Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Was sie draufhat, zeigt auch ein Damenporträt vom 17. 7. 1925, Bleistift auf Papier aus ihrem Zeichenheft und so gekonnt, daß es jederzeit für ein Werbeplakat über die Zwanziger Jahre dienen könnte. Ob diese Könnerschaft mit ihrem Aufenthalt in Paris zusammenhängt. Sie ist nämlich 1925 für mehrere Monate nach Paris gegangen, hat Aktstudien betrieben und eben in Kaffeehäusern Porträts angefertigt.
Ihre Zeichnung Frau und Kind wirkt wie die lebhafte Ankündigung eines Tanzes der Mutter mit ihrem Kind, geeignet für Freizeitgestaltung, einfach schwungvoll bewegter Ausdruck von Lebenslust, während die Damen bei der Teestunde diese Lust wesentlich damenhafter und gelangweilter durchleben, mit einer Serviererin mit gestärkter weißer Schürze, das sieht man auch auf der Bleistiftzeichnung. Wie war das mit den Artemiszeichnungen, ebenfalls sehr bewegt und durchaus in Richtung Amazone, während man Diane auf der Jagd, keine Ahnung, warum einmal die griechische Göttin, dann ihre römische Nachahmerin, nur schwer unter den skizzenhaft dargestellten Gestalten unterscheiden kann, in einer kleinen Bleistiftzeichnung von 1926, die aussieht, als hätte sie ein großer Künstler hingeweht. Das möchte ich im Original sehen!
Zwischen den Stühlen
1925-27 geht sie zurück nach Wien und wird „Kunststudierende“. Ihre Arbeiten dieser Jahre zeigen die Bandbreite ihrer formalen Ausdrucksmöglichkeiten, weshalb der Titel zwischen den Stilen absolut stimmt. Aber es fällt einem doch auch gleich der Ausdruck 'zwischen den Stühlen' ein. Ida Maly fand keinen Ort, wo sie sitzen bleiben, wo sie arbeiten konnte, denn daß sie einen künstlerischen Drang hatte, das zeigen ihre Bewegungen in Mitteleuropa, die auf Vervollständigung ihrer künstlerischen Möglichkeiten aus waren. Auch wenn man so wenig über ihr eigentliches Leben weiß, erkennt man ihr Wollen. Sie wollte Künstlerin sein und sie war es auch. Nur hatte sie kein Netz und keinen festen Stuhl.
1928 kehrt sie im März nach Graz zurück, wohnt erst bei ihrer Schwester Paula Maly und wird am 21. August in die erwähnte Anstalt für Geisteskranke „Am Feldhof“ eingewiesen, wo sie zwölf Jahre lebt und wie oben erwähnt, auch malen und zeichnen kann, wenngleich in kleinen Formaten. Und dann muß man mehrmals schlucken, wenn man die Details liest, wie ihr erst am 8. Februar 1941 eine Abstammungsbestätigung ausgestellt wird, nämlich, daß sie – infolge des Anschlusses - Deutsche ist, wobei man sofort denkt, keine Jüdin, denn die wäre 1941 auch sofort abtransportiert worden. Drei Tage später wird sie auf Schloß Hartheim bei Linz gebracht, wo der Familie mitgeteilt wirde, daß sie nicht besucht werden kann und wo sie vermutlich am 20. Februar in der nationalsozialistischen Tötungsanstalt ermordet wurde. Auf dem Totenschein wurde die Todesursache mit 'Pneumonie' angegeben.“
Zwei Sachverhalte möchte ich noch ansprechen, die mit ihrem Werk zu tun haben. Die Auffälligkeit, daß sie sich vieler Stile bediente, ist schon erwähnt worden und man muß zur Klärung hinzufügen, daß keiner dieser Stile außer Mode gewesen war, sie decken die Bandbreite des Anfangs des Zwanzigsten Jahrhunderts ab, existierten alle nebeneinander. Nur hatten sich die einzelnen Künstler meistens für einen der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten entschieden. Wenn man das Buch durchblättert, kann man einfach nicht fassen, wie unterschiedlich die Arbeiten von Ida Maly sind. Und doch gibt es etwas Gemeinsames, sie konzentriert sich auf ein Sujet: auf den Menschen.
