frauenkorperDer Blick auf das Weibliche von Albrecht Dürer bis Cindy Sherman. Ausstellung Kurpfälzisches Museum Heidelberg bis 20. Februar 2022, hier: Begleitband

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn Corona nicht wäre, wäre ich schon lange, seit dem 24. Oktober nach Heidelberg gefahren, um die Ausstellung FRAUENKÖRPER zu sichten. So aber soll wenigstens der Begleitband Aufschluß über Konzeption und Inhalte geben. Das wurde auch deshalb spannend, weil wir gerade FRAUEN IN DER KUNST besprochen hatten, beide Bände im gleichen Verlag Michael Imhof erschienen. Das für uns Sensationelle war nun, daß wir auf den 243 Seiten mit mindesten einer Abbildung pro Seite keine einzige Doublette mit den Gemälden und Skulpturen des Kunstbandes fanden.

So vielfaltig und häufig sind die Darstellungen von Frauen, daß sie auf eine breite Auswahl gleichwohl kunstvoller Frauenbildnisse zurückgreifen können. Allerdings beschränkt sich die Heidelberger Ausstellung auf den Begriff FRAUENKÖRPER, was zugleich eine Ausweitung ist, denn der Frauenkörper wird nun auf seine verschiedenen Aspekte hin viel detaillierter untersucht. Da findet der Begleitband eine interessante, ja spannende Variante! Oft ist ja das Problem kunstgeschichtlichen Hintergründen und Erklärungen von Ausstellungsobjekten, daß sie eingebettet in Essays für den Ausstellungsbesucher ununterbrochenes Blättern bedeuten, um sie in Katalogen wiederzufinden – oder es wird einerseits in einem theoretischen Teil die jeweilige Kunst ‚abgehandelt‘ und dann folgt ohne weitere Erläuterungen ein Bildteil.

Hier nun wird doppelt gearbeitet! Nach einem Vorwort vom Herausgeber, folgen vier kunsttheoretische Ausführungen mit erklärender Bebilderung

SCHÖNHEIT UND VERFÜHRNUG. Der weibliche Akt von Dürer bis Tischbein von Dagmar Hirschfelder
FRAUEN UND MÄNNER ZWISCHEN BIBEL UND BIOLOGISMUS. Geschlechterdiskurse von der Antike bis ins frühe 19. Jahrhundert von Andreas Rutz
ZWISCHEN TRADITION UND INNOVATION oder: Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Frauenkörper in der Malerei ab 1900 von Henry Keazor
YOUR BODY IST A BATTLEGROUND. Körperpolitik und weibliche Selbstermächtigung in der Kunst nach 1945 von Alexandra Karentzos.


Und dann werden im KATALOG in differenzierter Unterteilung sechs neue Rubriken gefunden,

KÖRPERIDEALE IM WANDEL
VERFÜHRUNG UND BEGEHREN: DER MÄNNLICHE BLICK
WEIBLICHE IDENTITÄT
SCHMERZ, GEWALT UND BEDROHUNG
MUSE UND MODELL
AKTUELLE KÖRPERDEBATTEN,

denen die Bilder der Ausstellung zugeordnet werden, wobei jedes Bild ausführlich durch Text gewürdigt wird.

Ein solches Vorgehen ist für einen Begleitband zu einer Ausstellung geradezu beispielhaft, weil es beide Interessen befriedigt: mehr über die kunsttheoretischen Hintergründe zu erfahren und alle Ausstellungsexponate unter einer jeweiligen Überschrift wiederzufinden und sie im Detail erkunden und erforschen zu können, das heißt ja auch, die Theorie selbst am Bildbeispiel überprüfen zu können.

Das scheint mir an diesem Band das Wichtigste, weshalb dies so ausführlich dargestellt wurde, obwohl es dann im Hauptinteresse natürlich um die Bilder geht! Und da ist den Machern der Ausstellung aufgefallen: in der heimischen „Sammlung des Kurpfälzischen Museums finden sich zahlreiche Aktdarstellungen unterschiedlicher Gattungen, von Zeichnungen und Graphiken über Gemälde bis hin zu Skulpturen und kunsthandwerklichen Objekten“, denen jedoch zuvor nie eine eigene Ausstellung gewidmet war, die nach Dürers „revolutionären Aktdarstellungen“ nun fünf Jahrhunderte umfaßt. In diesem Zeitraum wird der weibliche Körper sehr unterschiedlich dargestellt und zeigt am Frauenkörper einerseits die Schönheitsideale der jeweiligen Zeit, gewaltige Unterschiede, was Brüste u.a. angeht, aber gleichzeitig auch die Kontinuität, indem Bildtraditionen seit der Antike fortgeführt werden, dabei braucht man nur an die Venus pudica zu denken, wie der generalisierende Begriff lautet, also die schamhafte Aphrodite, die ihren einen Arm vor die Brüste legt und den anderen Arm nach unten führt, damit die Hand die Scham verhüllen kann. Von ihr gibt es grob zwei Modelle: die Kapitolinische Aphrodite und die Venus Medici. So heißt sie, weil eine derartige Skulptur in der Villa Medici in Florenz gefunden wurde. Im Katalog heißt es zur in Heidelberg ausgestellten „Gipsabguß, 19. Jh. nach einem hellenistisch-republikanischen Werk, 3.-1. Jh.v.Chr., Uffizien, Florenz“. Dieses Urbild weiblicher Schamhaftigkeit ist ja auch deshalb so eindrücklich, weil nackte Frauen, werden sie plötzlich für andere sichtbar, wirklich bis heute mit Armen und Händen sich so bedeckend reagieren, andererseits gerade diese Geste die erotische Neugier der Betrachter anstachelt.

Wir können unmöglich die ganze Bandbreite darstellen, wollen aber zum Betrachten motivieren. Neben all den herrlichen überkommenen Darstellungen des weiblichen nackten Körpers, fasziniert uns besonders die Schonungslosigkeit, mit der Maria Lassnig (1919-2014) ihren alternden Körper in ihren „Körpergefühlsbildern“ darstellte. Wenn man sie und auch Louise Bourgeois (1911-2010) noch persönlich erleben durfte, schaut man diese Bilder mit Wehmut und tiefer Verbundenheit an.

Dieser Begleitband zur Ausstellung FRAUENKÖRPER wird genau so wenig ins Regal gestellt wie FRAUEN IN DER KUNST, sondern zum Immer-Wieder-Betrachten und Lesen auffordernd auf den Beistelltisch gelegt.

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Info:
Frauenkörper. Der Blick auf das Weibliche von Albrecht Dürer bis Cindy Sherman, Begleitband zur Ausstellung im Kurpfälzischen Museum Heidelberg, hrsg. von Frieder Hepp, Michael Imhof Verlag
ISBN 978 3 7319 1169 3