Serie: Die Frankfurter Schirn präsentiert „Niki de Saint Phalle“ bis 21. Mai, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Meine Güte, wie viele Jahre war ich auf Niki de Saint Phalle (1930-2002) neidisch, wenn ich mir es recht überlege, auch eifersüchtig, und das ganz und gar nicht ihrer Kunst wegen, sondern, weil der Mann sie geheiratet hatte, der damals mein künstlerischer, zumindest Halbgott war: Jean Tingeley1925-1991), Meister der kinetischen Kunst., so spielerisch wie technisch hochartifiziell. . Und ich kann bis heute die beiden gar nicht mehr einzeln sehen, zumal seine Kunst die ihre nachhaltig beeinflußte, ob das auch umgekehrt der Fall war, weiß ich zu wenig. Auf jeden Fall gehört in diese Zweisamkeit jemand wie Daniel Spoerri (1930) als guter Freund , diese Gruppe war eben das Gegenteil von moralisierender Kleinbürgerlichkeit, wenn bei Nikis Filmen auch die erste Frau von Tingeley mitspielte, Eva Aeppli (1925–2015) und Tingeley mit ihr arbeitete, als er schon längst geschieden mit seiner dritten Frau verheiratet war.
Ich will damit nur sagen, daß ich mit Niki de Saint Phalle und den anderen des Nouveau Réalisme. groß geworden bin und die Ausstellung in der Schirn das abbildet, was ich als künstlerischen Ausdruck einer durchaus exzentrischen Frau miterlebt hatte, die sich Männern ebenbürtig fühlte, auch wenn sie sich nicht einmal so verhielt, aber verschiedene Rechnungen mit ihnen offen hatte. Männer hatten in der Kunst das Sagen, aber Frauen kamen mächtig ins Spiel, Frauen, die eigenständig lebten und künstlerisch arbeiteten, wenn ich an die viel ältere Louise Bourgeois (1911 – 2021) denke, an Maria Lassnig (1919 – 2014), lange Zeit Rebecca Horn( 1944), Marina Abramović (1946) oder Frida Kahlo (1907-1954). Für sie alle galt und gilt, daß ihr Leben viel mit ihrer Kunst zu tun hatte. Ist das nicht immer so? Nach 500 Jahren spricht dann keiner mehr davon, z.B. daß Albrecht Dürers Vater 16 Jahre vor der Geburt des deutschen Künstlers schlechthin, 1471 als Ungar namens Ajtós nach Nürnberg gekommen war oder welch später berühmter Künstler als Waisenkind erst einmal ein Niemand war.
Diese - für mich – Selbstverständlichkeit ist es aber nicht. Denn in der Einführung in die Ausstellung durch die Kuratorin Katharina Dohm (links mit dem Leiter der Schirn Sebastian Baden) während der Pressekonferenz fehlte jeglicher Hinweis auf den Zusammenhang von Mißbrauch, genauer Vergewaltigung durch ihren Vater als Elfjährige, den St. Phalle selbst im Film DADDY 1972 zum Thema macht, auch Anfang der 1990er öffentlich darüber sprach. Das Fehlen dieser biographischen Hintergründe zur Erklärung ihrer Kunst, begründete die Kuratorin damit, daß sie das Werk als Werk vorstellen wolle, weil solche Beschädigungen, wie sie Niki de Saint Phalle widerfahren seien, leicht den Blick auf das Werk verstellten. Ihr aber gehe es davon, das Gesamtwerk dieser Künstlerin, die erst mit den Nanas Popularität und diese dann gewaltig erfahren habe, zu würdigen.
Das ist ehrenwert, aber sinnlos. Denn allein die Schießbilder und Installationen, mit denen sie 1961 künstlerisch Furore machte, fordern ja geradezu psychoanalytische Deutungen heraus. Woher die Wut, woher die Wut auf Männer, auf ihren Vater, von der sie immer wieder spricht und diese Wut als ihren Treibstoff bezeichnet. Und sicher wäre keiner genuin europäischen Künstlerin die Idee gekommen, das Gewehr als neues Instrument in der Kunst einzuführen, aber Niki wuchs in den USA auf, wo das Schießen sozusagen eine Kulturtechnik ist. Ein kreativer Akt, in einer Assemblage all das aufzuspießen, was eine Rolle spielt, was mit Gewalt zu tun hat, dies mit weißer Farbe, mit Mörtel zu übertünchen, darauf Farbbeutel zu befestigen, auf die geschossen wird, so daß sich die Farbströme, hauptsächlich Rot, auf der Assemblage verteilen. Ein Happening und ein Ergebnis. Zwei Fliegen mit einer Klappe, sprich: Schuß.
Da ist es doch absolut spannend, die Frage zu stellen, wie es zu dieser Wut, deren Abreaktion im Schießen – herkömmlich für Tod - auf diesen Gegenständen, die meist Rot eingefärbt, dann auch optisch Tod symbolisierten. Ich finde es deshalb nicht ehrenrührig, sondern interessant, ja spannend, Werk und Leben in einen Zusammenhang zu bringen. Ob man in 500 Jahren noch Frida Kahlos Gemälde goutiert , weiß ich nicht. Und ob man dann noch über den Busunfall als Achtzehnjährige sprechen wird, durch den eine Haltestange sich durch ihr Becken und den Rücken bohrte, was ständige Operationen an der Wirbelsäule zur Folge hatte und unerträgliche Schmerzen ein Leben lang, das weiß ich auch nicht. Daß sie dies in ihren Gemälden verarbeitet, ist heute ihr Markenzeichen, wobei es nicht um das was geht, sondern wie sie ihre Gemälde, ihre Schmerzen gestaltet hat. Dies WIE macht die Kunst aus. Weder die Motivation noch der persönliche Hintergrund sind eine hinreichende Bedingung für Kunst. Aber sie sind ein Motor, sich künstlerisch auszudrücken und damit eine heilende Objektivierung der eigenen subjektiven Schmerzen zu gewinnen. Das alles zu wissen ist für Betrachter dieser Kunstwerke schon deshalb interessant, weil es sie motiviert, sich die Werke länger anzuschauen. Ein psychologisches Moment, das Kunstausstellungen nutzen sollen.
Fotos:
©C.S.