Brille möglich machten.
Fotos:
Titel:©mfk-frankfurt.de
Text:©de.wikipedia.org
Info:
Delightful Garden VR. Eine Virtual Reality Erfahrung im GARTEN DER LÜSTE von HIERONYMUS BOSCH, bis 23. Januar 2022 im Museum für Kommunikation Frankfurt