Serie: MAX SLEVOGT: Vier Ausstellungen in Mainz und auf Schloß Villa Ludwigshöhe in der Pfalz, Teil 10
Claudia Schulmerich
Edenkoben (Weltexpresso) - Sommer 1914. Da war Max Slevogt 45 Jahre und auf dem Zenit seiner Laufbahn. Und auch privat hatte das Leben seine Wünsche erfüllt: er konnte das Landgut in Neukastel in der Südpfalz ersteigern, wohin er und seine Frau mit den zwei Kindern Sommer für Sommer fahren wollten. Und nun das: der Krieg. Als er am 2. August im neuen Haus davon hörte, bemühte er sich sofort, als Kriegsmaler an die Front zu kommen.
Damit beginnt diese Kabinettausstellung, die zeigt, daß ähnlich wie die anfängliche Kriegsbegeisterung der Deutschen sich später sogar zur Kriegsabscheu entwickelte, dieser Prozeß bei Slevogt durch seinen Besuch der Front sehr jäh abspielte. Was wir hier am Beispiel des guten Bürgers und gesetzten Malerfürsten Max Slevogt miterleben können, ist also, wie Begeisterung und Schwung zum Kriegsbeginn erst in Zweifel und Lähmung umschlägt und dann in Entsetzen und Hoffnungslosigkeit versinkt. Wir erleben es in den schriftlichen Aufzeichnungen auch, aber wesentlich prägnanter – und das erwarten wir ja auch von einem Künstler – in seinen Bildern. Die sind naturgemäß meist in schwarz-weiß, denn auch ein Malerfürst des Impressionismus betreibt an der Front keine traditionell impressionistische Freilichtmalerei mit der Staffelei. Und doch hatte er alle Malutensilien dabei und kam auch mit fünf Gemälden zurück. Doch bis es dazu kam, daß Slevogt überhaupt das Kriegsgeschehen erlebte und mit dem Pinsel und Stift arbeiten konnte, hatte Slevogt erst eine kleine Odyssee zu bewerkstelligen.
Dazu gleich. Zuerst einmal erleben wir Tag für Tag, wie der Krieg näherkommt: 28. Juli Österreich-Ungarn erklärt Serbien den Krieg. 30. Juli Generalmobilmachung im mit Serbien verbündeten Rußland. 1. August Deutschland erklärt Rußland den Krieg. 2. August Deutscher Einmarsch in Luxemburg. 3. August Deutschland erklärt Frankreich den Krieg. Einmarsch der Deutschen in Belgien. Am 4. August erklärt England Deutschland den Krieg. 5. August Einmarsch der Russen in Ostpreußen. Am 31. August erscheint das erste Heft der patriotischen Zeitschrift KRIEGSZEIT. KÜNSTLERFLUGBLÄTTER.
Da ist Slevogt noch immer zu Hause. Als Soldat war er untauglich und als Kriegsmaler wurden ihm andere vorgezogen, so viele hatten sich für die künstlerische Dokumentation des Kriegsgeschehen an der Front gemeldet. Es brauchte wirklich des in Villa Schloß Ludwigshöhe residierenden Ludwig III., eher aber war es die Fürsprache des Kriegsministers und die der Berliner Akademie, daß ihn zu seinem Geburtstag am 8. Oktober die Genehmigung zum Frontbesuch als Kriegsmaler erreichte. Am12. Oktober reiste er los und wollte zur Bayerischen Armee an die Front bei Arras und Lille, der Weg führte ihn über Antwerpen und andere belgische Städte, was sich in Aquarellen niederschlägt.
Man stutzt und schluckt dann. Denn Löwen in malerischen beige-bräunlichen Tönen, zeigt beim Blick in das Aquarell eine völlige Zerstörung. Wir lesen von den deutschen Truppen, die 248 Zivilisten getötet hatten und die Kathedrale zum Teil und die weltberühmte Bibliothek ganz zerstörten. Das Slevogtsche Aquarell zeigt dies nicht, zeigt nur die Trümmer. Die Art der Darstellung wird sich ändern, weil sich die innere Befindlichkeit des Malers ändert. Das Leid, das er sieht, die zerfetzten Leiber, die Pferdekadaver, das alles ist nichts, was ihn künstlerisch interessiert, ihn zur Darstellung drängt.
