theresien„ZURÜCK INS LICHT. Vier Künstlerinnen – Ihr Werke, Ihre Wege“ im Jüdischen Museum Frankfurt, wegen des Erfolges verlängert bis 29. Mai!!!, Teil 4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Fahren wir mit der Künstlerin fort, die am wenigsten in ein Raster von Kunst und Künstlerinnen der Zwanziger Jahre paßt, die selber in ihren Fünfzigern erst einmal so loslegt, daß jeder Amalie Seckbach (1870-1944) für eine Professionelle hält, ja, eine professionelle Künstlerin, weil sie ohne Vorbild, ohne Vorarbeiten, also ohne jegliche Ausbildung anfängt, bildhauerisch zu arbeiten und so eigenwillige Köpfe, Gestalten und Masken formt, daß sie damit Aufsehen erregt und als einzige der vier hier Ausgestellten von der internationalen Kunstwelt wahrgenommen und zum Salon nach Paris eingeladen wird. Welche Ehre. Dennoch haben wir links ein Bild von ihr aus Theresienstadt gesetzt, wohin sie deportiert wurde und wo sie starb.   

neuSie wird als Amalie Buch am 7. Mail 1970 in Hungen geboren, das liegt in Mittelhessen, nördlichste Wetterau und darüber hinaus, als einzige Tochter mit drei Brüdern.  Die Eltern sind wohlhabend, aber als der Vater, ein Landmaschinenhändler, 1890 stirbt, wird die Firma verkauft und Mutter und Tochter ziehen 1902 nach Frankfurt in die Schöne Aussicht. Da ist Theodor W. Adorno noch nicht geboren, aber Amalie müßte das mitbekommen haben, daß Frau Adorno, ihre Vermieterin in Nr. 7 ein Kind bekam, das am 11. September 1903 zur Welt kam. Daß Adornos Geburtsort immer zwischen der Schönen Aussicht Nr. 7 und 9 herumirrt, ist einfach zu erklären. In Nr., 9 war die väterliche Weinhandlung und in Nr. 7 die herrschaftlichen Wohnungen. Auch Arthur Schopenhauser hatte in der Schönen Aussicht gewohnt, starb aber schon 1860. Relativ spät heiratet Amalie am 18. Oktober 1907 den renommierten Architekten Max Seckbach (1866-19229 - für Nichtfrankfurter sollte man hinzufügen, daß Seckbach auch ein im Westen liegender Stadtteil heißt. Kinderlos widmete sie sich sozialen Anliegen und wurde wegen ihrer Hilfsbereitschaft und ihrem Einsatz für das DRK geehrt. Und tatsächlich wurde sie erst mit dem Tod ihres Mannes, man möchte fast sagen: eine eigene Frau. Sie interessierte sich für vieles, war Gasthörerin an der Frankfurter Universität und fand China und den fernen Osten besonders spannend. 

Also tat es auch Japan ihr an und zuvörderst die chinesische und japanische Kunst, die sie zu sammeln anfing. Das ist beides ungewöhnlich, daß sie erst zu sammeln anfängt und erst dann selbst gestaltet und daß sie erst mit dem Schwierigeren, dem Modellieren anfängt und später zu Bildern, zum Malen und Zeichnen übergeht. Zwischen 1926 und 1934 erwirbt sie eine Sammlung von Ostasiatika, die sie berühmt macht und die in mehreren deutschen Museen ausgestellt wird. Und gegen Ende der Zwanziger sind in diesen Ausstellungen auch die ersten Skulpturen von ihr zu sehen, gewissermaßen hineingeschmuggelt. Aber erst als sie 1929 in Belgien den berühmten James Ensor trifft, ist dieser hingerissen von ihren Arbeiten und verhilft ihr zu europäischem Ruhm Er stellt mit ihr gemeinsam aus, vor allem verhilft er ihr zu Kontakten, so daß sie vielfach ausstellen kann. Auch wenn man wenig von Kunstgeschichte versteht, erkennt man bei dem Holzschnitt  Kurtisane oder auch ihren 'Wimmelbildern' den jeweiligen kunstgeschichtlichen Kontext. Das kann hier die Menschenmenge von 1935 zeigen (rechts); erschütternd, daß sie in Theresienstadt dies Motiv 1943 aufnimmt, das einfach ein Ensorsches ist (ganz unten).


