Jastram 0490Michael Jastrams Bronzeskulpturen und Zeichnungen

Hannah Wölfel

Burghaun/Ost-Hessen (weltexpresso) - Zum 25-jährigen Jubiläum der Galerie Liebau präsentiert der international erfolgreiche Künstler Michael Jastram Bronzeskulpturen und Zeichnungen. Nicht zum ersten Mal ist der Bildhauer hier mit einer Ausstellung zu Gast.


Die Skulpturen entführen die Betrachter in merkwürdige Welten: Eine männliche Figur hockt einsam auf der Spitze eines langgezogenen, schiffsartigen Gebildes („The River“). Über eine Mauer mit Rädern reiten drei Männer auf Pferden den „Schmalen Pfad“. Einer sitzt als „Easy Rider“ auf dem Rand eines maschinenartigen Hauses mit zwei Rädern. Oft halten die Menschen Balancierstangen, wohl um an diesen seltsamen Orten nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten.

Drei listig wirkende Frauen halten den Leib eines Mannes in einer sargartigen Kiste auf Rädern gefangen, nur der Kopf schaut hinten heraus; sie stehen auf dem Gefährt. „Urteil des Paris“ heißt diese Arbeit. Offenbar hatte der Eingesperrte keine Chance, eine der Frauen - Aphrodite, Athene oder Hera - auszuwählen, wie in der griechischen Mythologie vorgesehen. Jastram kann also auch humorvoll sein, das Oeuvre ist sowieso frei von Pathos.

Die architektonischen Gebilde sind nicht kunsthandwerklich ausgearbeitet, sondern rustikal geformt und zusammenfügt, weisen kräftige Arbeitsspuren auf. Oft verbinden steile, holperige Treppen diverse Bildteile. Grob geformt sind die Figuren, zeigen Haltungen, aber keine individuellen Züge. Oft besteht eine starke Spannung zwischen diesen singulären Wesen und den Räumen, in denen sie sich zurückzogen oder ausgesetzt wurden. Die rauen Oberflächen haben Patina angesetzt, gelegentlich schimmert die Bronze durch, aus der alle Stücke aufwendig im Wachsschmelzverfahren gegossen wurden. Behutsam sind einige Werke etwas vergoldet.

In der blendend weißen Galerie sind die Plastiken streng und zentralperspektivisch angeordnet, doch es lohnt sich näher zu treten und sie aus anderen Blickwinkeln zu sehen. Die Objekte sind nicht besonders groß, bilden nichts realistisch ab, deuten ihre Motive und Themen lediglich an – und sind doch von enormer Kraft und ziehen einen in ihren Bann.

Mal wirken die Menschen verloren oder einsam, mal agieren sie listig in Gruppen wie die Weiber auf dem „Paris“ oder als unterschiedlich mutige Kerle auf drei Pferden. Trotz ihrer Verschiedenheit sind die Skulpturen alle leicht verrätselt und dadurch irritierend. Sie wirken wie eingefrorene Träume, in denen Fundstücke unterschiedlicher Provenienzen und Epochen miteinander verbunden oder aufeinander getürmt wurden. Man wird in andere Welten versetzt, nicht unbedingt in die Antike und schon gar nicht an wiedererkennbare Orte. Es sind durch Form und Farbe archetypisch wirkende Gebilde, die dennoch bis in die Gegenwart reichen. Ein verwirrendes Gefühl der Fremdheit stellt sich ein, das wohl Jastrams Gestalten, diese Reisenden in der Zeit, ebenfalls erleben.

Die Zeichnungen des Künstlers sind zarter und freundlicher, greifen aber auch Motive der Skulpturen auf, etwa Reiterinnen auf Pferden. Sind es festgehaltene Erinnerungen an in Träumen geschautes? Entwürfe seiner Plastiken? Auf jeden Fall sind sie eigenständige Kunstwerke!

Wir soll man sich diesen Arbeiten annähern? Man kann sie einfach auf sich wirken lassen, denn sie rufen eigene Assoziationen hervor. Man kann die von Jastram angespielten Geschichten weiterspinnen oder eigene erfinden. Selbst wenn die Titel Spuren weisen, muss hier nichts entziffert oder ermittelt werde. Auch der Künstler kennt und verbalisiert letztlich die Geheimnisse seiner Werke nicht. Die Arbeiten behalten ihren „unwägbaren Rest“ (Adorno), der den Betrachtern die Freiheit der Anschauung ermöglicht.

Jastram 0468
„Menschen, Pferde, Reiter – klassische Sagen- und Traumfiguren,
oft miniaturhaft, in ein sehr konträres Ambiente gegeben,
erzeugen ganz eigene Stimmungsbilder.“
 
                                                                          Günter Liebau


Fotos:
(c) Hanswerner Kruse
Oben: "Easy Rider" (44 x 62 x 18 cm)
Unten: "Der schmale Pfad" (73 x 72 x 16 cm) mit Zeichnung "Reiterin (La Grazia)"

Info:
Ausstellung Michael Jastram noch bis zum 14. November 2021
Galerie Liebau, 36151 Burghaun, Rhönblickstraße 63, geöffnet Do – So 15 – 18 Uhr
www.galerie-liebau.de