Es ist eher umgekehrt. Die Situation widert ihn an. Seine Notiz schon vom 21. Oktober 1914 ist aufschlußreich: „Weiter nach dem Dorf E(nnetières), gestern Abend genommen, von 5 Seiten beschossen, unglaublich, zersiebt, entsetzlich – die ersten toten Engländer, Puppen, ganz schlechte, - schmutziger Eindruck, Hohn auf alles Große, wieder unter Lebensgröße. Schützengräben, gräßlich – wie alberne kindische Drecksfiguren, und so entsetzlich, und so entsetzlich zugerichtet!...Eindruck direkt unkünstlerisch!“
„Allerseelen, ich fliehe“, kann man mit Slevogt zu seiner Abreise, der erlaubten Flucht aus dem Kriegsgeschehen, am 2. November nur sagen. Inzwischen denkt man sich, was die späteren Zeichnungen und Grafiken noch stärker zeigen: da ist doch Goya drinnen?! Kein Wunder, hat Goya doch als erster den Ausdruck von Kriegsgeschehen als nackte Gewalt, die den Menschen zerstückelt und elendiglich zu Grund gehen läßt, dargestellt. Das Leid. Die Verwüstung. Die Gräuel. Aber für Goya führten seine Erlebnisse in direkte Aufarbeitung mit dem Stift, dem Stichel. Diesen Eindruck hat man bei Slevogt nicht. Er macht mit seinen Darstellungen keine „Politik“, will erst einmal mit seinen Darstellungen keine Emotionen hervorrufen und die Wirklichkeit nur abbilden.
Man überlegt weiter, warum jemand wie Edouard Manet mit seinen fünf Folgen DIE ERSCHIESSUNG KAISER MAXIMILIANS von Mexiko einen grandiosen künstlerischen Ausdruck für die politische Verantwortung Napoleons III. mit malerischen Mitteln hat finden können? Vielleicht, weil er nicht in Mexiko dabei war? Wie auch immer, die Ausstellung „Im Banne der Verwüstung“ zeigt die Entwicklung von der anfänglichen Kriegsbegeisterung in das baldige Umschwenken hin zu einer radikalen Absage an jegliches Kriegsgeschehen. Dies gilt nicht nur für Slevogt, sondern wird anhand von Zeitschriften auch in den Bildern, Zeichnungen und Drucke, die als Blätter ausliegen, anderer Künstler deutlich. Gezeigt wird auch sein „Kriegstagebuch“, das er 1917 veröffentlicht.
Und wir stutzen dann doch darüber, daß ausgerechnet diese, die kleinste der vier Slevogt-Ausstellungen, diejenige ist, die die größte Aktualität besitzt. Das liegt an der Jahreszahl 2014 und dem 100 Jahre Jubiläum zum Ersten Weltkrieg, was dieser Tage von den Diskussionen um die zwei wichtigsten neuen Bücher – Christopher Clark „Die Schlafwandler“ und Herfried Münkler „Der große Krieg“ - bestimmt wird, insgesamt aber den Ersten Weltkrieg eben zum Thema macht. So hat die Entscheidung für die diesjährigen vier Slevogt-Ausstellungen, die andere Beweggründe hatte, ihm an dieser Stelle doch zu einem Jubiläum verholfen, was wichtig ist, weil diese Seite Slevogts weithin unbekannt war.
Begleitheft:
Man braucht das schmale Heft nicht unbedingt beim Betrachten der Ausstellung,aber es ist eine große Hilfe im Nachhinein, wenn man die Stationen, die Slevogt durchschritt, sich noch einmal vergegenwärtigen will. Wie nämlich aus einem begeisterten Kriegsenthusiasten, der alles in die Wege leitet, damit er Kriegsmaler werden und an die Front darf, um dem Volk 'zu dienen', einer wird, der Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ablehnt. Slevogt steht hier stellvertretend für viele.
Tatsächlich bringt die Darstellung die einzelnen Stationen – nicht nur Slevogts – sondern des Kriegsgeschehens, das korrekt (spätestens) einsetzt mit dem 28.6. 1914, der Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Sarajewo. Da es sich in der Hauptsache um Zeichnungen, Aquarelle , Künstlerflugblätter und andere Drucke handelt, sind die Wiedergabe auf Papier im Begleitheft besonders adäquat wiedergegeben. Es folgt nicht nur eine Auswahl der Literatur über Slevogt, sondern auch eine über Literatur zur Kunst im Ersten Weltkrieg, was wir verfolgen wollen.
Bis 13. Juli 2014
INFO Ludwigshöhe:
Max Slevogt-Galerie
Schloß Villa Ludwigshöhe, Villastraße 64
67480 Edenkoben, Tel. 06323 93096
Öffnungszeiten bis September: 9-18 Uhr; 1. Werktag der Woche geschlossen
www.schloss-vill-ludwigshoehe.de