Sie ist schon sechzig Jahre, als es so richtig losgeht. Ist das nicht schon für sich eine schöne Geschichte, wie eine im Alter berühmt wird, was sich rückspiegelt, ihr noch mehr Selbstvertrauen und einfach Vertrauen in ihre Hände gibt, Kunst zu erschaffen. Im Katalog kommt die Kunsthistorikerin Sacha Schwabacher zu Wort...Es "werden Aquarelle, ensorPastelle und Oelbilder geboren, die Farb- und Raubsinn zeigen, vor allem die Blumenstilleben. Ob es hochaufragende, dunkle Äste mit starkroten Beeren sind, eine niedrige Vase mit ein paar Veilchen, sonnendurchtränkte gelbe Blütenzweige oder Schlingpflanzenartiges, grünes Gezweig: immer ist eine sensible Frauenhand spürbar, die ihren an Ostasien geschulten Geschmack beweist " (S. 68) 

Bildschirmfoto 2023 02 08 um 21.34.04In der Tat ist diese Frau ein Phänomen. Sie merkt, daß nach der Machtergreifung der Nazis ihre Arbeiten beäugt werden. Doch erst einmal schafft sie Bildnisse, wie dieses von James Ensor (links) aus den Dreißigern. So lautet eine verständliche Theorie, daß sie auch deshalb zur Malerei überging, weil die Bildhauerei stärker auffiel und sie mit Bildern unter dem Radar der Nazis blieb. Das haute erst einmal hin und bis weit in die 30er konnte sie international reüssieren und stellte in Galerien Europas aus. 1936 war sie sogar als einzige deutsch-jüdische Künstlerin in Chicago ausgestellt, zusammen mit den Expressionisten Paul Klee, Max Pechstein, Otto Dix und Emil Nolde, den man heute ja wegen seiner Nazi-Jahren beargwöhnt. Ach, wäre sie doch dort geblieben! Auch, als ihr Bruder Ende 1938 mit Familie nach Kolumbien auswandert, gibt sie ihm zwar ihre ostasiatische Kunstsammlung mit, aber sie selbst bleibt, auch, als sie die Verfügungsgewalt über ihr Bankkonto verliert und erst 1941 beschäftigt sie sich mit Auswanderung. Doch da ist es zu spät, sie wird am 15. September 1942 aus Frankfurt, wo sie 40 Jahre lang lebte, zusammen mit 1367 jüdischen Mitbürgern Frankfurts im dritten und letzten Alterstransport ins Ghetto seck22Theresienstadt deportiert, da war sie 72 Jahre.

Sie durfte 50 kg Gepäck mitnehmen, tatsächlich dachten die Deportierten, in Theresienstadt gäbe es gute Überlebenschancen, denn den Nazis war es gelungen, dies KZ als 'jüdische Mustersiedlung' zu verkaufen. Seckbachs Gepäck bestand zum großen Teil aus Malereibedarf. Erschütternd ihre Bilder von dort anzusehen. Sie bildet erst einmal nicht das Leid ab, sondern als Gegenmodell die Schönheit von Dingen. Sie malt immer wieder Frauenbildnisse, die entweder Masken darstellen oder etwas Maskenhaftes haben. Aber eben auch etwas Strahlendes. Wir haben ihr Bildnis einer schönen Frau, wie man lesen kann am 15.11. 43 in Theresienstadt gefertigt, mit Absicht an den Anfang und das Ende gestellt. In den Unterlagen, Katalog und sonstigen Zuschreibungen findet sich unser Eindruck nirgends. Aber wir haben ihn eben, daß nämlich diese Frauenbildnisse, von denen es mehrere gibt, dem ähneln, was als christliche Mumienporträts in Ägypten, vor allem in Fayyum, im 2. Jahrh. n. Chr. im Sand vegraben wurde. Diese Porträts wurden den Toten auf die Gesichter gelegt. Sie haben immer - wie auch bei Seckbach - stark geschminkte Augen, oft auch die gedrehten Löckchen der römischen Eliten. Eine so kunsthistorisch interessierte und versierte Frau wie Amelie Seckbach könnte diese Mumienporträts gekannt haben. Und wenn nicht, dann spricht das um so mehr für ihre Intuition, malerische Form und Inhalt ins Gleichgewicht zu bringen. 

 

Sie malte auch Bildnisse von Frauen mit Blumen. Sie malte, was ihr in die Finger kam. Wenn man dann hört, daß sie jedes Fitzelchen Papier organisierte, Wachspapier unter ihrer Matratze glättete, Margarinepapier entfettete und auf alles malte, zeigt sich die künstlerische Kraft dieser Frau, die ja auch viel nachzuholen hatte. Am 10. August 1944 starb sie an den Haftbedingungen. 

Man ist einfach traurig und fragt sich jedesmal: warum?

Fotos:
©Redaktion


Info:
Katalog: Hrsg: Eva Sabrina Atlan, Mirjam Wenzel, Zurück ins Licht. vier Künstlerinnen - Ihre Werke. Ihre Werke. Ihre Wege, Kerber Verlag 2022
ISBN 978 3 7356 0856 7