„Die Erfindung des Bildes. Frühe italienische Meister bis Botticelli“ im Bucerius Kunst Forum in Hamburg, Teil 2,
von Claudia Schulmerich
Hamburg (Weltexpresso) – Ja, wir waren schon in Altenburg, wo die 40 Wunderwerke dieser Ausstellung in Hamburg herkommen, haben die rund 200 Exponate zählende Wundersammlung in Sachsen gesehen, sind nach Paris gefahren, um dort eine Auswahl zu erleben und jetzt nach Hamburg, wo endlich auch an deutscher Stätte das Wunder vom Lindenau-Museum Einzug gehalten hat. Warum wir so schwärmen, hat damit zu tun, daß Sie hier auf einen Schlag verstehen, was passiert ist, als aus dem herkömmlichen Andachtsbild die Maler nach und nach den Goldgrund entfernten, um die wirkliche Welt zu zeigen, aber überhaupt in Bildern eine Fabulierlust entwickelten, die das biblische Geschehen der Welt in Bildern nahebringen sollte.
Tatsächlich zeigt diese Ausstellung in einem Überblick, was damals alles gleichzeitig geschah, nachdem die mittelalterliche Kunst das Starre, das Heroische, das Sakrale in Form und Inhalt hochgehalten hatte. Auf einmal wird die Maria lieblich und weich, sie zeigt ihre Tränen und auch ihr Sohn wird als Schmerzensmann in seiner menschlichen Eigenschaft gezeigt. Das alles diente einem Zweck: dem Mitfühlen, der Nähe zu Gott über Empathie und ein Gefühl des Miteinanders auch der Menschen hienieden. Und später wurde daraus die Devotio moderna, eine neue Frömmigkeit, die den einzelnen mit Gott im Gespräch verband. Tatsächlich also muß man sich vor den Bildern mit der Zeit beschäftigen, aus der heraus eine Kunst sich wandelt, die hier so grundsätzlich und grandios vorgezeigt wird. Und die mit den Altartafeln überhaupt eine neue Art der Gottesanbetung in den Kirchen gewinnt.
Warum diese Altarretabeln, die in Italien erst einmal eine Großflächigkeit gewinnen, bevor sie in Flügeln zerteilt und zu Wandelaltären werden, überhaupt entstehen können, hat mit dem 4. Laterankonzil in Rom 1215 zu tun. Damals wurde der Priester, der zuvor hinter dem Altar mit dem Gesicht zur Gemeinde stand, vor den Altar versetzt, damit er – die Gemeinde im Rücken – wie diese zu Gott aufsehe und in der Eucharistie Wasser zu Wein und die Hostie zu Jesu Fleisch werden lasse. Den leeren Platz hinter dem Altar nahmen nun Altarbilder ein, immer größere, immer vielfältigere und Bilder, die nicht nur eine heilige Person zeigten, sondern das gesamte Geschehen um die Menschwerdung sowie die Gottwerdung Christi.
Mit diesem Wissen erklärt sich auch, weshalb „die Erfindung des Bildes“ explosionsartig vor sich geht. Auf all die anderen Komponenten, wie den Raub byzantinischer Kunstschätze infolge der Eroberung und Plünderung des christlichen Konstantinopels durch die Venezianer auf dem Vierten Kreuzzug können wir hier nicht eingehen. Aber die Ostkunst kam in den Westen und beeinflußte durch ihre Vielfalt auch die herkömmliche Kirchenkunst. Allein die Festtagszyklen oder die Heiligenviten waren eine Fundgrube für die Notwendigkeit, in Bildern Geschichten zu erzählen.
Diese Freude am Erzählen zeigen das früheste Exponat der Ausstellung, Guida da Sienas „Szenen aus dem Leben Christi“ um 1270/80. Dieser stammt aus Siena wie der große Duccio und man sieht den vier Tafeln so richtig an, daß er noch üben muß, die Menschendarstellung auf Bildern in einen Zusammenhang zu bringen. Sieht man sich unter diesem Gesichtspunkt beispielsweise die Geißelung an, so sieht man drei Gestalten, die wie auf einer Bühne ihre Rolle spielen. Für Italien später eher ungewöhnlich, daß Christus derartige Blutspuren trägt. Der italienische Christus wird nie so geschunden wie einer nördlich der Alpen. Schauen Sie sich von Pietro Lorenzetti „Christus als Schmerzensmann“ um 1340 an und Sie sehen, wie lieblich der Gottessohn auch mit den Wunden noch wirkt.
