Claudia Schulmerich
Karlsruhe (Weltexpresso) – Das ist das intellektuelle sowie künstlerische Problem am Jugendstil, daß man, wenn man einmal mit den Grundlagen seiner Entstehung und den unterschiedlichen Formen, zu denen er gefunden hat, angefangen hat, kaum aufhören kann. In der Ausstellung werden Sie zu allem, was jetzt kommt, auch Beispiele in Form von Skulptur, Gemälde, Zeichnung, Schmuck, Keramik, Kleider, Hüte, und auch Möbel , Bühnenbilder und die Architektur, ganze Häuser, ja Häuserfluchten, die drei Letzteren jedoch nur auf Fotografien und auf dem Bildschirm.
Das heißt nichts anderes, als daß der Jugendstil im Sinne des Wortes, den Stil für alle Lebensbereiche vorgab, es war, wenn wir das ernst nehmen, der letzte Stil, der es unternahm, einem Zeitalter – hier 20-30 Jahre – den ästhetischen Stempel aufzudrücken, so wie es den Barock gab, auch das Rokoko und viele andere, im 19. Jahrhundert auf jeden Fall das Biedermeier. Alle Versuche, in den Zwanziger Jahren mit dem Bauhaus eine zeitgemäße Antwort zu geben, gehen zwar in die Richtung eines einheitlichen Stils, haben aber nie die Breite und Durchsetzungsfähigkeit erreicht wie der Jugendstil, der zudem wie die großen Stile ein europäisches Phänomen ist. Wir wissen zu wenig davon, daß beispielsweise in Riga ganze Häuserfluchten, eine Straße insbesondere, aber auch die darum, reinster Jugendstil sind, in voller Pracht erhalten, wo in Mitteleuropa vieles in Schutt und Asche lag. Die Häuser sind übrigens voll im floralen Stil, Art Nouveau und auch in Wien, wo der Sezessionsstil eigentlich strenger ist, herrscht in den noch immer zahlreich erhaltenen luxuriösen Wohnhäusern mit fünf Stockwerken und auf jedem Stockwerk zwei Wohnungen von 500 Quadratmetern der französische Jugendstil vor. Aber in der Inneren Stadt können Sie den typisch Wiener Stil mit dem Schmuck an der Außenfassade sehen. Selbst in Frankfurt gibt es noch heute eine Jugendstilstraße, bzw. einen Abschnitt dieser Straße wo auf beiden Seiten und zwar durchlaufend, also keine Villen, sondern Häuserfluchten im Jugendstil prangen. Das erkennt man meist an der Fassadengestaltung, wobei die Giebelgestaltung eindeutig auf die Gotik zurückgeht. Hier in der Ausstellung sehen Sie im Bild Häuser aus Karlsruhe, die heute noch Jugendstil ausstrahlen.
