Eine kurzweilige Ausstellung im Schloß Karlsruhe bis 19. Juni 2022, Teil 1
Claudia Schulmerich
Karlsruhe (Weltexpresso) – Wenn Sie durch die Ausstellung streifen und die GÖTTINNEN suchen, werden Sie auf den ersten Blick ratlos stehen bleiben, aber auf den zweiten haben Sie verstanden: die Frau an und für sich ist es, die in einer männerdominierten Welt Ende des 19. Jahrhunderts, die gerade technisch die Welt aus den Angeln hebt, als Rätsel und als das natürlichere Geschlecht die Schönheit, die Üppigkeit der Natur verkörpert. Und jeder Mann, der schon einmal verliebt war (hoffentlich öfter!), hat seine Angebetete zumindest kurzzeitig als Göttin angesehen und so behandelt. Und auch die Frauen haben verstanden. Als Göttin lebt es sich deutlich besser.
Suchen Sie also nicht nach den marmornen Schönheiten der archaischen Zeit der Griechen, nie wieder schienen nämlich Frauenkörper in zarter Schleierkleidung so schön und so nackt, aber machen Sie die Entdeckung, daß der Schleier etwas ist, was der Jugendstil aus uralten Zeiten übernommen hat. Vielfältig und Sie werden auch sehen, daß ein moderner Designkünstler wie der Japaner Issey Miyake mit seinen textilen Falten es nicht so perfekt hinbekommen hat, wie ein hinreißendes rotes Ensemble, das ich sofort anzöge, das in der Ausstellung erst weiter hinten kommt.
Wir aber fangen vorne an und lassen gleich das mir Wichtigste aus. Rechts nämlich sehen Sie an der Wand lauter Titelbilder der Wochenzeitschrift „JUGEND - Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben“, die ab 1896 in München erschien und tatsächlich dem neuen Stil seinen Namen gab: JUGENDSTIL. Neben den Frauen kam nämlich auch der Jugend eine besondere Bedeutung zu, man hatte bewußt oder unbewußt genug vom Alten, man strebte nach Veränderung, was aber erst in den Ersten Weltkrieg mündete, der die alte Welt dann gründlich zerstörte. Auch den Jugendstil übrigens.
Aber noch sind wir am Anfang, müssen aber dennoch den Begriff JUGENSTIL kurz problematisieren. So heißt er in deutschsprachigen Ländern und vereinnahmt all die Tendenzen, die anderswo nicht nur andere Begriffe, sondern durchaus auch andere Formen verwenden. Aber das hat sich so eingebürgert, daß wir auch die französische Ausrichtung – denken Sie an die Metrostationen! - der ART NOUVEAU umgangssprachlich als Jugendstil bezeichnen. ‚Neue Kunst‘ ist natürlich 130 Jahre später eine alt gewordene Kunst und STILE FLORALE, wie die Italiener sagen, ist aussagekräftiger, aber das Neue am Jugendstil war so durchschlagend gegenüber den alten Formen, die gerade im Historismus durcheinandergewirbelt waren, aber einen Mischmasch boten, dem gegenüber der Jugendstil einfach aufregend neu, aufregend bunt, aufregend bewegt war, weshalb die Spanier ARTE JOVEN, die Katalonier mit Gaudí Modernismo sagen und auch in der englischsprachigen Welt MODERN STYLE dasselbe ausdrückt.
Das kann man gut überblicken, schwierig wird es erst, wenn man den Wiener Jugendstil genauer anschaut und den Darmstädter auch. In Wien sagte man Sezession und meinte damit die Abtrennung der neuen Künstler in einer eigenen Vereinigung gegenüber den Künstlern mit dem alten Stil. Dieser Stil hat schottische Wurzeln, die wiederum welche aus Chicago, ein geometrischer, kein floraler Stil, aber Jugendstil sind sie alle, weshalb wir jetzt in Karlsruhe bleiben, eine Stadt und Residenz, die sehr viel stärker von München und auch von Dresden beeinflußt waren, direkt von Frankreich auch, also vom floralen Stil der geschwungenen Linien. Und da stehen wir gleich zu Beginn einem Hauptwerk gegenüber, von dem ich nie gedacht hätte, daß es Karlsruher Eigentum ist: der Göttin, die mit Göttinnenmiene auch auf den Plakaten ihre von ihren Haaren und Schleiern kaum bedeckte nackte Brust bietet, die Augen geschlossen hält, wahrscheinlich, damit sie unsere mickrige Erdengestalt nicht sehen muß oder um des Erhabenen willen, denn daß diese güldene Dame, aus vergoldeter und versilberter Bronze, die der berühmte Alfons Mucha genau 1900 in Paris schuf, etwas Besonderes ist, das spürt jeder, der davor steht.
Ob Sie allen gefällt, hörte ich da nicht das Wort Kitsch? Das ist alles nicht wichtig, aber sehr wichtig ist, daß sie Eigentum des Badischen Landesmuseums ist, wozu wir umgangssprachlich immer Schloßmuseum sagen. Herrin im eigenen Haus also und Symbol für die Ausstellung auf Plakat und Katalog. Keine schlechte Karriere, muß man da konstatieren, aber fragt sich gleich weiter: „Was trägt sie da auf dem Kopf?“ Das ist doch ein Ei, wieso das? Das berühmte Ei ist doch von Fabergé, obwohl man gleich von den Fabergé-Eiern sprechen muß, deren Ruhm um 1900 gerade ganz leicht überschritten waren. Macht das Ei in Paris dem russischen Konkurrenz?
Denn daß die Fabergé-Eier aus Sankt Petersburg stammen und nicht aus Paris, wissen eben auch nicht alle, dabei wird dies leicht verständlich, wenn man weiß, daß in der russisch-orthodoxen Kirche wie übrigens eigentlich auch in der Katholischen, Ostern das heiligste der Feste ist. Und das Ei als Beginn von etwas Neuem, das Ei, aus dem Leben entsteht, wurde zum Symbol für die Vielfältigkeit des Lebens, der Natur. Und so begreifen wir auch das Ei auf dem Haupt der Schönen, das zudem in einem Nest ruht, das eher an eine Befestigung eines Globus denken läßt als an die Spitze einer Krone, wie hier. Schaut man nämlich genau hin, dann sieht man, daß die Dame gekrönt ist und der Kurator läßt uns wissen, daß Mucha hier historisierend gearbeitet hat. Es soll sich um eine Krone aus dem Bereich der oströmischen Herrscherinnen handeln, also Byzanz, Ostrom, Konstantinopel. Das paßt doch blendend zu unserer Interpretation mit dem Ei!
Fortsetzung folgt.
Foto:
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Info:
18.12.2021 –19.6.2022
„Göttinnen des Jugendstils“
Sonderausstellung, Schloss Karlsruhe
Di – So, Feiertage 10 – 18 Uhr,
25. und 31.12. geschlossen, 1.1. ab 13 Uhr geöffnet
12 Euro, erm. 9 Euro, Kinder 4 Euro
www.landesmuseum.de
Es gibt einen Katalog, den wir noch vorstellen