Bildschirmfoto 2022 05 02 um 02.54.35Spannende Ausstellung bis 22. Mai im Frankfurter Museum Giersch der Goethe-Universität

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das hat System. Daß nämlich erst in den Zwanziger Jahren des neuen Jahrhunderts allerorten Ausstellungen ans Licht bringen, welch reiche kulturelle Landschaft nach dem Ersten Weltkrieg in den damaligen Zwanziger Jahren, früher ohne viel Wissen, die Goldenen genannt, in Deutschland entstanden war, was von den Nazis ab 1933 radikal abgelehnt, verleumdet, in die Fremde geschickt, verbrannt oder schließlich sogar deportiert und ermordet wurde. Nicht ‚es‘, sondern Menschen.

Hundert Jahre später beschäftigen wir uns allerorten – nein, immer noch nicht genug, aber mit starken Ausstellungen – mit der Frage, wie 1933 und der Bruch mit der Zivilisation in Deutschland möglich wurde. Dazu gehört aber auch das Wissen um die blühende Kultur der Zwanziger, was diese Ausstellung fulminant beweist. Wir Heutigen, gerade wir Frauen denken ja oft, daß wir es waren, die sich in Männerdomänen vorgewagt, den Mund aufgemacht oder sogar selbst etwas produziert haben, dabei gilt das Bild vom Zwerg, der auf den Schultern von Riesen weiter schauen kann als dieser, auch hier. Denn die beiden Schwestern, um die es in dieser Ausstellung geht, haben nicht lange räsoniert, sie haben gemacht und sie haben gelebt.

Das Museum Giersch hat wieder einmal seinen Anspruch, „unbekannte Künstlerinnen und Künstler der Rhein-Main-Region vorzustellen und an ihr Leben und Werk zu erinnern“, so die Direktorin des Museums Birgit Sander im Katalog, phänomenal eingelöst. Für jemanden wie mich, der in Frankfurt in einem reichen kulturellen Umfeld aufgewachsen ist, absolut beschämend, die Fotografinnen und ihr damals über Deutschland hinaus bekanntes Frankfurter Atelier nicht gekannt und wenn die Namen, Nini Hess und Carry Hess, doch die Dimension ihres Schaffens nicht erkannt zu haben. Sagen wir das Unsagbare gleich, eine der beiden Schwestern, Nini, wurde nach Auschwitz verschleppt, wo sie vermutlich 1943 ermordet wurde. Carry Hess konnte sich nach Frankreich retten und dort überleben und ging dann in die Schweiz. Aber bedrückend, lesen zu müssen, wie sie sich in der Nachkriegszeit mit deutschen Behörden herumschlagen mußte, um wenigstens einen geringen finanziellen Ausgleich zu erhalten.

Ihr Fotoatelier am Rathenauplatz war 1938 von den Nazis zusammengeschlagen worden und erst einmal ging deren Absicht, alles Jüdische auszumerzen, auf. Aber die Geschichte mahlt langsam und wir sind in einer Phase der Wiedererinnerung und Wiederentdeckung, die nun auch nötig macht, sich wirklich mit dem Werk zu beschäftigen. Mir persönlich geht es immer so, daß ich dann erst einmal Wiedergutmachungsarbeit an den Menschen leisten möchte, über sie viel erfahren, sie kennenlernen will. Aber da scheitert man schnell, weil eben der mörderische Wille zur Zerstörung der deutschen jüdischen Bevölkerung und ihrer Kultur mit deutscher Gründlichkeit tabula rasa produzierte. Um so überraschender, wie viel doch vom Werk der Schwestern überlebt hat und nicht nur echte Künstlerinnen zeigt, sondern Spaß macht, in die Welt der Zwanziger einzutauchen, die wir Nachkriegskinder durchaus durch viele Veröffentlichungen goutierten, wobei man erst heute merkt, was nach 1945 ausgeblendet blieb: der Anteil von deutschen Juden.

