Bildschirmfoto 2024 09 24 um 06.26.46Ausstellung Body & Soul von Andreu Ginestet  vom 23. August bis  17. Oktober 2024  im Leipziger Hauptbahnhof!, Teil 2

Susanne Tenzler


Leipzig (Weltexpresso) - body&soul – so der Ausstellungstitel: was bedeutet das?


Body und Soul ist eine Referenz an Tizian’s Bild Amore Sacro e Amore Profano.

Der Körper im Bild ist der angezogene Körper und die Seele ist die nackte Figur im Bild. Körper und Seele sind fast immer parallel im Bild, wie bei Tiziano, es sei denn das Bild bringt geraden einen mythologischen Vorgang zum Ausdruck. Dann ist oft die Seele allein im Bild.

Wie in der Antike stellt der nackte Körper die reine, ewige, göttliche, himmlische Seele dar und der angezogene Körper ist der sündige, vergängliche und irdische.

 

 

Sie sind in verschiedenen künstlerischen Sparten zu Hause: Skulptur, Prosa, Foto, Malerei und Zeichnung. Die klaren Sparten lösen sich bei ihnen auf, treten in Dialog miteinander. Nichts scheint dabei unmöglich. Was treibt Sie an und wie werden Sie inspiriert?

Mich treibt die Intuition an. Mir wird immer erst im Prozess klar, wohin mich meine Intuition leitet. Und es ist ein iterativer Prozess. Das bedeutet, dass mir eine Idee für ein Bild beim Schreiben kommt, wie beim Buch Pax. Ich habe parallel zum Text eine 13 Meter lange Zeichnung erstellt, die sehr viel deutlicher macht, was der Text meint. Und jedes Segment der Zeichnung, das neben dem Text erscheint, bezieht sich direkt auf den Text. Aber diese Zeichnung habe ich ein paar Mal angefangen und immer wieder neu durchdacht. Würde ich das Buch Pax heute nochmals zeichnen, würde die Zeichnung wieder anders ausfallen. Der Antrieb ist grundlegend der gleiche: die Liebe des Lebens. Ich erlitt 1986 eine extrem schmerzvolle Nahtod- Erfahrung, nach einem Schädelbruch. Sterben ist wunderschön. Aber genau deswegen liebe ich das Leben umso mehr. Die Erfahrung, das Leben zu verlassen, führt dazu, dass ich es umso mehr schätze.

Durch den Unfall bedingt habe ich die Schmerzgrenze der Toleranz erreicht. Das bedeutet, dass ich der Schmerz die Beziehung zwischen Körper und Seele stark verändert. Die Seele will diesen Körper nicht mehr und schreit danach befreit zu werden.

Ich habe durch den Unfall den vollständigen Verlust der Rationalität erfahren. Mein präfrontaler Cortex war ausgeschaltet und nur noch mein limbisches System hat funktioniert. Daher weiß ich jetzt sehr genau was es bedeutet ein Trauma zu erleiden, und ich wünsche es keinem. Vor allem hat diese körperliche Erfahrung für mich aber den Schmerz anderer in meine Welt gebracht. Und weil ich diesen Schmerz intensiv spüre, baue ich mit meiner Kunst eine Welt gegen den Schmerz, gegen Trauma, für das Verstehen der Anderen.

Das zentrale Thema der Ausstellung ist der innere Frieden, im Sinne einer Bedingung für den äußeren Frieden. Kann Kunst (und die Betrachtung dieser) den Menschen helfen, zum inneren Frieden zu kommen? Und wenn ja – wie?

Kunst kann helfen den inneren Frieden hervorzurufen, wenn sie im Alltag gegenwärtig ist.

Wüsste ich, dass ich nicht ruiniert werde, was aber zwangsläufig der Fall wäre, wenn ich täte was ich denke, würde ich jedem Politiker weltweit eines meiner Werke schenken. Ich würde jedem sein Werk schenken.

Ich freue mich besonders auf Ausstellungen im öffentlichen Raum, weil meine Bilder im öffentlichen Raum die paradoxe Intimität hervorlocken, bei der Menschen ihr Inneres nach außen kehren, im öffentlichen Raum. In der Betrachtung der Bilder deuten Menschen intuitiv, die Szenen, die sie rational nicht beschreiben und aussprechen können. Dabei werden sie dermaßen in die Welt aufgesogen, die sie betrachten, dass sie ihr inneres nach außen kehren und sich maximal öffnen. Eigentlich werden sie vor allem wieder zu Kindern in diesem Augenblick. Sie sind, ganz selbstverständlich. Sie müssen sich nicht beweisen. Sie sind einfach so wie sie sind. Ich sehe so oft Menschen glücklich lachen, in der Ausstellung. Und genau das ist das Ziel der Ausstellung. Glück, also geteiltes Glück, das Glück, dass sich in der Teilung verdoppelt zu ermöglichen.

Mein Werk muss nicht massiv präsent sein. Auf Messen hat sich gezeigt, dass meine Bilder umso wirksamer sind, wenn sie mitten unter anderen Bildern hängen. Mir reicht es, wenn auf einer Messe ein Bild von mir hängt. Das wirkt. Ab dem dritten Bild wird es fast zu viel.

