Philippe Pirotte ist der neue Rektor der Städelschule in Frankfurt
Anna von Stillmark und Annette Wollenhaupt
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Frankfurter Städelschule hat einen neuen Rektor. Er folgt auf Nikolaus Hirsch, der gerade noch im Verbund mit der Frankfurter Messe die LUMINALE angekündigt hatte. Die Städelschule ist die durch Johann Friedrich Städel schon 1817 initiierte Kunstschule, die wie das benachbarte Museum nach ihrem Stifter heißt, und an der beispielsweise Max Beckmann lehrte, denn die Nazis 1933 sofort entließen.
Heute besitzt die Staatliche Hochschule für Bildende Künste weltweites Renommee und konnte den Kulturgeschichtler Philippe Pirotte für das Amt gewinnen. Von 2005 bis 2011 leitete er die Kunsthalle Bern und arbeitete danach als freier Kurator. Zuletzt lebte Pirotte mit Frau und Tochter in Belgien, aber bis heute ist er Adjunct Senior Kurator an der Universität von Kalifornien, dem Berkeley Art Museum und dem Pacific Film Archive.
Für den 41-jährigen gebürtigen Belgier, der seine Rektorentätigkeit offiziell am 1. April aufnehmen wird, ist es eine Ehre, die Nachfolge von Nikolaus Hirsch anzutreten, wie er sagt. Schließlich sei die Städelschule europaweit die einzige Kunsthochschule mit einem solch herausragenden Status und hochkarätigen Künstlern wie Peter Fischli, Judith Hopf, Tobias Rehberger, Willem de Rooij oder Douglas Gordon. Koryphäen auf ihrem jeweiligen Gebiet, „die einfach jeden faszinieren“, so Philippe Pirotte. Es ist ein großer Sprung vom sonnigen Kalifornien ins mitunter bewölkte Rhein-Main-Gebiet.
Noch ist Philippe Pirotte damit beschäftigt, eine passende Wohnung in Frankfurt zu finden, was sich als nicht ganz so einfach erweist. Pirotte mag Frankfurt - für ihn eine Stadt mit großer Institutionendichte, in der man fast alles zu Fuß erreichen könne. Eine eigene Kunstklasse wird er nicht übernehmen, jedoch nach einer Weile Seminare geben. Erst einmal komme es darauf an herauszufinden, wo die Interessen der Studierenden liegen. Beim großen Städelrundgang hatte er Gelegenheit, sie kennenzulernen. Ihre große Wißbegier gefällt ihm, ihre Haltung, die auszudrücken scheint: „Alles was Du weißt, musst Du uns geben.“
Vom Reiz des Kleinen
Als Städelrektor wird Philippe Pirotte auch die Ausstellungen im Neuen Portikus kuratieren. Für ihn ist das ungewöhnliche, von Christoph Mäckler entworfene kleine Ausstellungshaus auf der Maininsel an der Alten Brücke ein ganz besonders interessanter Ort. „Ein seltsames Gebäude, ein Markenzeichen der Stadt“, so Pirotte. „Ich liebe diese Idee des Kleinen. Heute muss alles immer groß sein. Es brauchen aber nicht immer teure Riesenproduktionen sein, auch ein kleiner Raum kann eine große Resonanz hervorbringen“, erklärt Pirotte.
Seine erste Ausstellung im Neuen Portikus wird wohl Arbeiten einer jungen Frau aus den USA zeigen. Mehr gibt Pirotte nicht preis. Künftig aber möchte er, der schon in seiner Berner Zeit den Blick über Europa hinaus richtete und eine Serie von Afrika-Ausstellungen realisierte, im Ausstellungsgebäude Kunst in einen globaleren Kontext stellen und Nachwuchskünstler aus Regionen außerhalb von Europa und den USA nach Frankfurt holen.
Intensive Auseinandersetzung statt Exotismus
Einen anderen Blick auf unser eigenes europäisches Wertesystem verspricht sich der neue Städelrektor davon. So kann er sich vorstellen, anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2015, deren Gastland Indonesien sein wird, einen indonesischen Künstler mit seinen Werken zu präsentieren. Die nötigen Kontakte hat er über seine Frau, eine Halbindonesierin. Wichtig ist ihm dabei die Tiefe der Auseinandersetzung mit dem Gezeigten, und daß man dessen Präsenz nicht als Exotismus oder kosmetische Haltung wahrnimmt. Um dies zu vermeiden, möchte Pirotte eines auf keinen Fall: ein Alleinentscheider sein. Stattdessen plant er eine enge Zusammenarbeit mit Kuratoren aus jenen Ländern, deren Künstler vertreten sein werden.
Kunst ist Nachdenken über das Leben
Zur Kunst und zum Künstlerdasein hat Philippe Pirotte seine ganz eigenen Vorstellungen. Er favorisiere keine einzelne Kunstrichtung, sei sehr offen. „Ich weiß nicht, was Kunst ist“, sagt Pirotte, „aber ich spüre es irgendwie, wenn sie passiert“. Haben Künstler per se eine gesellschaftliche, eine politische Verantwortung? „Nein“, sagt Pirotte. „Aber sie können gesellschaftliche Prozesse durchaus beeinflussen, können eine Gesellschaft offener machen.“ Der Beruf des Künstlers sei der schönste aber auch der schwierigste auf der Welt. Kunst zu machen, sei im Grunde ein Nachdenken über unsere Art zu leben. „Kunst“, so Pirotte, „kann ein Vehikel zum Bewahren sein, kann uns herausfordern, Spiegel sein, eine Erklärung oder auch ein Trost.“ Für den neuen Städelrektor ist sie sogar einer der wenigen Gründe, die das Leben wertvoll machen. Umso mehr kann man sich auf einen Philippe Pirotte gefasst machen, der für seine Kunststudenten kämpfen wird, wenn es sein muss. So fordert Pirotte deutlich ein, daß man auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten nicht an der Kunst sparen dürfe. Vor allem nicht im Kunsthochschulbetrieb. „Oft wird zuerst dort gespart, wo die Künstler anfangen. Dabei vergessen die Verantwortlichen oft, dass auch ein Anselm Kiefer oder ein Gerhard Richter einmal klein angefangen haben."