Auch in den diversen Kreuzigungsbildern wie Bernado Daddis um 1345/48 oder der von Lorenzo Monaco um 1404/07 haben Sie stets den eleganten Gekreuzigten, auch noch bei Luca Signorelli im Jahr 1507/08 und der Kreuzigung von Lorenzo Costa um 1483 ist er unversehrt und hat nur größeren Leidensdruck in der Miene. Überhaupt diese Kreuzigungen, die in Italien klein und fein bleiben, mit wenig Bildpersonal, während in Deutschland viel Volk nach und nach Golgatha bevölkert. Man möchte zu jedem der Bilder die dazugehörige Geschichte nacherzählen und daß man den Heiligen Hieronymus in beiden Versionen gebracht hat, für die er wichtig wird, hat uns gut gefallen: einmal als Ausdruck der neuen Frömmigkeit als Büßer mit dem Stein in der Hand von Fra Filippo Lippi um 1450/60 , ein andermal von Giovanni del Biondo 1370 als Kirchenheiliger mit dem Kardinalshut auf dem Kopf und der aufgeschlagenen Vulgata, die er vorzeigt. Der Löwe ist jeweils dabei.
Wir finden es gut und richtig, daß die Ausstellung mit 40 Werken im Fassungsvermögen der Betrachter bleibt. Diese Bilder, viele klein und voller Handlung, muß man sehr genau ansehen, um den Detailreichtum überhaupt zu entdecken, um die Liebe, mit der gemalt wird, nachvollziehen zu können und wie mit der Perspektive, mit Licht und Schatten, mit Vorder- und Hintergrund, mit der Natur und dem Drumherum gespielt wird, wie es der Maler sich als Kunstfertigkeit einverleiben will und wird.
Zu kurz kommen jetzt die Angaben zu dem Mann, der frühzeitig die Qualität dieser frühen Malerei erkannt hatte. Ähnlich wie Passavant in Frankfurt, der für das Städel ebenfalls – aber in weit geringerer Zahl - frühe italienische und niederländische Kunst angekauft hatte, hat der Gelehrte Bernhard August von Lindenau (1779-1854) aus Altenburg in Sachsen in seinen Reisen in Italien und durch den Kunsthandel eine Sammlung zusammengestellt, die einzigartig nördlich der Alpen ist. Gut, daß sich das herumspricht.
bis 8. Januar 2012
Katalog: Die Erfindung des Bildes. Frühe italienische Meister bis Botticelli, hrsg. von Ortrud Westheider und Michael Philipp, Hirmer Verlag 2011
Wer der Sache auf den Grund gehen möchte, kommt am Katalog nicht vorbei. Tatsächlich kennen viele die frühe italienische Malerei kaum. In der Hamburger Kunsthalle ist sie nicht gesammelt, wie auch nicht in München, denn weder Bürgerstädte, noch Residenzen war diese frühe Malerei wichtig, anders als den ersten Museumsdirektoren im Frankfurter Städel, anders als denen in Berlin und schon völlig anders als dem Bernhard August von Lindenau aus Altenburg. An ihm als Beispiel kann man viel lernen, mit welchem Bildungsauftrag der Aufklärung er diese ersten autonomen Bilder zu sammeln begann. Der Katalog untersucht diese über 200 Jahre Malerei unter verschiedenen Fragestellungen, einschließlich der Kunst und Politik der oberitalienischen Stadtstaaten, was als Chronologie aufbereitet sehr informativ das Gleichzeitige wie auch das Vorher und Nachher klärt. Auch wer nur die ausgestellten Werke noch einmal anschauen und lesen will, was Kunsthistoriker dazu sagen, kommt auf seine Kosten. Allerdings bleiben die strenger an der wissenschaftlichen Forschung als unser kecker Blick es sich erlaubt. So finden Sie bei besagter Blonden die Aussage von einer „Schönen“, einen deutlichen Hinweis auf das Hintergrundbild als Florenz und die Aussage, es müsse sich bei der Unbekannten um eine Dame höheren Ranges gehandelt haben, denn das Halbfigurenbild ist großformatig. Aber dann lesen wir noch, daß die Zuschreibung an Botticelli nicht gesichert sei und auch die Datierung ungewiß. Sagten wir's doch, man muß sich einen eigenen Reim machen. Aber besser auf dem Hintergrund der jeweiligen Forschung.
Mit freundlicher Unterstützung des Maritim Hotel Reichshof in Hamburg, ideal gelegen gegenüber dem Hauptbahnhof und der Hamburger Kunsthalle, nahe dem Bucerius Kunst Forum und den anderen Museen. Für uns hat dies Hotel den Charme des Unterwegseins von ehedem, mit großzügigem Zuschnitt des Hauses und ebensolchen Zimmern und Bädern mit hohen Decken. Zudem bieten ein Schwimmbad und Saunen den seelisch-körperlichen Komfort, der ausstellungsgestreßten Menschen äußerst wohltut. Daß dann noch ein Businesscenter für kostenlosen Internetzugang sorgt und dafür, daß man in Ruhe seine Artikel redigieren und in die Zeitung einsetzen kann, ist dann noch das I-Tüpfelchen.
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