Daher habe ich die Bilder und Skulpturen Auswahl bei mir sehr luftig gestaltet. Und ich habe große Malereien verwendet, die den Bann der Fotos brechen. Aber eigentlich reicht ein Bild von mir unter 100 anderen Bildern. Eigentlich wirken meine Bilder besser als Unikate.

Wie kommen Sie – ganz persönlich – zu ihrem inneren Frieden?

Über die Familie oder persönliche Beziehungen nicht. Die Familie ist ein Übungsfeld für das Leben als solches. Ich wollte Kinder und bin unheimlich glücklich, welche zu haben. Ich möchte nicht ohne Familie leben und sein. Aber der innere Frieden kommt bei mir von der Kunst. Eindeutig. Meine Familie ist ein Konfliktherd, wie jeder andere. Nur die Kunst, meine Bilder und Skulpturen, manchmal auch meine Texte bringen mir inneren Frieden. Und manchmal bete ich. Es gibt Situationen die so eine extreme Angst schüren, dass ich mit dem Universum kommunizieren muss. Dann bete ich.

Wenn ich am Rechner meine Bilder bearbeite, manchmal bis tief in die Nacht, und mir überlege, wie ich die Wirkung verbessern kann, die gewollte Wirkung, versetze ich mich in Kommunikation mit den Gefühlen des Publikums. Ich sehe Menschen vor mir stehen, die vor Freude lachen. Und das erzeugt in mir Frieden.

Sie arbeiten auch immer wieder als Friedensdiplomat, haben viel gesehen und erlebt. Im Moment scheinen wir bei verschiedenen Konflikten sehr weit entfernt zu sein vom Frieden. Sind sie dennoch ein Friedensoptimist?

Allemal bin ich ein Optimist. Ich weiß aus Erfahrung, was wir Friedensdiplomaten alles können. Aber es ist auch eine sehr erschöpfende Aufgabe, für jene die zwischen den Fronten verhandeln. Ich musste eine Pause einlegen. Daher ist es wichtig, dass wir als Gruppe arbeiten.

Und was wir benötigen, ebenso wie Rubens es brauchte: einen Auftrag von der Bevölkerung. Unser Einsatz ist nicht legitim, wenn die Bevölkerung indifferent ist. Antonio Gramsci sagte mal: „Ich hasse die Gleichgültigen!“ Und er hatte Recht. Ich hasse sie auch. Rubens wurde z.B. von den Bürgergilden beauftragt mit Kunstwerken, damit er die Neutralität wahren konnte und Frieden vermittelte. Das hat sehr gut funktioniert. Es funktioniert auch heute.

Aber in den letzten Jahren legen Menschen ihr Geld lieber bei Rheinmetall an. Sie haben nicht begriffen, dass sie damit den Grundstock ihres Todes legen. Und ich kann die Menschen nicht für das, was sie tun, entschuldigen. Ich kann es nicht verwässern. Ich sehe das Menschen eigentlich ganz anders handeln könnten, als sie es tun. Dass sie tun, was sie tun ist, von einer bewussten Entscheidung abhängig.

Damit möchte ich also betonen, dass ich ein realistischer Friedensoptimist bin. Ich bin auch bereit mit einem Lächeln auf den Lippen zu sterben. Und ja, wir nähern uns einem nuklearen Krieg schneller denn je, weil es von der Bevölkerung keine Gegenwehr gibt. Die Bevölkerung ist die entscheidende Kraft. Wenn sie will, kann sie vieles ändern.

Das beste Beispiel liefert uns die 1948 von einem katalanischen Bauernsohn eingeführte Revolution in Costa Rica: Putsch, Absetzung der Junta, die Eliten werden außer Landes gejagt, sie werden enteignet, die Armee wird aboliert, es wird die Währung nationalisiert und es wird eine grüne Verfassung geschrieben. Costa Rica wird oftmals verachtet, das sei doch kein Vergleich, so ein Land könne man doch nicht als Maßstab nehmen. Das ist völliger Blödsinn. Das ist nichts als die Feigheit vor der eigenen Verantwortung. Ich bin bereit die Rolle des katalanischen Bauernsohn anzunehmen. Aber ich finde nicht viele Menschen die bereit sind die Rolle anzunehmen.

Also sterbe ich gerne auch mit einem Lächeln auf den Lippen.

Fortsetzung folgt

Der Künstler:

Der Künstler Andreu Ginestet wurde bei einem Besuch in Dortmund 1964 geboren, wuchs in Barcelona auf, lebt vorwiegend in Spanien und Deutschland. Als Künstler bedient er weltweit private und institutionelle Auftraggeber und Sammler.  Sein umfassendes Werk bildet eine einheitliche Kosmologie, von der monumentalen Plastik bis zu den Objekten für private Sammlungen. Seine Tätigkeit umfasst verschiedene Disziplinen wie Bildhauerei, Malerei, Zeichnung, Fotografie und Prosa.

Foto:
DerKünster beim Aufbau der Ausstellung
©Andreu Ginestet 

Info:
Ausstellung: Body& Soul
Andreu Ginestet
Sächsischer Wartesaal, Hauptbahnhof Leipzig (neben Starbucks, Gleisebene)
23. August bis 17. Oktober 2024Öffnungszeiten: täglich 10:00 bis 19:00 Uhr (auch sonntags)