expressivSerie: Kollwitz. Ausstellung im Städel Frankfurt, 20. März bis 9. Juni , Teil 1

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Hätte sie, Käthe Kollwitz,  die Obdachlosen, die Männer und Frauen, die in der Frankfurter U-Bahnstation Eschenheimer Tor an den Wänden entlang liegen, auf dem Weg, den ich täglich gehen muß, die sich anziehen, ausziehen, umkleiden, schlafen oder essen sowie trinken, die mir ein schlechtes Gewissen machen, obwohl ich für ihr Elend nichts kann, hätte sie also diese Menschen gezeichnet oder in anderer Form, gar einer Plastik verewigt?

Nein, überlege ich weiter, nein, denn es ging ihr nicht um das Elend per se, um den Lebensweg einzelner mit ihrem individuellen Schicksal, fremd- oder eigenverschuldet, was sich vielleicht sogar romantisch malerisch darstellen ließe, sondern es ging ihr um die unhaltbaren sozialen, hygienischen, lebensfeindlichen Umstände, in denen die Menschen in den Arbeiterbezirken der Großstadt Berlin lebten, dahinvegetierten, zusammengepfercht in feuchten Wohnungen, froh, wenn sie Arbeit hatten, oft arbeitslos, auch ihren Kindern keine bessere Zukunft versprechen konnten, die mangelernährt rachitische Symptome bildeten, von denen schon viele im Kindesalter starben und wo es immer die Mütter waren, die in besonderer Weise verantwortlich gemacht wurden, sich auch selbst verantwortlich fühlten und unter der Last von Verantwortung, Not, Trauer und Hilflosigkeit zwar verzweifelt waren, aber ob der überlebenden Kinder nicht zusammenbrachen, weitermachten.

So habe ich, so haben wir alle Käthe Kollwitz kennengelernt, also eine empathische Künstlerin, die bewaffnet mit dem Zeichenstift, der Feder, der Kreide, Kohle, Tusche und dem Grabstichel sich der Lebensverhältnisse der Ärmsten angenommen hat, ihr Elend, ihre Hoffnungslosigkeit in Zeichnungen, Druckgraphiken, Plakaten und plastischen Arbeiten der Welt vor Augen führte, die zudem aufgrund des Soldatentodes ihres 18jährigen Sohnes, - der unbedingt in den Krieg ziehen wollte, gleich im ersten Kriegsjahr im Oktober 1914 ums Leben kam, - künstlerische Friedenskämpferin wurde, in dem sie den Krieg und dessen Folgen in ihrem Werk anprangerte, sich dann auch als Frau, Mutter und Künstlerin für Pazifismus aussprach, was in einer militärisch aufgehetzten Welt leicht zu Vaterlandsverrat wird. So ungefähr wird Käthe Kollwitz wahrgenommen. Und es ist ja auch nicht falsch. Aber wahr auch nicht.

Das stellt man verblüfft in der Ausstellung im Frankfurter Städel fest, die von der Leiterin der Graphischen Sammlung des Städel ab 1800, Regina Freyberger, kuratiert und mit einem exzellenten Katalog auch über die Ausstellung hinaus fundiert, einen das Wundern lehrt. Deshalb haben wir als Titelbild auch eine stark expressionistische Kreidelithografie mit fast Jugendstilstrich von 1934 gewählt, die aus einem Guß, in einer komprimierten erstarrten Bewegung den Tod zeigt, der eine entsetzte Frau packt, die ihr Kind in den Armen hält. Es wird ihr nicht nützen, gleich ist das Kind Waise. Stark.

Die Kollwitz, als Käthe Schmidt 1867 in Königsberg in einem Elternhaus mit sozialdemokratischem Hintergrund geboren – so war der Vater eigentlich Jurist, damals noch liberal, was im Kaiserreich eine staatliche Anstellung unmöglich machte, weshalb er Maurermeister wurde – war mit für Mädchen ungewöhnlicher Freiheit aufgewachsen. Sie durfte eine künstlerische Ausbildung machen, was für Mädchen damals schwierig war, die normalen Kunstakademien waren weiblichen Wesen verschlossen, und wurde in München Malerin, sie war – das zeigt das eine der erhaltenen gemalte Porträt in der Ausstellung – begabt, konnte mit Pinsel und Farben umgehen und im Porträt die Charakteristik der Porträtierten darstellen. Doch wirklich von einem Tag auf den anderen läßt sie die Malerei – übrigens für immer! – und entschließt sich 1890, also mit 23 Jahren druckgraphisch zu arbeiten, was sie ja erst noch lernen muß, aber sich die Radiertechnik gleich autodidaktisch aneignet.

Ein Jahr später heiratet sie den Arzt Karl Kollwitz, der in der gemeinsamen Wohnung am Prenzlauer Berg in Berlin eine Kassenarztpraxis eröffnet, während sie dort einen eigenen Raum für ihre künstlerischen Arbeiten hat. Seine Patienten, das großstädtische Industrieproletariat, werden zum generellen Hintergrund, immer wieder auch zum Modell für ihre Kunst. Und ihre Kunst wird sich immer um die Darstellung des Menschen drehen. Ausschließlich. Mit einem inneren Anliegen. Denn Kunst, das ist ihr wichtig, darf etwas wollen, ist nicht l’art pour l’art.

Das Sensationelle daran – mit unserem gesellschaftlichen kapitalistischen Hintergrund erst recht – ist, daß sie damit nicht nur künstlerischen Erfolg hat, sondern auch pekuniären. Sie wird von Anfang an eine teuere, das heißt auch erfolgreiche Künstlerin. Ihre Druckgrafik und Zeichnungen werden ihr aus der Hand gerissen, mit dem druckgrafischen Zyklus ‚Ein Weberaufstand‘, den sie nach einer Aufführung von Gerhart Hauptmanns Drama ‚Die Weber‘ über Jahre fertigt, ist ihr künstlerischer Durchbruch. Da hatte sie schon 1892 ihren Sohn Hans und 1906 dann Peter zur Welt gebracht. Und wird auch schon von Museen angekauft.

Fortsetzung folgt.

Fotos:
Redaktion

Info:
Kollwitz.Ausstellung im Städel vom 20. März bis 9. Juni 2024. Information über Öffnungszeiten etc.
www.staedelmuseum.de

Katalog: Kollwitz, hrsg. von Regina Freyberger, Städel Museum, Frankfurt am Main, HatjeCantz 2024
ISBN 978 3 947879 27 4 Museumsausgabe
ISBN 978 3 7757 5583 2 Buchhandelsausgabe