Das ist das vielleicht Auffälligste, daß es ihr um die Darstellung des Menschen, fast überwiegend der Frauen geht. Bei zwei Aktdarstellungen (leider liegt mir das Bildmaterial nicht vor, das linke als Notlösung, zeigt eine der Arbeiten, wo man nicht eindeutig Mann oder Frau identifizieren kann, ebenso wie beim Titelbild), beide aus dem Jahr 1923, Aquarell auf Papier (im Druck könnte es auch ein Ölgemälde sein), sieht man einmal eine eher impressionistische Darstellung einer sitzenden Schönen in der Natur, richtig hübsch und dann eine stehende Nackte, nein, ich würde nicht von Expressionismus sprechen, aber doch um die Auflösung von Konventionen der Darstellung, von einer schroffen, kühlen Farbgebung, einem dunklen Hintergrund, aus dem das grünliche Fleisch hervortritt, eine absolut interessante Arbeit. Mir persönlich gefällt übrigens – außer der oben erwähnten hübschen Skizze der Dame mit Pelz im Café - das 'Porträt Martha Newes vom 25. 7. 1917, klassisch impressionistisch und eine solche Liebe zur Porträtierten ausstrahlend, die die Freude durch ihr Lächeln zurückgibt, daß es einen glücklich macht.
Doch wie ich schon andeutete, ich finde ihre eigentliches Talent in der eher karikaturhaften Darstellung von Typen, wo sie mit einem Strich eine Haltung, ein Gefühl oder eine Absicht zum Ausdruck bringen kann.
Der zweite Aspekt, auf den ich abschließend eingehen möchte, ist der Zusammenhang von Geisteskrankheit und künstlerischer Arbeit, die für mich, um das ganz deutlich zu sagen, im Werk von Ida Maly nicht vorhanden ist! Sie ist wegen Schizophrenie eingeliefert worden. Wir wissen nicht, was Menschen, die mit dem Leben, hier mit dem sich durch Arbeit Erhalten Müssen, nicht zurecht kommen, passiert. In Schloß Hartheim befindet sich heute eine Genozidgedenkstätte für „die 30 000 Menschen, die zwischen 1940 und 1944 in der Gaskammer der Tötungsanstalt den Tod fanden.“ Dort erinnert eine Dauerausstellung an dieses Grauen und auch Ida Maly wurde in einer Sonderausstellung gewürdigt. Kuratorin Anna Lehninger hält sich gewissermaßen heraus, was ich richtig finde, und erwähnt nur, daß sich die Sammlung Prinzhorn in Heidelberg des Themas Euthanasie und deren Auswirkungen auf die eigene Geschichte annimmt. „Von dem Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn 1920 gegründet, ist sie eine der bedeutendsten Sammlungen damals sogenannter 'Irrenkust' aus psychiatrischen Anstalten in ganz Europa – inzwischen wurden 21 Künstler'innen der Sammlung als Euthanasie-Oper identifiziert und gewürdigt.“
Ich weiß, wovon die Autorin spricht, weil ich nicht nur die Sammlung Prinzhorn, sondern auch diese (und andere) Ausstellungen kenne und wirklich Hochachtung, hier vor allem vor Thomas Röske habe, der seit langem dort arbeitet. ABER die dort gezeigten Werke haben in völlig anderer Weise mit dem Leben der Gemarterten zu tun. Natürlich gibt es kein Kriterium, warum ein landläufiges Porträt zum Beispiel von einem Künstler ohne oder von einem mit Behinderungen gemalt wurde. Aber es gibt für die meisten Arbeiten von Menschen mit mentalen und/oder geistigen Problemen/Krankheiten in Heidelberg eindeutige Anzeichen von Wahn oder sonstiger Festlegung von Malweise oder Thematik. Eines der offensichtlichsten wäre Horror Vacui, also Bilder, in denen kein Zentimeter Platz für Leere sein darf, weil Leere Angst macht, muß sie gefüllt werden. Das war jetzt nur ein Beispiel, es gäbe noch andere, die für mich alle in den im Buch abgebildeten Werken nicht zutreffen. Dabei fällt mir Gugging ein, vor den Toren Wiens, besser: Klosterneuburgs,wo es ebenfalls unter der Überschrift "Art brut und Psychiatrie" eine große Sammlung und viele Ausstellungen der dortigen Insassen gibt.
Zurück zu Ida Maly. Das sind einfach gute Arbeiten und man muß denen, die Ida Maly ans Licht der Öffentlichkeit brachten, wirklich danken.
Das gilt für uns, die wir in Coronazeiten nicht nach Linz konnten, wo die Ausstellung nun zu Ende ging, auch für dieses Kunstbuch, das wir ungern Katalog nennen, weil es die erste Biographie, der erste Werkkatalog ist, für den wir auch dem Verlag dankbar sind.
Fotos:
©lentos.at
Info:
Ida Maly 1894-1941, hrsg. von Hemma Schmutz, Anna Lehninger, Publikation anlässlich der Ausstellung IDA MALY, ZWISCHEN DEN STILEN im Lentos Kunstmuseum Linz, 22. Oktober 2021 bis 9. Jänner 2022
ISBN 978 3 7319 1137 1