Als in den Siebzigern der Jugendstil eine neue Karriere startete, auf den Flohmärkten die scheußlichsten Vasen neben den schönsten standen und überhaupt Kleinmöbel in Form von Stelen für Blumentöpfe und anderes Brauchbare uns massenhaft vor Augen kamen, haben wir zumindest ein wunderschönes Fischbesteck in reinstem Jugendstil erworben, Bilder auch, und auch ein . Es gab sozusagen nichts, was dem Gegenstand nicht ästhetisch den Jugendstil auftrumpfte, was einfach für das Einverständnis einer großen Anzahl von Menschen mit diesem Stil spricht, denn auch er unterlag und unterliegt dem kapitalistischen Marktgeschehen. Doch, da sprechen wir von Massenware. Die werden Sie in dieser Ausstellung nur selten sehen, um so stärker fällt er auf
Wenn Sie beispielsweise in einer Vitrine doch einigermaßen fassungslos eine Menge von Zigarettenpackungen im Jugendstil erblicken, die alle von einander unterschieden dennoch ein gleiches Stilelement auszeichnet. Spätestens hier muß ich einfach auf das Besondere dieser Ausstellung verweisen, die im besten Sinne eine kulturgeschichtliche ist. Kunstausstellungen haben wir viele, gerade in Frankfurt derzeit mit Rembrandt und besonders hinreißende, aber Kulturhistorisches ist nicht oft zu sehen. Gut, die sind meist in Museen Angewandter Kunst, aber das ist natürlich Quatsch, sie allein dahin zu ‚verbannen‘, denn in Karlsruhe sehen Sie, daß an den Wänden Gemälde hängen, die in jeder Kunstausstellung, die auf sich hält, auch hängen. Der Jugendstil hatte insbesondere in England mit den Präraffaeliten Vorläufer, insbesondere Edward Burne-Jones hat zusammen mit William Morris dem altbackenen Wandteppich eine neue Form gegeben: in der Ausstellung hängt eine Version des französischen Rosenromans, wo der jungedstilige Pilger, der Icherzähler, die überdimensionierte Rose erblickt, in deren Mitte das Profil der Geliebten. Hier geht es weniger um konkrete Personen, sondern Allegorien, die leicht eingängig sind. Der Wandteppich hat zudem in England eine stärkere Tradition, denken Sie nur an die herrlichen Raffaelkartons in London, Vorlage der Teppiche, die allerdings schon 1623 in königlichen Besitz kamen.
Noch rasch ein Wort zur Kooperation, die zu dieser Ausstellung führte. Es haben sich das Badische Landesmuseum zusammengetan mit dem uns unbekannten Allard Pierson – Sammlungen der Universität von Amsterdam und dem Braunschweigischen Landesmuseums. Das ist verständlich, angesichts des konkurrierenden Marktes von Ausstelllungenobjekten, sprich Ausleihen. Wenn das Frankfurter Städel aufgrund seiner Museumsqualität eigentlich alle transportfähigen Kunstwerke zur Ausleihe erhält, haben es kleinere Institutionen schwer. Sicher hilft ein Zusammenschluß insofern,a ls drei Museen erstens mehr Material aus eigenen Beständen zusammenbringen, aber auch eher Leihgaben aus anderen Häusern bekommen.
Forsetzung folgt
Fotos:
©Badisches Landesmuseum
©latvia.travel
© Sir Edward Burne-Jones und William Morris, Wirkteppich „Der Pilger im Garten oder das Herz der Rose“, Entwurf: London, vor 1896, Ausführung: Merton Abbey, London, 1901, Unikat, Wolle, Baumwollkette, Seide, gewirkt, gestickt, Badisches Landesmuseum © Badisches Landesmuseum, Foto: Th. Goldschmidt
Info:
18.12.2021 –19.6.2022
„Göttinnen des Jugendstils“
Sonderausstellung, Schloss Karlsruhe
Di – So, Feiertage 10 – 18 Uhr,
25. und 31.12. geschlossen, 1.1. ab 13 Uhr geöffnet
12 Euro, erm. 9 Euro, Kinder 4 Euro
www.landesmuseum.de
Es gibt einen Katalog, den wir noch vorstellen
©Badisches Landesmuseum
©latvia.travel
© Sir Edward Burne-Jones und William Morris, Wirkteppich „Der Pilger im Garten oder das Herz der Rose“, Entwurf: London, vor 1896, Ausführung: Merton Abbey, London, 1901, Unikat, Wolle, Baumwollkette, Seide, gewirkt, gestickt, Badisches Landesmuseum © Badisches Landesmuseum, Foto: Th. Goldschmidt
Info:
18.12.2021 –19.6.2022
„Göttinnen des Jugendstils“
Sonderausstellung, Schloss Karlsruhe
Di – So, Feiertage 10 – 18 Uhr,
25. und 31.12. geschlossen, 1.1. ab 13 Uhr geöffnet
12 Euro, erm. 9 Euro, Kinder 4 Euro
www.landesmuseum.de
Es gibt einen Katalog, den wir noch vorstellen