Das wird nach und nach aufgearbeitet: Wenigstens weiß man, daß es sehr ungewöhnlich war, daß die beiden Schwestern aus dem großbürgerlichen jüdischen Elternhaus eine richtige fotografische Ausbildung erhielten und sich im eigenen Atelier einen Namen machten,wozu gehörte, sich erst einmal – da kann man schon an die frechen jungen Frauen von Vicki Baum und Irmgard Keun denken – einen modernen Namen zu geben, denn die beiden wurden nicht als Nini und Carry geboren, aber das klang jung, modern und international. ABER, um das richtig einzuordnen, das Atelier eröffneten die beiden 1913, wo noch nichts für Frauenstimmrecht und Fortschritt sprach, sondern alles mit dem Ersten Weltkrieg erst einmal den Bach runterging. Sie stiegen gleich mit

Die Ausstellung ist sowohl historisch, wie auch nach Themen gegliedert und bietet in der schönen Villa am Main mit den Fotografien an den ehemaligen Wohnraumwänden auch beides: man kommt den Werken ganz nahe und sie sind mit Überschriften versehen, kleine thematische Einheiten, die einem die Übersicht erleichtern. Am meisten hat mich das Weltläufige überrascht. Das sind ja richtig interessante und gute Fotografien, zum großen Teil über Menschen im Bereich der Kultur, die wir noch heute kennen. Und lustig ging es zu, wie das Bild eines abendlichen Gelages in Frankfurt um 1919 zeigt, als einzige Abbildung von Nini Hess, die ganz links einen Topf auf dem Kopf trägt, was wohl Motto des männerlastigen Abends war.

Was soll man herausgreifen? Die Theaterfotografien des Frankfurter Expressionismus? Denn die Stadt war eine Hochburg der neuen künstlerischen Bewegung, über die Max Beckmann, die dominierende Gestalt der späteren Frankfurter Jahre in einem Brief an seinen Verleger schrieb: „Es ist ganz interessant für mich gerade jetzt hier zu sein, denn Frankfurt und die Frankfurter Zeitung sind eben eine Hochburg des Expressionismus.“ Die Hess-Schwestern hatten also viel zu fotografieren! Und 1927 folgte dann auch die Beckmannfotografie, die ihn so zeigt, wie er sich selbst auch abbildete: als selbstbewußten und um seiner Bedeutung und Wirkung wissenden Mann, mit der Zigarette selbstverständlich. Tolles Bild, das durch seine Grafik und Massigkeit wie ein Gemälde wirkt.

Wer regelmäßig WELTEXPRESSO liest,wird MARIA ORSKA wiedersehen. Der damals sehr bekannten Bühnenschauspielerin hatte Wolfgang Mielke eine fünfzehnteilige Reihe gewidmet (unten der Link zum letzten Artikel). Ihr Porträt von 1925 gilt als Ausweis der neuen Art des fotografischen Porträts, durch Linienführung und Flächenverteilung eine grafische Struktur zu erhalten

Nein, wir können so nicht fortfahren. Denn es gibt so viele bekannte Personen zu entdecken, daß einem das Herz aufgeht. Und die unbekannten sind ja nicht weniger interessant. Es sind also hauptsächlich Porträts, aber auch Versuche, was man mit der Kamera alles machen kann. Witzig z.B. das Zusammensetzspiel 500 FRAUEN NACH IHRER WAHL, weil es mich an unsere Kinderabende erinnerte, wo wir genau solche abstrusen Porträts erstellen, aber als Ganzkörper, der erste zeichnete den Kopf, faltete das Papier, der nächste das Oberteil mit Armen, falten, der dritte schließlich das Unterteil mit Beinen, und dann das gemeinsame Lachen über die Monstrositäten, die herauskamen. Beiden gemeinsame, den 500 Frauen und dem Spiel, ist die Lust auf Veränderung und die Komik des Vorgangs.

Im Ernst, gehen Sie unbedingt in diese feine Ausstellung, die ca. 129Originalfotografien von 27 Leihgebern zeigt. Sie kommen klüger und gut gestimmt wieder heraus. Aber auch kämpferisch mit dem Bewußtsein, was Deutsche Deutschen angetan haben: nie wieder.

Fotos:
Cover
©Redaktion

Info:
Der Katalog zur Ausstellung ist wirklich zu empfehlen. So interessant die Abbildung von Schabtai Prudkin 1927 ist, wäre doch eine Frauenfotografie angemessener gewesen, denn die NEUE FRAU war genau ihr Ding in der FotografieL 
Hrsg. Eckhardt Köhn und Susanne Wartenberg, Die Fotografinnen Nini und Carry Hess, Hirmer Verlag 2022
ISBN 978 3 7774 3696 8

Berichterstattung über Maria Orska
https://weltexpresso.de/index.php/kulturbetrieb/24795-nachwirkung